Interview mit Julius von Bismarck

Einsam in der Zentrifuge

Auf der Momentum-Biennale in Moss, 40 Zugminuten von Oslo entfernt, dreht sich seit einigen Tagen ein VW-Golf um die eigene Achse. Die Scheinwerferkegel huschen unablässig über die Wände des abgedunkelten Raums der Momentum Kunsthall, das Zugucken genügt für ein Schleudertrauma. Trotzdem steigen wir mit Julius von Bismarck ins Auto, um über seinen persönlichen Tunnelblick, das Ego des Künstlers und Bismarcks zweites, größeres Fliehkraft-Experiment auf der Art Basel zu sprechen.

Julius von Bismarck, wie schafft man es, ein Auto im Kreis fahren zu lassen?
Das ist eigentlich ganz einfach. Ich habe zunächst für 450 Euro einen Polo gekauft und die Räder verstellt, damit das Auto nirgendwo mehr hin, sondern im Kreis fährt. Wie beim normalen Fahren wurde ich schneller, je weiter ich das Gaspedal durchdrückte und der Körper wurde nach hinten gezogen. Aber es reißt dir die Arme nach vorne. Du wirst ganz komisch beschleunigt.

Jetzt wird die kinetische Skulptur auf der Biennale in Moss gezeigt, was hat sich geändert?
Aus Sicherheitsgründen wurde das Auto am Mittelpunkt der Drehung – zwischen Fahrer- und Beifahrersitz -  fixiert. So kann es nicht wegwandern und womöglich in die Museumswand krachen. Außerdem wurde ein Elektromotor eingebaut. Durch das am Boden fixierte Drahtseil ist ein Kabel geführt, das den Elektromotor mit Strom versorgt. Wir konnten ja im Innenraum nicht den Verbrennungsmotor laufen lassen.

Das Motto der 8. Momentum lautet "Tunnel Vision". Wieviel hat ihr Werk mit Tunnelblick, Einsamkeit und Ichbezogenheit zu tun?
Sehr viel. Angefangen hat es mit dem Versuch, mich so so lange wir möglich auf den eigenen Füßen zu drehen wie möglich. Bis zur Erleuchtung oder zum Wahnsinn, wie man will. Wie ein Derwisch, der beim Herumwirbeln einen anderen Geisteszustand erlangen will. Irgendwann stabilisiert man sich, man glaubt selber stillzustehen, während sich die Welt um einen dreht. Beim Laufen ist das ja ähnlich, nach einer Weile spürt man es nicht mehr.

Der griechische Präfix "auto" heißt ja "selbst"...
Genau. Das Auto ist ein Teil von mir wie es auch ein Teil der Gesellschaft ist. "Individualverkehr" – dieser Begriff spiegelt für mich sehr viel wider. Das Schöne am Auto ist, dass es als Skulptur sehr gut funktioniert. Ich werde zur Momentum-Eröffnung zwar mindestens eine halbe Stunde drin sitzen, während es rotiert, aber das ist nicht unbedingt nötig. Die Spiegelneuronen der Betrachter sorgen dafür, dass man sich gut in die Lage eines Fahrers versetzen kann. Das Auto war ursprünglich ein Zwischenschritt für die Drehscheibe, die als Plan schon lange existiert. Auf dieser Scheibe will ich mich längere Zeit aufhalten. Sie muss parabolförmig sein, weil man sonst herunterfallen würde. Wenn die Wände zum Rand hin immer steiler werden, bleibt man immer im rechten Winkel zum Boden. Allerdings wird man schwerer, je weiter weg man vom Angelpunkt entfernt ist. Ich konnte den Plan aber lange nicht umsetzen, weil er zu gigantomanisch war.

Aber morgen früh fliegen Sie nach Basel, wo sie diese Scheibe oder Schale schon aufgebaut haben.
Ja, auf der Art Basel Unlimited. Ich werde mich also heute hier im Auto drehen und übermorgen in Basel. Ich werde mich mehrere Tage am Stück  auf der Scheibe befinden und mich psychisch Stück für Stück weiter auf das neue Bezugssystem einstellen. Ich habe einen Stuhl, einen Tisch und eine Matratze zum Schlafen dort. Ein Laptop und ein Handy verbinden mich mit der Welt. Ich werde irgendwann annehmen, dass ich der Mittelpunkt der Welt bin und dass sich alles um mich dreht. Ich programmiere mich um, darin besteht das Experiment.

Sie haben das ja schon ausprobiert. Was für Erfahrungen haben Sie gemacht?
Dass Schlafen zum Beispiel überhaupt keine Probleme macht. Aber sich auf der Scheibe zu bewegen macht einen wahnsinnig. Ich bin gespannt, wie der Körper das irgendwann kompensiert. Wenn man nämlich den Arm nach vorne bewegt, wird er in eine Kurve gezogen. Sowas lässt sich überhaupt nicht denken! Als hätte man Drogen genommen. Aber man kann sich eben an die seltsamste Droge und die höchste Dosis gewöhnen. Dieser Anpassungsprozess interessiert mich.

