Forschungsprojekt in Karlsruhe

Die eurozentrische Sicht überwinden

Arabische und asiatische Künstler drängen auf die Biennalen, in vielen Ländern eröffnen Museen, reiche Kunsthändler vor allem in China besetzen den Kunstmarkt. Die Globalisierung hat in den vergangenen Jahren die Kunstwelt in Bewegung gesetzt. «Und keiner hat so recht im Blick, wo die Reise hingeht», sagt Andrea Buddensieg vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM). Das will die Kunsthistorikerin nun ändern - als Leiterin des neuen Kompetenzzentrums für Global Studies am ZKM.

   «Wir erleben eine Bedeutungsverschiebung in der Kunst», ergänzt der emeritierte Kunstwissenschaftler Hans Belting, der Buddensieg zur Seite steht. In vielen Ländern, vor allem in Diktaturen, beobachtet er Kunst als soziale Praxis. In China etwa haben Künstler das Projekt «Langer Marsch» auf den Weg gebracht. Gemeinsam mit Einwohnern in allen Landesteilen wollen sie eine eigene Interpretation geschichtlicher Ereignisse erarbeiten. «Die Kunst bietet den Freiraum, der Zensur auszuweichen, Tabus aufzugreifen und eine eigene Sichtweise zu entwickeln», erläutert Buddensieg.

   Aus diesem Grund sei auch die weltweite Museumslandschaft kaum zu fassen. «Das erste Fazit unserer Beobachtungen lautet: Die Hunderte von Neugründungen haben nur eines gemeinsam - den Namen Museum. Was sich dahinter verbirgt, ist kaum vergleichbar», erklärt Belting. In vielen Ländern seien Museen «Kontaktzonen, in denen sich Künstler, politisch Engagierte und Bürger treffen».

Die größte Börse für Kunst ist in Hongkong
Die Veränderung zeigt sich für Belting auch auf dem Kunstmarkt. «Die größte Börse für Kunst ist heute in Hongkong, knapp ein Drittel der Kunstkäufe wird in China abgewickelt.» Die eurozentrische Sicht auf die Szene bildet die Wirklichkeit kaum noch ab. «Für einen Mao von Andy Warhol werden zwar noch Millionen gezahlt. Aber der Marktwert eines Mao-Bildes von einem bei uns unbekannten chinesischen Künstler ist inzwischen ungleich höher.»

   Die Kunstszene im asiatischen, arabischen und pazifischen Raum ist für Buddensieg inzwischen weit mehr als nur eine exotische Randnotiz. Zwar würden solche Werke in Deutschland weiter weniger in Museen als in den Häusern der Kulturen gezeigt - «aber das muss und wird sich ändern».

«Die Kunstgeschichte ist an ihrem Ende angekommen»

Seit mehr als vier Jahren beobachten Buddensieg, Belting und ZKM-Leiter Peter Weibel intensiv die globale Kunstszene. Sie organisierten mehrere internationale Konferenzen, deren Ergebnisse in drei Bänden zusammengefasst wurden. Einer von ihnen - «Contemporary Art and the Museum» - wurde 2007 von der "New York Times" als «Best Book» ausgezeichnet. Zurzeit läuft zudem im ZKM die von der Kulturstiftung geförderte Ausstellung «The Global Contemporary. Kunstwelten nach 1989».

   Diese Vorarbeiten bilden die Grundlage für das Kompetenzzentrum. «Eine solche Beobachtungs- und Forschungsstelle ist bislang weltweit einzig», sagt Weibel. Ihr Ziel sei, alle transkulturellen Forschungsarbeiten zusammenzuziehen, die bereits vorliegen. Zudem sollen junge Wissenschaftler, die an solchen Themen forschen, mit Stipendien ausgestattet werden. «Die Kunstgeschichte in ihrer traditionellen Form ist an ihrem Ende angekommen», ist Weibel überzeugt. «Deshalb brauchen wir neue Zugangsformen und müssen die eurozentristische Ausbildung überwinden.» (Ingo Senft-Werner, dpa)