"Avatar und Atavismus" in Düsseldorf

Künstlerpsychen laufen aus dem Ruder

Die Kunsthalle Düsseldorf wird drastisch mit "Avatar und Atavismus"

Die Schadensbilanz der "Dame mit Hirn" könnte nicht größer sein: Das Denkorgan hängt schlaff an ihrer linken Schläfe, die Augen sind weit aufgerissen, die Wangen puterrot. Der Rest des verwelkten Leibs fehlt. Selbst das nebenan platzierte martialische Duett von Jonathan Meese und Tal R schafft es kaum, dieses existenzielle Selbstporträt, das die im vergangenen Jahr gestorbene Maria Lassnig Anfang der 90er malte, zu übertönen. Dabei zielt ihre Rauminstallation "Mutter" deutlich darauf ab, mit einem kaputten Barbie-Look die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In dem rosa Privatschrein von Meese und Tal R wimmelt es von Puppengliedmaßen, Fetischen und Skeletten. Da übt sich Rosemarie Trockel mit ihren Skimasken in einer Vitrine fast schon in Understatement.

Die Zerstückelungsmanie der durch die Jahrzehnte swingenden Themenschau "Avatar und Atavismus" ist hier lange noch nicht zu Ende. Aufgespießte Kopfskulpturen von Günther Förg treffen in der Düsseldorfer Kunsthalle auf halslose "Lemurenköpfe" von Franz West, während Bruce Nauman zwei Neonhäupter mit sich gegenseitig in die Augen stechenden Zeigefindern ins Duell schickt. In den 80er-Jahren, so die These von Kurator Veit Loers, tauchten die Archetypen des Körperlichen mit Macht wieder in der westlichen Kunst auf – als Gegenmittel zu Abstraktion und Konzeptualismus, die viel zu vergrübelt waren. Georg Herold etwa fand 1984 den "Nachweis höherer Intelligenz" beim spöttischen Schädelvergleich zwischen Albert Einstein und einem Neandertaler.

Der Blick ging zurück auf vorzivilisatorische Formen, auf Torsi, Hände, Münder und Gesichter, die wiederkehrende Motive der Selbstbefragung waren. Etwa für Schamanen, die ihr Selbst erst in Einzelteile zerlegten, um sich auf einer inneren Reise in ein neues Ich zu transformieren. Weswegen auch Louise Bourgeois’ "Femme" als androgyne Urmutter durchgehen könnte, die ihre Wiedergeburt noch vor sich hat. Die atavistisch inspirierte Kunst findet ihr Gegenüber in den fragmentierten Figuren der Outsider: Sie bleiben, in zwei Raumecken eng gehängt, unter sich und illustrieren etwas repetitiv den Befund, dass die Körperwahrnehmung von Psychiatriepatienten oft gestört ist. Mitunter wirkt der Ansatz beider Lager verblüffend ähnlich, so findet sich Gehäkeltes sowohl bei Mike Kelleys Stoffspielzeug als auch bei den Kopfobjekten des Outsiderkünstlers Alfred Stief.

Die Gegenwart zieht nicht etwa mit digitalen Avataren ein, die ohnehin durch Abwesenheit glänzen. Statt Ed Atkins breitet John Bock wenig überraschend den zersägten Inhalt seines Mörderkoffers aus. Die postmoderne Verunsicherung hätte man doch gerne am Beispiel eines weniger stereotypen Personals erfahren. Doch die Ausstellung fragt lieber erst gar nicht, was aktuell den Boden unter den Füßen wegzieht. Es geht nur um die vielen Stadien der aus dem Ruder laufenden Künstlerpsychen – etwas simpel ist diese Einsicht schon.