Robert Wilson im Interview

Alle Welten in einer

In Venedig zelebriert Robert Wilson im Magazzini del Sale seine Liebe zu "Alice im Wunderland"

Robert Wilson ist dem weißen Kaninchen gefolgt. Der 70-Jährige hat sich in den Kaninchenbau gestürzt und ist in Venedig gelandet. Nachdem er 1993 den Goldenen Löwen der Biennale für seine Installation "Memory/Loss" bekommen hat – eine "fürchterlich ernste Skulptur über mongolische Folter" – ist er in diesem Jahr in etwas beschwingterer Mission unterwegs. Zum 25. Geburtstag der von Künstlern designten Illy art collection hat der Theaterregisseur seine Installation "The dish ran away with the spoon. Everything you can think of is true" im Magazzini del Sale aufgebaut: eine klingende Tassen-Traumwelt mit Anleihen bei "Alice im Wunderland", einem Bestiarium und einer verschrobenen Kaffeetafel. Monopol hat zur Eröffnung mit ihm gesprochen

In "Alice im Wunderland" sagt die Raupe zu Alice, dass alles, was sie sich vorstellen kann, wahr ist. Ist diese Form von Vorstellungskraft in Zeiten von alternativen Fakten für Sie etwas Zwiespältiges?
Robert Wilson: Alles hat zwei Seiten. Nichts ist nur gut oder schlecht. Es gibt zwei Hände an einem Körper, zwei Gehirnhälften in einem Kopf. Auch als ich "Faust" inszeniert habe, hat mich diese Dualität interessiert. Zwei Protagonisten, zwei Teile, Himmel und Hölle, eine Welt, vielleicht sind auch Faust und Mephisto eins. So ist es auch bei "Alice im Wunderland". Ich habe die Geschichte schon immer geliebt. Alle diese Welten kommen zusammen, sowohl helle als auch dunkle. Sie ergänzen sich. Durch den Kontrast wird das Helle heller und das Dunkle dunkler.

Denken Sie den Kunstraum als Bühne?
Ja, man trifft eine Entscheidung in Zeit und Raum. Ich habe immer zuerst eine abstrakte Struktur im Kopf, etwas mathematisches, und dann ordne ich den Zahlen Szenen oder Bilder zu und kombiniere sie. Das ist nichts Neues, das ist Thema und Variation, deshalb hasse ich auch den Begriff "Avantgarde". Es ist eine klassische Ordnung. Avantgarde heißt, das Klassische wiederzuentdecken. Das ist im Kunstraum genauso, es ist immer eine Abfolge von Elementen und Ereignissen, ein bisschen wie eine Perlenkette, oder vielleicht eher ein Cheese-Burger.

In "Alice im Wunderland" werden Objekte verzaubert und treten als Persönlichkeiten auf. Passt das zu Ihrem Kunstmachen?
Ja. So war es auch bei den Tassen für diese Ausstellung, sie verkörpern für mich all die verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten. Auch in jeder Person stecken verschiedene Identitäten. Die Installation ist wie ein Prisma. Ich habe mich in die Welt von Alice begeben und ich wollte etwas voll Poesie und Geheimnis machen. Wir haben schon früher immer gesagt: Alles was du tust, sollte Kinder ansprechen. Ich wollte auch Tiere dabeihaben, weil sie von Anfang an meine Arbeit beeinflusst haben. Sie nehmen mit dem ganzen Körper wahr, das müssen Schauspieler auch können.

Im Herbst widmen Sie sich nach Faust dem nächsten deutschen Volkshelden und werden mit Steve Reich in Berlin ein Luther-Stück aufführen. Suchen Sie eigentlich immer wieder Berlin oder ist es umgekehrt?
Die Deutschen brauchen mich, weil ich so undeutsch bin. Ich bin praktisch Bugs Bunny aus Texas. Die deutsche Bildung zielt darauf ab, nach der Ursache für die Dinge zu fragen. Das hat mich nie interessiert. Ich beginne immer mit der Wirkung der Dinge. Das fanden Deutsche am Anfang beleidigend. Meine Herangehensweise ist eher Zen. Ich will eine Idee nicht festnageln müssen. Mein Punkt ist: "Was ist es?"und nicht: "Warum ist es das?"