Christo über seine Kunst

"Ich will die totale Freiheit"

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Der Künstler Christo in seinem Atelier in New York vor einem Bild seines Projekts "Floating Piers"

Christos Projekte gehören zu den größten der Welt, und der jetzt 80-Jährige zählt zu den weltweit bekanntesten Künstlern. Er strotzt vor Tatendrang - vielleicht weil ein Projekt ganz besonders gesund war?

Christos Atelier ist ebenso groß wie schlicht, der einzige Schmuck sind die oft metergroßen Skizzen für die Projekte, an denen er gerade arbeitet. In Deutschland verbindet man mit dem Künstler vor allem die Reichstagsverhüllung im Sommer 1995; in den USA erregte er unter anderem mit einem Werk aus Tausenden Toren im New Yorker Central Park Aufsehen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt er, warum seine Werke vergänglich sein müssen, was er als nächstes plant und warum er kein fremdes Geld will. Obwohl seine Frau Jeanne-Claude schon seit 2009 tot ist, spricht Christo immer noch von "wir", wenn er über seine Arbeit redet.

Christo, wie geht es Ihnen?
Christo: Hervorragend! Ich habe genug Arbeit, und das hält mich immer jung. Mit Arbeit waren Jeanne-Claude und ich immer am glücklichsten. Wir haben simultan drei Projekte, das macht wirklich eine Menge Arbeit. Aber eben auch eine Menge Spaß. Es ist fast wie der Bau einer Brücke, einer Autobahn oder eines Flughafens: Man muss an wahnsinnig viele Sachen denken und man braucht sehr viele Experten. Das ist nicht die normale Studioarbeit, wie man sie von Künstlern kennt.

Ihre Arbeit ist nicht für die Ewigkeit. Nach ein paar Tagen ist immer alles vorbei. Stört Sie das nicht?
Nein, das stimmt nicht. Es gibt viele meiner Arbeiten, die in Museen stehen oder in Galerien. Da sind meine ersten Werke dabei, mehr als 50 Jahre alt. Aber durchaus auch neuere Arbeiten. Die können Sie in Museen überall auf der Welt sehen.

Aber Ihre wichtigsten Arbeiten...
Nein, nicht die wichtigsten.

Na gut, dann sagen wir die bekanntesten. Ihre bekanntesten Arbeiten sind nach einigen Tagen wieder verschwunden.
Ja, das ist richtig. Das hat schon damit zu tun, dass wir die meisten Projekte zu einer ganz bestimmten Jahreszeit machen wollen. Entweder, weil sie dann am besten wirken. Oder, weil die Natur es einfach vorschreibt. Deshalb haben wir die Tore im Central Park im Februar aufgebaut, unmittelbar vor dem Frühling. Und unser Projekt um die Inseln vor Florida haben wir 1983 im Mai gemacht. Danach war nämlich Hurrikan-Saison.

Aber andere Projekte hätten ja durchaus Jahre oder gar Jahrzehnte stehen können. Warum bauen Sie alles nach zwei Wochen wieder ab?
Um den Moment zu leben. Es ist eine ästhetische Entscheidung, sich wieder davon zu trennen. Es kann nicht gekauft oder verkauft werden, man kann nicht damit handeln oder es besitzen. Wir verkaufen auch keine Eintrittskarten, jeder kann, jeder soll kommen. Es soll ein Erlebnis sein und dann bleibt ja durchaus etwas. Nämlich die Erinnerung. Außerdem gehört alles zum Kunstwerk dazu. Nehmen wir die Tore im Central Park. Ein Tor war kein Kunstwerk. Zwei Tore auch nicht, auch nicht drei. Aber 7503 Tore, zu einer ganz bestimmten Zeit an einem ganz bestimmten Ort, mit dem Hintergrund der Hochhäuser von New York - das war das Kunstwerk! Und dazu gehört auch, dass alles einmalig ist. Wir werden nie wieder ein Parlament einhüllen, wir werden nie wieder Schirme aufstellen, wir werden nie wieder Inseln umgürten und nie wieder Tore aufstellen. Selbst, wenn wir darum gebeten werden, was recht oft vorkommt. Wir haben immer etwas gemacht, was wir noch nie vorher gemacht haben. Und übrigens wussten wir selbst nie, wie es letztlich aussehen wird.

Sie haben sich immer geweigert, einen tieferen Sinn Ihrer Projekte zu erklären...
... weil ich das nicht kann. Denn jede Interpretation meiner Arbeit ist legitim. Ich kann doch niemandem vorschreiben, wie er über meine Arbeit zu denken hat. Ob er es überhaupt zur Kenntnis nimmt. Und es hängt ja auch vom Standpunkt ab. Ich kann den Deutschen nicht sagen, was der verhüllte Reichstag für die Deutschen bedeutet, denn ich bin kein Deutscher. Und als wir 1991 die 3100 Schirme gleichzeitig in Kalifornien und in Japan aufgestellt haben, wurde das völlig unterschiedlich interpretiert. Die Kalifornier sind da ganz amerikanisch mit dem Auto hingefahren, haben sich unter die Schirme gesetzt und Picknick gemacht. Die Japaner haben die Schirme eher wie ein Haus betrachtet und haben sich deshalb wie bei ihnen zu Hause die Schuhe ausgezogen, bevor sie unter die Schirme gegangen sind. Das gleiche Projekt hatte zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen.

