Versteckte Daten im Mauerwerk

Dead Drops werden Kunst

Tote Briefkästen aus der Zeit der Agententhriller erleben ihre digitale Renaissance: "Dead drops" haben sich als Kunstprojekt rund um den Globus verbreitet. In Denkmälern und Wänden eingemauerte USB-Sticks sollen Datenaustausch im öffentlichen Raum ermöglichen

Seinen Namen nennt der junge Mann lieber nicht - auch Fotos mag er nicht. "Es ist nicht ganz legal, was ich hier mache, aber auch nicht illegal", meint er und verschmiert Zement am Sockel eines Denkmals in Hannovers Stadtwald Eilenriede. Oben drauf steht ein gehörntes Fabeltier, darunter ragt das metallene Ende eines eingemauerten Datenträgers kaum erkennbar aus dem Sockel.

Der junge Mann ist Anhänger eines Kunstprojektes, das sich weltweit längst verselbstständigt hat. "Dead Drops" nennt sich die Bewegung, die er unterstützt. Der Name steht für Tote Briefkästen - im Kalten Krieg waren das Verstecke für geheime Nachrichten, die von Spionen in Astgabeln oder unter losen Steinen anonym übergeben wurden. Heute sollen Passanten auf die Datenträger laden, was sie gerade los werden wollen. Oder staunen über das, was die Vorgänger in der digitalen Wundertüte hinterlassen haben. Es ist eine Tauschbörse der besonderen Art: Computer anstöpseln und los geht's - auch auf die Gefahr hin, sich dabei eventuell einen Computer-Virus einzufangen.

Es ist ein Flirt mit dem Konspirativen - und der Vorstellung, zum Denken anzuregen: Das Denkmal wird zum digitalen Datenträger. In Köln entdeckten Polizisten nach einem Medienbericht in so einem Dead Drop allerdings Anleitungen für den Bombenbau. Sie waren nicht begeistert - seitdem ist der Datenträger zerstört.

In Grenzen hält sich auch die Begeisterung beim Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. "Sowas poppt immer wieder mal als Trend auf und verselbstständigt sich dann, so ähnlich wie bei Graffitis oder den Liebesschlössern", sagt dessen Sprecher Thorsten Bullerdiek. Als echtes Problem sei der neue Trend aber noch nicht von den Kommunen entdeckt worden. Die Rechtslage allerdings sei klar: "Ohne Genehmigung des Eigentümers handelt es sich eindeutig um Sachbeschädigung."

Das sieht der selbst ernannte Aktionskünstler aus Hannover natürlich völlig anders. "Das Loch im Stein war schon da, ich hab es nur zugespachtelt", sagt er. Nach eigenem Bekunden hat er schon mehrfach zugeschlagen, auch in London. Lyrik, Fotos, selbst wissenschaftliche Arbeiten oder auch nur blödsinnige Sprüche fand er auf seinen eingemauerten Sticks: "Was sich konkret auf den Datenträgern befindet ist immer wieder eine Überraschung."

Der in Bremen geborene Medienkünstler Aram Bartholl beansprucht die geistige Urheberschaft für das Projekt, das er nach eigenem Bekunden 2010 bei einem New York-Aufenthalt entwickelt hat. Bei der Kunstmesse in Basel hat er nach eigenen Angaben gerade am "Haus der elektronischen Künste" einen weiteren Datenträger angebracht, im Pariser Palais du Tokyo nahe dem Eiffelturm gibt es ebenfalls neue USB-Sticks im Mauerwerk. "Das Ganze hat nichts von seinem Reiz verloren", sagt Bartholl über sein offenes Experiment, gibt aber zu: "Die weltweite Resonanz war komplett unerwartet."

Ihn fasziniert neben dem Abenteuerfaktor die Verbindung von digitaler und realer Welt: "Die Daten befinden sich ja nicht in irgendeiner Cloud, sondern sind fest einzementiert." Die USB-Sticks sind in Felswänden, auf Liebesschlössern, in Felswänden oder sogar auf Rolltreppen zu finden. Ein Blick auf die Projektseite des heute in Berlin lebenden 42-Jährigen weist weltweit zwischen Brüssel, Dallas, Edinburgh, Trondheim, Rio, Wien oder Montreal 1544 solcher eingemauerten USB-Sticks mit einer Kapazität von 10 224 GB aus - der jüngste in Hannover ist noch nicht dabei.

"Nach zwei, drei Wochen sind viele von den Dingern leider nicht mehr zu gebrauchen", sagt der Medienkünstler in Hannovers Stadtwald Eilenriede. Nicht nur wegen der Witterung: Vandalismus macht auch vor den kleinen Datenträgern nicht Halt.