Kunstmesse Frieze London

Ambivalente Suppenküchen

Schuhe aus und rein ins Vergnüngen – nein, dieses Motto galt nicht für die zahlreich erschienenen High-Heels-Trägerinnen am Preview-Tag der Frieze London, sondern für ihre Kinder: Für sie hatte Carsten Höller am Stand von Gagosian einen Spielplatz mit hohem Spaßfaktor gebaut, mit Wackel-Pilz und einem Würfel, in dem man sich herumkugeln durfte. Wer die Pole-Position besetzt, kann sich auch mal entspannen, so die Botschaft des großen Larry.

So verspielt der Auftakt, so professionell wirkte die gesamte Inszenierung der 12. Frieze London, die sich stolz die "führende internationale Messe für zeitgenössische Kunst" nennt (sie wäre damit Siegerin in einer Kategorie, die nur sie wirklich besetzt, da die Art Basel auch die Moderne zeigt). Das helle, weiße Zelt im Regent’s Park ist dieses Jahr mit solider Restauration ergänzt, der Parcours wurde symmetrischer und übersichtlicher, gediegenes Holz in den Sanitärräumen lässt vergessen, dass man sich in einem temporären Bau befindet. Nicht wenige vermuten, dass sich die Frieze schick macht für einen Investor – kurz vor der Messe verkündeten die Gründer Amanda Sharp und Matthew Slotower, dass sie sich zurückziehen und die Leitung aller Frieze-Messen an Victoria Siddall abgeben, die bislang nur die gleichzeitig stattfindende Frieze Masters verantwortete.

Sicher ist, dass sie die Messe in einem exzellenten Zustand hinterlassen. In der Präsentation der 162 Galerienn mischen sich abgesicherte Qualität, Spekulationsobjekte und Experimentelles zu einem Abbild der zeitgenössischen Kunst, wie man es sich nicht schöner malen könnte. Bei White Cube  hängt immer noch der unvermeidliche Damien Hirst an der Wand – es sind eingelegte Karpfen – doch viel schöner dreht sich doch der venezianische Kronleuchter, der Lichtzeichen in Richtung von Cerith Wyn Evans‘ gelungener Einzelausstellung in der Serpentine Gallery versendet. Hier stellte sich am Eröffnungstag Künstler Grayson Perry mit seinem blond gefärbten Prinz-Eisenherz-Schnitt ironisch lächelnd für die Fotografen vor ein monumentales Baselitz-Gemälde – wer Baselitz jemals queer lesen wollte, hatte in dieser Sekunde die Chance dazu.

Nicht wenige Galerien verwandelten gleich den ganzen  Stand in ein Gesamtkunstwerk. Esther Schipper kombiniert eine Blumentapete von Thomas Demand mit einem hängenden, spiegelnden Sphärenobjekt von Tomas Saraceno zu einer perfekten Inszenierung, in der Lisson Gallery gestaltete Cory Arcangel den Teppich, auf dem die Galeriemitarbeiter mit federnden Turnschuhen stehen, entworfen von Ryan Gander.

In einer ganz anderen Welt findet man sich bei Hauser & Wirth wieder: Neuzugang Mark Wallinger richtete dort, inspiriert von Freuds später Wohnung in Hampstead, einen dunklen, anspielungsreichen Salon ein, in dem Rashid Johnsons Zebra-Chaiselongue die Rolle des Sofas spielt und Werke von Louise Bourgeois, Franz West, Paul McCarthy oder Roman Signer sich als Vertreter von Ratio oder Unbewusstem gegenüber stehen. Die Aufsicht, die dort schlafend in der Ecke sitzt, ist eine Arbeit von Christoph Büchel – der perfekte Link  zur neuen Messe-Sektion der Live Art. Zu ihr gehören die schwarzgekleideten, freundlichen Menschen mit einem pinken Tuch um die Köpfe, denen man in den Gängen begegnete: "Ten with one Hat", eine alte Arbeit von James Lee Byars. Und Nick Mauss ließ Tänzer und Tänzerinnen klassische Hüpfer üben, während Kim Gordon herself bei der Preview ins Mikrofon sprechsang. Etwas deprimierend, wie reibungslos sich die Reste von Rebellion und Alternativkultur mittlerweile in das gestylte Ambiente einer Kunstmesse integrieren – immerhin fühlte sich eine benachbarte Galeristin vom Krach gestört und sorgte für etwas Ärger.

Die meiste Medienresonanz bekam dagegen das Projekt von United Brothers, zwei Japanern, die ihre Mutter einflogen, um Suppe zu kochen – allerdings aus Gemüse, das in der Nähe von Fukushima angebaut wurde. "Does this soup taste ambivalent?", lautete das Motto der Aktion. Die Antwort: Ja, definitiv.

Dazu passte das Projekt von Dan Gunn in der Focus-Sektion: Nach einem Werk von Michael Smith aus den 80er-Jahren hat er seine Koje in eine Bar verwandelt, die gleichzeitig einen Atombunker darstellt (oder umgekehrt). Sogar mit einem Videospiel über den Bau eines Atombunkers kann man sich dort vergnügen. Ähnlich aufwendig agiert dort die Mathew Gallery, die ein komplettes Filmset aufgebaut hat, in dem die Villa Design Group Akteure für ihren nächsten Film castet. Und Societé verbreitet offensiven Bananenduft: Er stammt aus einer Arbeit von Sean Raspet über einen chemischen Stoff mit dem romantischen Namen "Isoamyl Acetate". 

Am Eröffnungstag mischte sich dieser Duftstoff auf das Interessanteste mit den Parfüms der Vernissagebesucher. Welche Prominente denn nun eigentlich da waren, wusste eine atemlose Victoria Siddall am Abend nicht – der "Evening Standard" jedenfalls vermeldet bei seinem Fashion-Überblick eine Häufung von Céline-Taschen sowie den Besuch des Power-Couples Jay Z und Beyonce in ein paar East End Galerien.

Wahrscheinlich ist es immer noch der Ursprung aus dem gleichnamigen Kunstmagazin, der die Frieze zu der Messe macht, die Diskurs und Markt, Glamour und Intellekt am engsten verbindet. Das Talk-Programm ist hochkarätig, die kommissionierten Projekte notorisch selbstreflexiv: Die diesjährige Gewinnerin des Artist Award für junge Künstler Melanie Matranga drehte einen Film über den Aufbau der Messe. Und Tobias Madison hat in einem Nebenraum eine ruhige Installation eingerichtet, mit einer großen, schwarzen Kugel, die über einem Wasserbecken schwebt, das sich in einem System aus Schläuchen beständig aus sich selbst speist. Die Arbeit, so erklärt die freundliche Aufsicht, soll ein Gegengewicht zum Trubel der Messe bilden, einen Rückzugsort für einen Moment der Besinnung. Immer schön, wenn Krankheit und Pille dagegen auf dem gleichen Tablett serviert werden.

Frieze London
, bis 19. Oktober