Polaroids

Bevor es Instagram gab, gab es Warhol

Eine Ära, die nicht verblasst: Andy Warhols Polaroids in einem glanzvollem Bildband

"Ein Foto bedeutet, dass ich von jeder Minute weiß, wo ich war. Deshalb mache ich Fotos. Das ist eine Art visuelles Tagebuch." – Andy Warhol

"Sofortbild" klingt ein bisschen nach DDR, auf jeden Fall nach einer vergangenen Epoche, in der das Fotografieren entweder noch umständlich war oder aber – für die Ungeduldigen – sündhaft teuer. Die Bilder des herrlichen Bandes "Andy Warhol. Polaroids 1958–1987" wurden vor allem mit zwei Kameras des amerikanischen Herstellers Polaroid aufgenommen. Die zusammenklappbare SX-70 gilt heute als Klassiker, während die Produktion der klobigen Big Shot schon 1973, nach nur drei Jahren, wieder eingestellt wurde. Aber Warhol liebte diesen Kameratyp, weswegen die Firma seine Modelle noch jahrelang in Reparatur nahm – schließlich adelte der Popfürst die Produkte.

Viele berühmte Siebdrucke und andere Motive findet man im Buch in ihrer Ursprungsform wieder: Porträts von Jean-Michel Basquiat, Joseph Beuys, Joan Collins, Liza Minnelli und zahllosen anderen. Die Unikate, deren Reiz gerade in den leicht blassen Fehlfarben und den Schlieren der Do-it-yourself-Entwicklung liegt, begann die Andy Warhol Foundation for the Visual Arts erst spät zu veröffentlichen, ab 2007.

Auf dem ersten der zahlreichen Selbstporträts in dem Band ist der Künstler Anfang der 60er-Jahre vor einem Siebdruck mit lauter Marilyn-Monroe-Lippen zu sehen. Acht Jahre später fotografierte sich Warhol nach Valerie Solanas’ Attentat im Krankenhaus, mit Bauchbinde. 1981 schlüpfte er in verschiedene Frauenrollen. Während aus der Zeit bis in die frühen 70er viele private Momente in die Polaroid-Sammlung eingingen – mit Ferienfotos aus Montauk sogar sehr Warhol-untypische Familienbilder –, werden ab etwa 1975 auch die Polaroids von kühl-abstrahierter Popästhetik dominiert. Das Porträt von Grace Jones auf dem Buchcover, 1984 fotografiert, ist dafür ein Beispiel.

Trotz des Unikat-Charakters der negativlosen Sofortbilder zeichnet sich in Warhols exzessiver Nutzung und egalisierender Ästhetik wohl schon die Bildkultur des Internetzeitalters ab. In einem lesenswerten Essay bleibt Richard B. Woodward, Kritiker der "New York Times", aber vorsichtig. Wahrscheinlich hätte der Künstler heute einen Twitter-Account. "Andererseits", schreibt Woodward, habe Warhol nie zu jenen gehört, "die mit der Menge laufen, selbst wenn sie dabei vorgeben, nur eines ihrer vielen Gesichter zu sein."