Wenn Sie über die Scheibe reden, denke ich an die Miniplaneten in Saint-Exupérys "Kleinen Prinzen", nur, dass Ihr privater Planet mit Fliehkraft funktioniert.
Ich tausche Gravitation und Zentrifugalkraft tatsächlich gegeneinander aus. Es ist ja auch nicht möglich, Schwerkraft künstlich herzustellen, sie ist eine der am wenigsten beherrschbaren Kräfte. Es wird die ganze Weltkugel benötigt, soviel Kraft zu erzeugen. Die Menschheit träumt davon "Gravitonen" herzustellen, aber die künstliche Schwerkraft bleibt Science-Fiction. Es existieren eben doch keine Fliegenden Untertassen.

Sie sind, wie Olafur Eliasson, bei dem sie studiert haben, ein Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft. Sie waren 2011 der erste Artist in residence in der Kernforschungs-Einrichtung CERN.
Ich bin ein Möchtegern-Physiker, interessiere mich wahnsinnig dafür, wie die Welt funktioniert. Was hält das Universum im Innersten zusammen? Teilchenphysiker gehen dieser Frage nach wie ich in der Kunst. Irgendwann stellten Naturwissenschaftler fest, dass die Erde nicht der Mittelpunkt ist. Aber trotz aller Forschung weiß man immer noch nicht, wo denn nun der Mittelpunkt des Universums sein könnte.

Das macht einen wahrscheinlich verrückt, wenn man zu lange darüber nachdenkt. Muss sich der Mensch deshalb immer wieder erden? Und sind die Experimente mit dem Auto und der rotierenden Scheibe auch als Kommentar auf die Egozentrik unserer Gesellschaft aufzufassen?

Ich glaube, es ginge schon anders, aber momentan ist Egozentrik die gesellschaftliche Tendenz. Das Soziale war früher offenbar ausgeprägter. Heute verfügt der Einzelne von Jugend an über eine nie dagewesene Bewegungsfreiheit. Fast jeder kann sich eine Flugreise leisten. Wenn man aber die ganze Zeit unterwegs ist, muss man sich selbst als Zentrum seiner Welt empfinden. Sonst wäre man komplett verloren.

Julius von Bismarck schlägt vor, das Interview fahrend fortzusetzen. Mir wird mulmig, aber ich will auch nicht kneifen. Wir schließen die Türen, das Auto beginnt zu rotieren. Der Trick ist, die Augen zu schließen oder wenigstens nicht aus dem Fenster zu gucken. Ich bin zu sehr mit dem Gedanken beschäftigt, dass ich durch den Raum wirbele, als dass mir vernünftige Fragen einfallen. Nach einer Minute bringt von Bismarck das Auto zum Stehen.

Eigentlich muss man das länger machen. Jetzt, nach dem Anhalten, wird einem etwas schwindelig, oder? Man kennt das, wenn man ein Schiff zwar schon verlassen hat, der objektiv feste Boden unter den Füßen aber trotzdem zu schwanken scheint.

Wie schnell wird sich die Scheibe drehen?
Vier Sekunden pro Umdrehung.

Und was die Blicke der Betrachter angeht, ist der Künstler das Gravitationszentrum?
Ja, die Arbeit wird sehr intensiv, weil sie im Mittelpunkt einer Messe stattfindet. Mit weniger Besuchern wäre es nicht so stark, denn die Abkoppelung von den Massen funktioniert am besten, wenn die Massen direkt um einen herum sind. Außerdem schauen noch viele Leute zu, die ich kenne. Für viele Arbeiten ist eine Kunstmesse ein schlechter Ort, doch für diese ist die Messe genau richtig.

Warum sind Sie kein Wissenschaftler geworden?
Als Künstler kannst du mehr realisieren. Als Wissenschaftler muss man sehr systematisch, immer in die gleiche Richtung arbeiten. Dazu bin ich zu wirr im Kopf, mich interessiert zu viel auf einmal. Bei CERN habe ich auch mitbekommen, dass die Forschung oft in einem engen Korsett steckt. Es geht auch um Politik, um Fördergelder und Konkurrenzkämpfe. Die Forschung ist an einem Punkt, an dem man nur mit unglaublichen Budgets weiterforschen kann. Also muss man sehr viele Menschen davon überzeugen, dass man auf dem richtigen Weg ist. Das ist vergleichbar mit der Situation großer Museen, die oft nur zeigen, was viele Leute anzieht. Mainstream.

Wie kommt man als Künstler aus dem Karussell heraus?
Ich bin mit meinen Freiheiten zurzeit ganz zufrieden. Die Kunst ist ohnehin der freiste Ort, den ich mir momentan denken kann. Was man mit Verkäufen in Galerien verdient, hilft einem oft, ausgefallenere Projekte wie die Drehscheibe selbst zu finanzieren. Es gibt noch ein anderes, wahnwitzigeres Projekt, das seit zig Jahren in der Schublade liegt.

Julius von Bismarck will allerdings nicht über dieses Projekt reden. Nach meiner Rückkehr aus Norwegen tauschen wir SMS aus. Ich bin natürlich neugierig, wie es dem Künstler auf der rotierenden Scheibe in Basel geht. "Ja, es ist toll hier. Eine sehr komische Erfahrung", schreibt von Bismarck. Er werde umkreist von tausend Menschen, die er nicht sehen könne, dafür aber "brabbeln" höre. Ab und zu wird von Bismarck zu einem Zwischenstopp gezwungen – aus Gründen, die man sich denken kann. Davon abgesehen, will er mindestens bis Mittwoch seine Kreise ziehen. Der Fahrtwind störe etwas, ansonsten "alles super hier", simst der Künstler.