Matthew Plummer-Fernandez im Interview

"Dem Bot ist egal, ob es ein Warhol ist"

Kunst interpretieren, das ist Menschensache. Keine Maschine kann das – sollte man meinen. Aber jetzt hat Matthew Plummer-Fernandez einen Bot programmiert, der über abstrakte Gemälde schreibt: den "Novice Art Blogger". Ein Gespräch über Algorithmen, Kunst und die Ohnmacht der Technik

Herr Plummer-Fernandez, erklären Sie uns, wie Ihr "Novice Art Blogger" funktioniert?
Das Computerprogramm, das ich geschrieben habe, greift auf Bilder aus dem Online-Archiv der Tate Modern zu. Ein Bild wird zufällig ausgewählt und im Blog gepostet. Darunter stehen dann ein paar Sätze, in denen der Bot das Bild beschreibt und interpretiert.

Wie kommt diese Bildbeschreibung zustande?
Das funktioniert über einen Algorithmus, den Wissenschaftler von der Universität Toronto entwickelt haben: Der Algorithmus gleicht Bilder, die ihm vorgesetzt werden, mit einer großen Datenbank von Fotos ab. In dieser Datenbank sind zu den Fotos auch Bildunterschriften gespeichert.

Und dann schlussfolgert der Algorithmus: Wenn das neue Bild einem aus der Datenbank ähnlich sieht, dann muss auch die Bildbeschreibung ähnlich sein?
Genau. Beim "Novice Art Blogger" steht der Algorithmus aber vor dem Problem, dass es in seiner Datenbank keine Kunstwerke gibt – sondern nur Fotos von alltäglichen Dingen: Krawatten, Pizza, Vasen, Regenschirme. Er muss also die abstrakten Kunstwerke aus dem Tate-Archiv, die ich ihm vorsetze, mit diesen Sachen vergleichen.

Das ergibt ziemlich poetische Interpretationen: In einem Druck von Anish Kapoor sieht der Bot Donuts. Das rührt mich irgendwie.
Es hat so etwas Naives, nicht? Der Algorithmus hat keine Ahnung von der Sprache, die wir benutzen, um Kunst zu beschreiben. Er hat auch noch nie von den Künstlern gehört, deren Werke er interpretiert. Dem Bot ist egal, ob er da einen Warhol beschreibt oder das Bild eines komplett unbekannten Malers. Er kann nur benennen, was er sieht – oder glaubt, zu sehen. In dem abstrakten Gemälde "Death and the Conquistador" von Aubrey Williams ist das zum Beispiel eine Pizza.

Wir Menschen würden den Titel "Death and the Conquistador" lesen und sofort denken: Aha, da muss es doch um Krieg und Tod gehen.
Und genau das macht der Bot eben nicht. Er lässt den ganzen Kontext außer Acht: wie das Werk heißt, wo es hängt, wie teuer es versteigert wurde. Und ich finde, der Bot hat oft ziemlich Recht mit seinen Interpretationen. Ich kann in "Death and the Conquistador" auch eine Pizza sehen. Das Bild ist größtenteils gelb, dann diese roten Stückchen und das Dunkle. Das passt doch!

Wie sind Sie auf die Idee zum "Novice Art Blogger" gekommen?
Ein Freund hat mir erzählt, dass es diesen Algorithmus gibt, der Bilder in Textform beschreibt, und dass der Code frei verfügbar ist. Ich hab ihn mir angeschaut und festgestellt, dass er bei Alltags- und Pressefotos ziemlich gut funktioniert. Dann hab ich mich gefragt: Womit kann ich diesen Algorithmus herausfordern? Wie kann ich ihn komplett anders nutzen, als seine Programmierer es beabsichtigt hatten?

Mit abstrakter Kunst klappt das ziemlich gut. Meinen Sie, der Bot hat Spaß daran, sich Bilder aus der Tate Modern anzuschauen?
Ich denke, ja. Er würde sich langweilen, wenn er immer nur Fotos aus der Zeitung bekommen würde und immer schreiben müsste: Drei Herren im Anzug sitzen an einem Tisch…

Haben Sie schon früher Computerprogramme als Kunstwerke entwickelt?
Ich habe schon einige Bots programmiert – meistens waren es Twitter-Bots. @Every_User_ zum Beispiel twittert alle zwei Minuten den Namen eines Twitter-Users. Er hat beim ersten User, der sich jemals auf Twitter registriert hat, begonnen und ist inzwischen bei Nummer 812.341 angekommen. Der Bot erinnert uns daran, dass wir alle Nummern sind in den riesigen Datenbanken der sozialen Medien. We are Database.

Was bringt Sie als Künstler dazu, Computerprogramme zu schreiben?
Es gibt dieses vorherrschende Narrativ über die Technik und die fortschreitende Automatisierung: Die Maschinen werden einmal die Weltherrschaft übernehmen, sie werden böse und sie werden uns Menschen vernichten. Dem widerspreche ich mit meinen Bots, die einfach albern sind, verspielt und absurd, anstatt machtvoll und bedrohlich. Der "Novice Art Blogger" macht sichtbar, dass die künstliche Intelligenz, der Algorithmus zur Bilderkennung nur mit ganz bestimmten Parametern funktioniert. Ändert man den Input und füttert ihn mit abstrakter Kunst, kommt nur noch Nonsens dabei raus. Technologien sind viel fragiler als wir denken.

Wird Programmieren etwas sein, das die Künstler der Zukunft so selbstverständlich beherrschen  wie die Künstler von heute zeichnen oder fotografieren?
Ich denke schon. Es gibt schon jetzt viele Künstler, die sich mit der digitalen Welt auseinandersetzen und dafür auch digitale Mittel nutzen. Das Publikum für solche Kunst wird immer größer: Der "Novice Art Blogger" zum Beispiel hat 12.000 Follower. Das geht schon lange über eine kleine Insidergruppe von Nerds hinaus. Aber auch auf lange Sicht kann ich mir nicht vorstellen, dass Programmieren klassische Medien wie Malerei oder Skulptur verdrängen wird. Es wird immer auch handgemachte Kunst geben.