"Carrefour" in Berlin

Die im Dunkeln sieht man doch

In der Berliner ifa-Galerie erinnert "Carrefour" an die Marrakesch-Biennale

Ein Tisch mit kleinen Kegeln, Pyramiden und Quadern steht in der Berliner ifa-Galerie. An diversen Abenden im Jahr 2014 bot Saâdane Afif auf dem Platz Djemaa el Fnaa in Marrakesch – zwischen Gauklern und Geschichtenerzählern – Geometrieunterricht an. Eine Sprache, die jeder versteht.

Der algerisch-französische Künstler nahm mit der Aktion an der fünften Marrakesch-Biennale teil. Das war im Frühjahr 2014 und könnte halb vergessen sein, denn der große Bruder in Venedig absorbiert viel Aufmerksamkeit. Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) hat bereits mit früheren Ausstellungen der "Spot on"-Reihe auf Biennalen hingewiesen (in Schardscha, Mali und im Senegal), die im Schatten von Mega-Veranstaltungen stehen.

Die Kuratorin Alya Sebti leitete die MB5 und hat ein ähnliches Konzept – mit verkleinerter Besetzung und teils anderen Arbeiten – für die ifa-Standorte Stuttgart und Berlin entwickelt. Aus dem Biennale-Motto "Where are we now?" wurde die Gruppenschau "Carrefour" (französisch: Straßenkreuzung). Die Berliner Kuratorin Clara Meister hat 2014 mit ihren "Singing Maps and Underlying Melodies“ ein kurioses Orientierungssystem in Marrakesch installiert. An bestimmten Punkten der Altstadt waren marokkanische Musiker platziert, verschiedene Musikstile dienten als akustische Hinweisschilder. In Berlin präsentiert Meister ein maßstabsgetreues Modell der Medina, das sich als Lautsprecherbox entpuppt, aus der die arabischen Rhythmen erklingen.

Akustische Zeichen statt Beschilderung. Die Japanerin Megumi Matsubara zieht dem Sehen ebenfalls einen anderen Sinn vor. Ihr Parfum "La Japonaise" besteht aus acht einzelnen Düften, die die Künstlerin im Ausstellungsraum schweben lässt, flankiert von eingerahmten Texten, die von Intimität und Nacktheit und Schamgrenzen erzählen.

Drei weitere Ausstellungsteilnehmer haben marokkanische Wurzeln: Der Bildhauer Max Boufathal wie der Performance-Künstler Yassine Balbzioui arbeiten auf unterschiedliche Weise mit Masken. Leila Alaoui widmet sich in ihrer Video-Arbeit "Crossings" Menschen, die aus Subsahara-Afrika nach Europa flüchten. In einer Sequenz ist nur das schwappende Blau des Meeres zu sehen. Uferlos. Auf der Tonspur erklingt die matte Stimme von einem, der offenbar nicht mehr weiß, wohin. Zurückkehren? Weiterfahren? Sterben? Alaouis Kamera steht nicht am Ufer, vermeidet die Nachrichtenperspektive. Sie versucht, den Blick der Flüchtlinge einzunehmen. Europa steht im Bann des Flüchtlingsdramas. Wegschauen wird zunehmend schwerer. Und wo Blicke sich kreuzen, fängt vielleicht Empathie an.