Gallery Weekend

Drei Tage wach: Höhepunkte der Berliner Galerienschau

Vielleicht könnte dieser Smiley mit Hitlerbärtchen und -scheitel das inoffizielle Gesicht des Gallery Weekends 2009 werden, so süß und böse, wie er ist; ein trotziger Bastard aus Ernst und Spaß und Anspruch und Übertreibung. Der Künstler Ralf Ziervogel hat dieses ikonische Zeichen aus Lack und MDF geschaffen und stellt es nun in der Galerie Arndt & Partner aus. Das Berliner Galerienwochenende startet heute in die dritte Runde, der Boom ist vorbei und die hauptstädtische Galerienlandschaft muss sich unter den neuen Verhältnissen, die noch niemand so richtig überblicken kann, neu sortieren. Doch statt verzagt und lustlos an diese Aufgabe zu gehen, zeigt man Geschlossenheit und hohe Qualität und macht sich auch ein wenig lustig über die Jahre, in denen „Young German Art“ (so der Titel von Ziervogels Show) weltweit der Renner war. Das Gallery Weekend wurde einst von Galeristen aus Unzufriedenheit mit der Berliner Kunstmesse Art Forum gegründet – im Trotz findet es seither seine größte Stärke.
 
In diesem Jahr präsentieren 38 Galerien – so viel wie noch nie – das Beste aus ihrem Programm und organisieren ein Wochenende lang ein Rahmenprogramm und einen gemeinsamen Auftritt. Monopol stellt einige Höhepunkte vor:
 
André Butzer bei Guido W. Baudach und Max Hetzler: Auf seiner Website macht der Maler gerade Werbung für die New Yorker Frühjahrsauktionen. Dort werden auch einige seiner Gemälde verkauft, und Butzer empfiehlt: "Kaufen Sie jetzt, jetzt ist es billig“. 400 oder 500 Dollar, einen höheren Schätzpreis traut der Künstler seinen Arbeiten nicht mehr zu. Ist natürlich ironisch gemeint und kokett, aber Butzer-Bilder waren gefragt besonders bei amerikanischen Sammlern, und die halten sich eben im Moment zurück. Ungetrübt davon macht er weiter mit seiner Kulturindustriesimulation. „Ich wollte meine eigene, selbst produzierte Massenkultur machen“, sagte der Maler einmal. Er geht dieses Vorhaben aber ausgerechnet mit den Mittel der expressiven Malerei an. Der Reiz liegt darin, dass er Serialität ausspielt gegen vermeintliche Spontaneität des Expressionismus, der Art Brut oder Outsider Art. In den Bildern, die nun in Berlin zu sehen sind, ist das Ensemble aus comicartigen Figuren, mit denen der Künstler bekannt wurde, verschwunden hinter krummen Grundformen, pollockartigen Geschlinge, pastosen Gebirgszügen und flächigen Farbaufträgen. Bei Hetzler wirkt alles reduziert, bei Baudach gibt es echte Farbopern.
 

Richard Artschwager bei Sprüth Magers: Bald neunzig Jahre alt ist der amerikanische Künstler mit den deutschen Vorfahren, aber einiges an Arbeit ist noch liegengeblieben. In der Galerie Sprüth Magers, die erstmals beim Gallery Weekend teilnimmt, stellt er nun Skulpturen aus, die auf Entwürfe aus den 60er-Jahren zurückgehen: In einem ersten Galerieraum kann sich der Besucher Skizzen aus alten Notizbüchern ansehen, im zweiten Raum dann die Ausführungen, die im letzten Jahr entstanden. Artschwager präsentiert Möbel als Kunst und macht aus Skulpturen Bilder, indem er sie mit „Resopal“ beschichtet. Hier steht auch ein „Tisch“, der zu den ersten Arbeiten Artschwagers gehörte: eine Kiste, auf der farbiges „Resopal“ geklebt ist, das eine Tischdecke, Tischbeine und den leeren Raum unter der imaginierten Tischplatte darstellt. Als der Künstler so etwas zum ersten Mal zeigte, war es eine Provokation, denn allenthalben wurde die Strenge der Minimal-Art gefeiert. Heute ist es Kunstgeschichte.
 
