"Filme der 2000er" im Taschen-Verlag

Das letzte Aufbäumen Hollywoods

Im Kino vertragen sich Kunst und Kommerz am besten. An keinem Ort ist die Fusion restloser gelungen als in Hollywood. Es gibt also einen guten Grund dafür, dass das US-Kino im neuen „Dekaden“-Filmbuch des Taschen Verlags zahlenmäßig weit vorn liegt. Das Gleiche galt bei den vorausgehenden Bänden zum Kino der 50er- bis 90er-Jahre.

Jetzt liegt die sechste Ausgabe der Reihe vor, ein Kanon aus 154 Filmen. Wie repräsentativ die Auswahl der angeblich wichtigsten Werke der Nuller-Jahre wirklich ist, darüber können sich Cineasten nun die Köpfe heißreden. Mit den Siegern nach Punkten dürften alle einverstanden sein. Es sind Joel und Ethan Coen, die Meister des vertrackten Arthouse-Kinos. Ihr texanisches Endspiel „No Country for Old Men“ dominiert (textlich und visuell) das Einführungskapitel und wird dann – wie „A Serious Man“ – noch einmal gewürdigt. „True Grit“ bildet den abschließenden Höhepunkt des Kanons. Damit stand das Jahrzehnt erstens im Zeichen der Coen-Brüder und wird zweitens vom Herausgeber Jürgen Müller und den 15 weiteren Autoren in den Kontext fragwürdig gewordener Westernmythen gestellt.

Vor allem das europäische und asiatische Kino werden in den Hintergrund gedrängt. Es scheint ungerecht, dass skandinavische Filme – mit Ausnahme von Lars von Triers „Dogville“ – unerwähnt bleiben. Aus Frankreich kommen zwei Kassenschlager, „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und „Willkommen bei den Sch’tis“, auf zwei Arthouse-Arbeiten, nämlich „Das Kind“ und Michael Hanekes „Caché“. Erneut Haneke mit „Das weiße Band“, dazu Christian Petzolds „Yella“, außerdem zwei von der Kritik unterschiedlich beurteilte, aber international erfolgreiche deutsche Großproduktionen: „Der Baader Meinhof Komplex“ und „Das Leben der Anderen“.

In der starken Einleitung von Jürgen Müller und Jörn Hetebrügge herrscht Endzeitstimmung. Den Umbruch von analog zu digital bewerten die Autoren als zweischneidig. Ihrer Meinung nach hätten das 3-D-Spektakel „Avatar“ oder „Inception“ die traumhaften Möglichkeiten digitaler Techniken überzeugend nutzen können. Andererseits liefen andere derart perfektionierte Medien dem Kino den Rang ab – das interaktive Computerspiel und das (inzwischen experimentierfreudigere) Fernsehen mit seinem geringeren Distributionsaufwand. Vielleicht lässt sich das Übergewicht der US-Produktionen im Buch auch so erklären: als letztes Aufbäumen Hollywoods.

Jürgen Müller (Hrsg.): "Filme der 2000er", Taschen Verlag, 864 Seiten, 29,99 Euro