Kommentar zu "Die Toten kommen"

Das Sterben der anderen

Das Zentrum für Politische Schönheit will ertrunkene Flüchtlinge in Berlin bestatten. So selbstgefällig die Rhetorik des Künstlerkollektivs wirkt – die Aktion verdient Unterstützung. Ein Kommentar von Elke Buhr

Mit Kunst die Gesellschaft hacken, das ist das Motto des Zentrums für Politische Schönheit um den Theaterregisseur und Aktionskünstler Philipp Ruch. Gerade gelingt ihnen das mal wieder ausgesprochen gut: Mit ihrer Aktion "Die Toten kommen" haben sie es in alle Medien und Kanäle geschafft. Die Gruppe sagt, sie sei an die Ränder Europas gefahren und habe ertrunkene Flüchtlinge exhumiert, die in Italien und Griechenland oft anonym in Massengräbern enden. Die Leichen sollen nun auf verschiedenen Berliner Friedhöfen würdevoll bestattet werden. Und am Sonntag sollen Leichen in einem Marsch vor das Bundeskanzleramt getragen werden: Ein Bild, das wie ein Hammerschlag die ignorante Abwehr der Verantwortlichen für die mörderische Abschottungspolitik der Europäischen Union durchschlagen soll.

Ihre Strategien haben Ruch und seine Mitstreiter von Gruppen wie The Yes Men geliehen: Ihr Ziel ist immer sehr explizit und politisch, bei den Mitteln aber weiß man nie genau, was nun real ist und was inszeniert. Während beispielsweise die halbe Republik darüber schimpfte, dass sie gerade die Kreuze für die Toten an der Berliner Mauer an die Außengrenze der europäischen Union verschleppten, befanden sich diese Kreuze in Wirklichkeit in einer Berliner Wohnung. Und die Leichen? "Das ist kein Theater, das ist Realität", sagte Stefan Pelzer, "Eskalationsbeauftragter" des Zentrums für Politische Schönheit, heute Morgen in die Mikrofone der Journalisten auf dem Friedhof in Berlin Gatow, wo nach Angaben des Zentrums die ersten beiden Flüchtlinge aus Syrien, gestorben auf der Überfahrt nach Lampedusa, begraben werden sollen: Eine Mutter und ihr zweijähriges Kind. Dann aber ist es keine Kunst, so lautet ein häufiger Einwand. Doch der zielt daneben: Auch wenn das Zentrum für Politische Schönheit mit auch für politische Kunst ungewohnter Direktheit vorgeht und damit die Grenze zum puren Aktivismus streift, arbeitet es im symbolischen Feld, und zwar höchst effektiv.

Ein anderer, schwerwiegenderer Einwand lautet, dass diese Aktion die Flüchtlinge ein weiteres Mal auf ihren Opferstatus festlegt, ihre Leichen nur für eigene Zwecke ausnutzt, anstatt den Menschen selbst eine Stimme zu geben. Und wirklich irritiert die selbstgefällige Rhetorik der Gruppe. Der Humor der Yes Men oder gar das spielerisch Durchgeknallte eines Christoph Schlingensief, der auch die Gesellschaft hacken konnte, sind ihnen fern. Stattdessen unterlegen sie ihre Leichen-Videos mit billigster Filmmusik und kitschig-dramatisch eingesprochenem Text. Sie spielen den starken Provokateur, gehen mit dem Holzhammer vor, was dem Ziel, den Toten an den Grenzen Europas ihre Würde wieder zu geben, nicht unbedingt entspricht.

Aber dennoch: Das Zentrum für Politische Schönheit verdient unsere Unterstützung. Denn nichts ist brutaler und zynischer als der Tod, den die Menschen im Mittelmeer sterben bei dem Versuch, die Festung Europa zu erreichen. Leichensäcke vor dem Bundeskanzleramt – das Bild ist stark. Und wenn man sich nun leise wünscht, dass sie leer sein mögen, ist das vielleicht auch nur die eigene Sehnsucht danach, in seiner privilegierten Existenz nicht behelligt zu werden von dem verzweifelten Sterben der anderen.