Diedrich Diederichsens Buch "Über Pop-Musik"

Außer Rand und Band

Diedrich Diederichsen ist der Dialektiker unter den Poptheoretikern Deutschlands, und der Gegenstand seiner Analysen kann genauso wenig ruhig sitzen wie der Denker selbst: Popmusik ist bei ihm nie nur Musik, sondern ein dynamisches Gebilde zwischen Klang, Bild, Mode, Aufführung und, ganz zentral, Publikum.

Was ihn an der Kunst interessiert, sieht er in der Popmusik bereits erprobt – das ungeklärte Verhältnis zwischen Rolle, Pose und Performer. Erst das Spiel mit authentischen und gleichzeitig nicht authentischen Signalen macht für Diederichsen Popmusik aus. Das gleiche Flirren sieht er in der Kunst, etwa in den Werken von Phil Collins, Vanessa Beecroft oder Thomas Hirschhorn. Die Beziehung zwischen Popmusik und bildender Kunst besteht also nicht in der Gestaltung von Covers oder Videos, sondern in einer ähnlichen Kommunikation. Videos, Installationen oder Reenactments lassen sich so auf Popmusik beziehen.

Etwas mehr Platz als andere bekommt Diederichsens 2012 verstorbener Freund Mike Kelley. Der Künstler setzte die Zeichen musikalischer Gegenkulturen nie nur bejahend ein. Auch begrenzte der aus Michigan stammende Kelley die Musikreferenzen nicht auf Metropolen. Popmusik ist für Diederichsen ebenso gerade da interessant, wo sie abseits der Aufmerksamkeit ihr Unwesen treibt, etwa bei Heranwachsenden in der Provinz. Besonders viel von solchen Rändern verrät das Buch allerdings nicht.

Diederichsen sprüht oft, schweift ab, verliert Fäden und findet neue, die umso schöner sind. Wie Kelley wehrt er sich dagegen, Komplexität zu reduzieren, damit sie vom Medienbetrieb leichter verarbeitet werden kann. Man darf von diesem Autor auch in diesem Fall kein griffiges Buch oder gar eine Leitthese erwarten, wie es der Verlag mit der Bezeichnung Opus magnum leider nahelegt.

Diedrich Diederichsen, "Über Pop-Musik". Kiepenheuer & Witsch, 474 Seiten, 39,99 Euro