Yayoi Kusama in New York

Alles ist gepunktet

Die Entfernung zwischen den beiden Porträts der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama scheint unüberwindbar. Zumindest, wenn man den Abstand zwischen dem Whitney Museum in der Madison Avenue und dem department store von Louis Vuitton in der 5th Avenue nicht nur in Blocks kalkuliert, sondern in Jahren.

Im Museum hängt ein daumengroßes Selbstporträt, das die Künstlerin, geboren 1929 in Matsumoto, Japan, als Jugendliche von sich machte. Im Schaufenster des Luxuskonzerns steht die 83-Jährige als lebensgroße Wachsfigur. Dazwischen liegen über 60 Jahre künstlerische Praxis und eine Geschichte, die oft wiederholt wurde und trotzdem immer wieder erzählt werden muss, um ihre Kunst und den Kult um ihre Person zu verstehen.

Nach einigen Jahren in New York, wo Kusama durch Filme und Performances auffiel, kehrte sie 1973 zurück nach Japan und ließ sich in eine psychiatrische Anstalt einweisen, wo sie seitdem lebt. Sie selbst spricht von einer Zwangsneurose und Kunst als Therapie.

Den Grund für Kusamas Doppelauftritt in New York erklärt der Chef des Luxuskonzerns, Yves Carcelle, im Gespräch. Man habe einen Sponsor für die Kusama-Retrospektive gesucht. Allein die Finanzierung der Schau habe den Konzern jedoch nicht interessiert. „Wir wollten zusätzlich eine globale Kooperation und kontaktierten Yayoi“, sagt Carcelle. „Sie war sofort begeistert.“

Neben einem Abdruck ihres Gesichts für die Wachsfigur willigte Kusama ein, ihre berühmten Polkapunkte für Handtaschen, Schuhe, Kleidung und die Fassade zur Verfügung zu stellen sowie ein „Phallus Field“ für die Schaufenster zu liefern. „Wir kooperieren mit Künstlern, um dem Produkt zusätzliche Emotionen zu verleihen“, sagt Carcelle. Aus dem jungen Mädchen, das sich in Straßenkleidung porträtierte, ist ein Markenzeichen mit leuchtend roten Haaren und Punkteoutfit aus der Manufaktur geworden.

"I love it so much"
Auch Kusama ist vor Ort, und eine Übersetzerin erklärt ihre Antwort auf die Frage, was sie mit der Mode verbinde, so: „I love it so much it nearly drives me crazy“, was die Journalistenrunde angesichts ihrer Krankheit zum Lächeln bringt. Schon früh hat Kusama ja die Punktephilosophie auf allerlei Gegenstände übertragen, Farbtupfer ins Wasser gesetzt, auf Pferde oder Pflanzen gemalt. Bis heute gestaltet sie so auch Kleidung und Accessoires, darunter eine Handtasche, die Louis-Vuitton-Designer Marc Jacobs bei einem Studiobesuch 2006 aufgefallen sein soll. Sechs Jahre später trägt eine ganze Kollektion ihren Namen.

Die Shoperöffnung gerät zum Starauftritt. Abgeriegelter Gehweg, Sicherheitskräfte, Blitzlichtgewitter. Kusama wird aus einem gepunkteten Rollstuhl gehoben, die Menge schreit. Glücklich sieht sie aus. Später, beim Interview, wird übersetzt warum. Seit über 50 Jahren kämpfe sie darum, ihre Botschaft in die Welt zu bringen, Glück und Frieden in ihrer Kunst auszudrücken. „Louis Vuitton hat diese Bedeutung endlich verstanden“, glaubt sie. „Es geht nicht um den Verkauf der Produkte. Es geht darum, die Philosophie meiner Polkapunkte zu verbreiten, eine spirituelle Geste zu setzen.“ Kusama ist überzeugt, die Menschen werden das verstehen.

"Yayoi Kusama", Whitney Museum of American Art, New York, bis 30. September 2012