Jura-Professor

"Bei Kunst ist jeder Prozessausgang möglich"

Frankfurt (Oder) – Immer wieder landet Kunst vor dem Richter - als «Opfer» genauso wie als «Täter». Juristisch ein hochspannendes Thema, sagt Uwe Scheffler, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) anlässlich der Ausstellung «Kunst und Strafrecht» im dpa-Interview.

Die Kunst ist doch frei, warum landet sie überhaupt vor Gericht?
Die Freiheit der Kunst ist zwar im Grundgesetz verankert, aber sie gilt natürlich nicht unbegrenzt. Sonst hätte ja ein Helmut Newton seine Modelle zwingen können, sich ausziehen – mit Verweis auf die Kunstfreiheit. Vergröbert gesagt steht die Kunst über den "einfachen" Gesetzen. Gerät sie in Konflikt mit einem vom Grundgesetz geschützten Recht wie etwa der Glaubensfreiheit, beginnt ein juristischer Abwägungsprozess.

In der Ausstellung wird Kunst sowohl als «Opfer», etwa durch Beschädigung, wie auch als «Täter», beispielsweise durch Beleidigung, behandelt. Was ist juristisch problematischer?

Die zweite Kategorie. Delikte wie Kunstfälschung, Diebstahl, Betrug etc. können zwar auch kompliziert sein – so gibt es beispielsweise keinen speziellen Paragrafen für Kunstfälschung – aber besonders spannend sind Fälle, in denen es um die Frage geht, wo die Kunstfreiheit endet.

Was genau kollidiert denn, wenn zum Beispiel Jonathan Meese den Hitlergruß zeigt und sich auf die Kunstfreiheit beruft?
Zuerst einmal muss geklärt werden, ob es in der verhandelten Sache überhaupt um Kunst geht. Und da kann es schon ganz schwierig werden. Es gibt zwei unterschiedliche Definitionen des Bundesverfassungsgerichtes, die aber nicht immer weiterhelfen. Weiter muss der Richter klären, ob etwa im Fall Meese die Kunstfreiheit höher zu gewichten ist als das Verbot, NS-Zeichen zu zeigen. Hier entscheiden Gerichte durchaus nicht einheitlich. Die Kunstfreiheit obsiegt häufig erst vor dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht.

Wenn Sie Richter wären – hätten Sie Meese verurteilt? Den Hitlergruß hat er in einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» gezeigt - zum Thema «Größenwahn in der Kunst».
Möglicherweise. Es fällt schon schwer, diese Interviewsituation als eine künstlerische Performance einzuordnen. Unwichtig ist hingegen bei der strafrechtlichen Beurteilung, ob die Kunst als gut oder schlecht oder geschmacklos eingestuft wird.

Wie ist das umstrittene Lied des Rappers Bushido «Stress ohne Grund» einzuschätzen?
Das ist eher eine Lachnummer, eine kalkulierte Provokation. Ich finde den Text geschmacklos, aber ich kann da nichts strafrechtlich Relevantes erkennen.

Kunst vor Gericht – ist das ein neues Phänomen?
Nein. Fälschung oder Diebstahl von Kunst gab es schon immer, aber auch das Thema Kunst und Pornografie beispielsweise war um 1900 hochaktuell. Damals wurden Kunsthändler angeklagt, die Postkarten mit nackten Motiven von Malern wie Rubens in ihr Schaufenster legten. Dass die Kunstfreiheit so umfassend geschützt ist, hat in Deutschland erst das Grundgesetz von 1949 bewirkt.

Gibt es einen Trend, wie Gerichte über Kunst urteilen?
Von Strafgerichten wird heute nicht härter geurteilt als vor einigen Jahren, eher im Gegenteil. Auffällig ist allerdings, dass über Kunst inzwischen eher im Zivilrecht verhandelt wird. Etwa im Falle der von einer Malerin vor einigen Jahren Zeit nackt vor der umstrittenen Waldschlößchenbrücke abgebildeten Dresdner Bürgermeisterin. Da geht es dann um Unterlassungsklagen, aber auch um Geld.

Warum beschäftigen Sie sich gerade mit diesem Thema?
Mich hat Kunst schon immer interessiert, so hat es sich ergeben, dass ich seit vielen Jahren zu diesem Thema lehre. Und juristisch ist das hochspannend: Wenn es um Kunst geht, kann niemand sicher vorhersagen, wie ein Prozess ausgeht!

Uwe Scheffler ist Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Er lehrt Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Er wurde am 2. Dezember 1956 in Berlin geboren. Forschungsschwerpunkt des Juristen sind die Themen Straf- und Strafprozessrechtsreform, Verkehrsstrafrecht, Medizinethik und Kriminalität im Grenzgebiet. Zudem beschäftigt er sich wissenschaftlich seit Jahren mit dem Themenkomplex «Kunst und Strafrecht».