Künstler Aljoscha im Interview

"Maidan war eine Manifestation von Gerechtigkeit"

Düsseldorf (dpa) - Der russisch-ukrainische Künstler Aljoscha hat den Unabhängigkeitsplatz Maidan im Kiew zum Zentrum einer Kunstaktion gemacht. Er warf in der aufgeheizten Atmosphäre im Februar Gummigaloschen mit kleinen Stachelfiguren - für ihn sind sie Lebewesen - über die brennenden Barrikaden. Eine politische Manifestation sollte das aber nicht sein, sagt der Wahl-Düsseldorfer. Im dpa-Interview spricht Aljoscha über die Lage in der Ukraine. Er befindet sich in einem Zwiespalt.

Was für eine Aktion haben Sie auf dem Maidan gemacht?


Eigentlich ist meine Aktion auf dem Maidan eher eine Aktion über den Maidan. Es ist keine politische Stellungnahme, sondern eine Manifestation von Zwecklosigkeit. Die Lebewesen, die ich erschaffe, sollten aus meiner Sicht über allen Parteien schweben. Deswegen habe ich sie in Galoschen gesetzt und einfach über den Maidan fliegen lassen. Ich wollte, dass die Wesen sich einen Überblick über die ganze Geschehnisse verschaffen. Sie hatten so einen unabhängigen Eindruck.

Wie haben Sie diesen Moment wahrgenommen?

Was mich faszinierte auf dem Maidan war, dass die Menschenmenge sich dort in kritischen Minuten selbst organisiert. Es gab keine Panik, keinen Aufschrei. Unterschiedlichste soziale Schichten und Generationen waren vertreten. Das war extrem beeindruckend. Ich empfand dort «die Wahrheit», falls so etwas überhaupt existiert. Eine pure Manifestation von Gerechtigkeit. Die meisten dort waren unbewaffnet. Es war extrem kafkaesk, man fühlte sich wie im Mittelalter.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Kunst und Politik?

Ich empfinde es als Korruption, wenn Künstler sich gezielt mit politischen Geschehnissen auseinandersetzen. Ich bin jeglichem Politikum skeptisch gegenüber. Generell stört mich Polit-Kunst. Ich empfinde sie immer als eine Art Propaganda. Als eine Form von Versagen. Kunst soll sich in ihrer Unzweckmäßigkeit manifestieren. Kunst ist eine extrem philosophische Tätigkeit, die über allem steht und sich über allem bewegt.

Trotzdem haben Sie sich mit Ihrer Aktion in gewisser Weise in den Dienst des Maidan gestellt. Wie fielen die Reaktionen darauf aus?

Viele Menschen waren wissbegierig. Die ersten Fragen drehten sich um das Warum, Was und Wie. Die Leute fanden es spannend, lachten und unterhielten sich darüber. Sie kamen mit mir ins Gespräch und wollten auch mitspielen. Sie warfen die Lebewesen über unsere Köpfe und schließlich über die Barrikaden.

Sie sind Ukrainer und Russe. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie sehen, wie es das Land zerreißt?

Alle von uns haben bestimmt gespaltene Gefühle. Historisch gesehen ist die Ukraine ein künstlicher Staat. Die Staatsform hat sich permanent verändert. Man darf auch nicht vergessen, dass Kiew die älteste russische Stadt ist. Alle Russen betrachten die Ukraine als eigenes Ursprungsland. Die Ukraine ist kein fremdes Land in diesem Sinne. Auch die meisten Ukrainer fühlen sich teilweise russisch. Praktisch jeder Ukrainer spricht Russisch. Je weiter man nach Osten reist, desto stärker spürt man das. Nur die Leute in den westlichen Gebieten, die früher zum Beispiel zu Galizien oder Ungarn gehörten, kann man wirklich als Ukrainer bezeichnen. In der Ukraine gibt es also ein sehr starkes Gemisch.

Wo sehen Sie die Ukraine? Mehr in Europa oder eher in Russland?

Ich denke, auch Russland gehört zu Europa. Alle Russen empfinden sich als Europäer. Der Grund für den Streit in der Ukraine ist die Korruption, die in der letzten Zeit unermesslich wurde. Die letzte ukrainische Regierung war nicht nur korrupt, sondern absolut kriminell.

Finden Sie es richtig, dass Russland sich jetzt die Krim einverleibt?

Richtig finde ich das nicht, nein. Aber es ist absolut nachvollziehbar. Aus meiner Sicht sollen die Grenzen erhalten bleiben. Durch die Krim-Abspaltung hat sich das Land schon längst geteilt, aber noch in einem tragbaren Rahmen. Wenn es heute ein solches Referendum wie auf der Krim auch in der russisch geprägten Ostukraine gäbe, würde sie sich auch sofort Russland anschließen. Das wäre natürlich ein Alptraumszenario.

Aljoscha (Alexej Potupin) wurde 1974 in Gluchow in der Ostukraine geboren. Sein Vater ist Russe, seine Mutter Ukrainerin. Er lebt und arbeitet seit rund 20 Jahren in Düsseldorf und präsentierte seine Werke bereits in vielen nationalen und internationalen Ausstellungen. Bis zum 22. März sind seine jüngsten Arbeiten noch in der Ausstellung «Skulptur!» in der Düsseldorfer Galerie Beck & Eggeling zu sehen.