Jack Goldstein bei Daniel Buchholz: Ein Tisch, darauf ein Glas Milch. In gnadenloser Wiederholung hämmert eine Faust auf die Tischplatte, bis die Milch verschüttet ist. “A glass of milk” (1972) ist ein früher Schwarz-Weiß-Film des Amerikaners und trägt doch schon die entscheidenden Merkmale seiner Kunst: Setting und Handlung sind minimalistisch – und doch entfaltet das Werk Drastik, Beklemmung, vielleicht auch eine erotische Spannung: Die Faust erzeugt einen Rhythmus wie von marschierenden Soldaten oder Bombendetonationen, ein stakkatohaftes Donnern, das einem in die Glieder fährt. Goldstein, der bei John Baldessari studierte, zählt zusammen mit Robert Longo, Cindy Sherman, Richard Prince oder Louise Lawler zu den wichtigsten Künstlern der “Pictures Generation”, mit denen die Postmoderne in der zeitgenössischen Kunst begann. War die Performancekunst der 70er-Jahre noch weitgehend politisch motiviert, faszinierte Goldstein (1945 – 2003) am Krieg vor allem das Spektakelhafte. Für einen seiner bekanntesten Filme, “The Jump” (1978), eignete er sich die Aufnahme eines Turmspringers aus Leni Riefenstahls Olympiafilm an, und seine großformatigen, nachtschwarzen Gemälde zeigen Fliegerangriffe des 2. Weltkrieges. An einem anderen Überwältigungsprogramm arbeitete Goldstein in seinen Schallplatten, die zusammen mit Filmen, Bildern und einer Skulptur in der Galerie Daniel Buchholz ausgestellt werden: Darauf sind Geräusche von Ozeandampfern oder Zügen zu hören, Sounds, die an die Größe und Weite der Natur erinnern. Doch sind sie bei ihm eben nicht mehr in direkter Erfahrung, sondern nur mehr technisch vermittelt zu erleben. Eine Weltsicht, die mit den “Pictures Generation” in die Kunst kam.
 
Amy Sillman bei Carlier / Gebauer: Sie malt nicht die Wirklichkeit, sie postuliert Wirklichkeiten. Die 1956 in Brooklyn geborene Künstlerin hat bereits 2007 ihren europäischen Galerieneinstand gefeiert. Jetzt ist ihre zweite Soloschau, „Zum Gegenstand“, bei Carlier / Gebauer zu sehen. Standen vor zwei Jahren vier Gemälde im Zentrum der Präsentation, findet diesmal ein Dialog zwischen Malerei und Zeichnung statt: eine Gegenüberstellung, in der Sillmans vielfältiges Instrumentarium besonders augenfällig wird. In den „Seating-Chart“-Zeichnungen nimmt die Künstlerin mittels kleiner satirischer Texte ein offizielles Dinner zum G-20-Weltfinanzgipfel in London aufs Korn, und Humor gehört auch zu den wichtigsten Zutaten ihrer gemalten Bilder, die zumindest vordergründig viel dem Abstrakten Expressionismus verdanken. Sillman ist allerdings alles andere als eine Mal-Berserkerin. In sanften, oft pastellfarbenen Tönen, malt die Amerikanerin Bilder, die wie Notationen zukünftiger Ereignisse wirken. Bei aller Ungegenständlichkeit streut Sillman hier und da stark verfremdete Elemente der sichtbaren Wirklichkeit ein: fragmentierte Hände oder Augen trudeln durch eine Malerei, die zugleich psychologisch und physisch wirkt.
 