Aber vor jedem Projekt müssen Sie jahrelang kämpfen, müssen Erlaubnis einholen, Genehmigung beantragen, Unbedenklichkeitsnachweise bringen und Millionen Dollar für Bürokratie ausgeben. Macht Sie das nicht manchmal wahnsinnig?
So ist es nun einmal in einem Rechtsstaat. Ja, es ist mühsam. Wir müssen Anwälte und andere Spezialisten beschäftigen, die für uns die Genehmigungen beschaffen. Ich habe hier gerade einen Ordner von 2200 Seiten in der Hand, alles Anträge und Schriftstücke. Die Behörden beauftragen Ingenieure und Professoren, die herausfinden sollen, ob unser Projekt ein Problem werden kann. Und das müssen wir natürlich bezahlen. Das werden in der Tat Millionen. Für mein Projekt am Colorado River sind schon mehr als 4000 Seiten Schriftstücke erstellt worden - für ein Kunstwerk, das noch gar nicht existiert. Aber das gehört dazu, das ist Teil des Kunstwerks. Und es hält mich am Leben! Das ist doch unglaublich spannend. Es würde mich eher verrückt machen, jeden Tag in einem Büro am Computer zu sitzen. Und ich treffe möglicherweise mehr Menschen als jeder andere Künstler. Für unser Projekt der Umbrellas in Kalifornien und Japan hatte ich mit 26 Ranchern und 469 Reisbauern zu sprechen. Wir haben 469 Tassen grünen Tee getrunken. Das war wahrscheinlich das gesündeste Projekt, das je ein Künstler gemacht hat.

Es fällt aber schon auf, dass Sie sehr oft in Deutschland gearbeitet haben: Köln, Kassel, Berlin, Oberhausen. Ist es doch eine besondere Beziehung zwischen Ihnen und Deutschland?
Aber natürlich! Ich hatte meine erste größere Ausstellung in Deutschland, da war ich in Paris lebender politischer Flüchtling, der kein Wort Deutsch sprach. Trotzdem wurde ich mit offenen Armen empfangen. Wir lieben Deutschland und wir haben so viele Freunde da. Und natürlich auch Kollegen und Partner. Deutschland ist ein Teil unseres Lebens.

Warum akzeptieren Sie eigentlich keine Sponsorengelder oder staatliche Subventionen?
Weil ich totale Freiheit will! Haben Sie irgendwelche Erfahrungen mit Diktaturen? Als 1956 der Aufstand in Ungarn niedergeschlagen wurde, bin ich von der Tschechoslowakei aus nach Wien geflohen, versteckt in einem Zug. Ich war ganz allein und 17 Jahre staatenlos, und das hat mich geprägt. Ich möchte frei sein, unabhängig. Ich habe mir meine Freiheit erkämpft und ich werde nicht einen Millimeter davon abgeben! Ich finanziere unsere Kunstprojekte, in dem ich Kunstwerke von mir verkaufe. Vielleicht ist das die große Ironie meines Lebens: Ich wurde marxistisch geschult und bin jetzt kapitalistisch erfolgreich.

Ihr aktuellstes Projekt ist in Italien. Was wollen Sie machen?
Unsere Arbeiten erstrecken sich oft über Jahrzehnte, weil wir vorher so viele rechtliche Fragen klären müssen. Ich wollte einmal etwas machen, was sich sehr schnell verwirklichen lässt. Und wir hatten da einen Plan, eine Idee, die ich noch mit Jeanne-Claude ausgeheckt hatte. In 50 Jahren haben wir 22 Projekte realisiert, 37 sind gescheitert, zumeist wegen fehlender Genehmigungen. Sie haben vielleicht bemerkt, dass viele meiner Projekte mit Wasser zu tun haben. Wir wollten immer etwas mit Pontons machen. In Japan hat das wegen der Genehmigungen nicht geklappt. Also haben wir es in Italien versucht und Chapeau für die Behörden dort. Die waren schnell und unkompliziert. Wir wollen jetzt eine große und eine sehr kleine Insel im Iseosee in Oberitalien miteinander verbinden. Man kann also zu Fuß rübergehen und sogar mit einem Boot an den Pontons landen, weil sie flach im Wasser liegen. Und wir verwirklichen das im Juni 2016, also in einem Jahr. Wir hängen gerade voll drin! Und wir haben es sogar schon ausprobiert, mit einem kleinen Teil auf einem See in Schleswig-Holstein. Und ich bin sehr optimistisch. Der Stoff für die Pontons kommt übrigens aus Deutschland. Sie sehen, ich komme von Ihrem Land einfach nicht los.

ZUR PERSON: Christo - am 13. Juni 1935 als Christo Wladimirow Jawaschew in Bulgarien geboren - ist ein weltberühmter Objekt- und Verpackungskünstler. In Deutschland steht er unter anderem für die Verhüllung des Reichstagsgebäudes im Jahr 1995, die er gemeinsam mit seiner 2009 gestorbenen Frau Jeanne-Claude angepackt hatte.