Michael Schmidt bei Nordenhake: Hier sind Aufnahmen aus über vier Jahrzehnten zu sehen, aus den Serien “Stadtbilder”, “Landschaften” und “Architektur” – unspektakuläre, in den für Schmidt typischen Grautönen gehaltene Aufnahmen von Deutschland, seinen Nicht-Orten, Industriebrachen und Bewohnern. Die meisten der gezeigten Bilder stammen aus der Serie “Waffenruhe”, mit der Schmidt in den späten 80er-Jahren der Durchbruch gelang. Schmidt greift für Ausstellungen stets auf sein riesiges Archiv zurück, ändert die Motive und auch die Zusammenstellung der Bilder. Es gibt von ihm nicht das eine, das entscheidende Bild und auch keine überwältigenden Riesenformate, wie man sie von den Becher-Schülern kennt. Statt mit der Malerei zu konkurrieren, sieht er das Spezifische der Fotografie in ihrem seriellen Charakter. Durch die stets aktualisierte Hängung entstehen neue Bedeutungen und Zusammenhänge. “1+1=3”, benannte der Berliner Fotograf einmal seine Formel, um zu unterstreichen, dass Bedeutung für ihn erst durch das Zusammenspiel verschiedener Motive entsteht. Diese Arbeitsweise spiegelt eine humanistische Sicht auf die Welt: Schmidt, der im Ost- und im Westteil der Stadt gelebt hat, misstraut allen totalitären Systemen: Wenn er seine Arbeiten stets neu zusammenstellt, scheint er auch auszudrücken, dass für ihn keine eindeutige Wahrheit existiert, dass auch Geschichte nie abgeschlossen ist. Trotz des seriellen Charakters gibt es von ihm ganz wunderbare Einzelbilder. Eine Meeraufnahme oder eine Winterlandschaft aus seiner neuesten Reihe zum Thema Landwirtschaft, gerade aber auch seine Porträts sind von unvergleichlicher Intensität und Wahrhaftigkeit. Die Härte, die einen in diesen Bilder trifft, ist erschreckend. Aber sie ist zuallererst eine zeitgemäße Form des Humanismus.
 
Georg Herold und Norbert Schwontkowski bei Contemporary Fine Arts: Die erste Einzelausstellung von Georg Herold bei CFA. In der unteren Etage steht eine Gruppe von Gestalten, die aus Dachlatten gezimmert sind. Zumeist sind es nur Andeutungen einer menschlichen Figur, die man bei Herold in den Lattenmännern erkennt. Hier aber sind die Gesten ihrer Körper deutlicher ausgearbeitet. Eine Figur etwa betet auf einem Podest, eine schwarze Hand kommt unter dem Sockel hervor und zieht den Schopf des Frommen nach unten. Und während der Kölner Künstler seine Skulpturen zumeist nur in Stoffhaut kleidet, tragen sie hier richtige Anzüge. Auch Norbert Schwontkowski, der gerade seinen sechzigsten Geburtstag feierte, hat Auslassungen ausgelassen. Die Gemälde, die er in der oberen Etage des Galerienhauses zeigt, sind größer geworden, voller und nicht mehr so skizzenhaft. Dennoch überzeugen sie. Der Slapstick, der Herolds Skulpturen auszeichnet, findet sich in den Figuren Schwontkowskis wieder. Zugleich sind die Bilder getragen von einer schrecklichen Melancholie.


Saadane Afif bei Mehdi Chouakri: 13 schwarze „Les-Paul“-Studiogitarren, 13 schwarze Verstärker, 13 verschiedenen Akkorde, die computergesteuert angeschlagen werden – damit sorgte der Künstler auf der vergangenen Documenta für Aufsehen. Das Geisterkonzert der Installation „Black Chords plays Lyrics“ beeindruckte auch, ohne dass der Besucher wusste, welch konzeptioneller Aufwand dahinter steckt. „Ich interessiere mich für Übersetzungen und Interpretationen“, sagt der 1970 geborene Franzose. Auch in seiner ersten Einzelausstellung in Deutschland, hier in der Galerie Mehdi Chouakri, gehen Gedankenbilder, narrative Bruchstücke, Objekte und Ideen durch verschiedene Medien und Zustände, verändern sich und werden zum Werk. Für die Edition „Vice de Forme“ etwa nahm Afif zwei Fundstücke zum Ausgangspunkt, eine Arbeit von Man Ray und ein Comic-Bild, und ließ Autoren Gedichte dazu verfassen, die hier an der Wand stehen. Andere Arbeiten, die zuvor schon in Ausstellungen zu sehen waren, sind auf einer Bühne in neue installative Zusammenhänge gebracht. Sie spielen nun neu zusammen, visuell, aber auch akustisch, weil manche Objekte ticken und brummen. Das irreste Konzert dieses Wochenendes.
 


Am 1. Mai sind die Galerien von 16 bis 21 Uhr geöffnet, am 2. und 3. Mai von 10–19 Uhr