mit Klaus Biesenbach

Erdkunde

 „Venus“, sagt einer der Künstler, die die Galeristin Catalina Casas auf ihre Terrasse geladen hat. Bei einer durchschnittlichen Höhe von über 2600 Metern über dem Meeresspiegel scheint auch Bogotás Werbekampagne „Closer to the Stars“ Sinn zu ergeben.

Der Blick von der Terrasse am Nordrand des achteinhalb Millionen Einwohner umfassenden Einzugsbereichs der kolumbianischen Hauptstadt ist unspektakulär: Die Gipfel der Anden sind hier nicht mehr viel höher als die Metropole in der Hochebene, die Wolkenkratzer bescheiden. Das vielleicht Beeindruckendste ist die immer noch hohe Kriminalitäts- and Mordrate dieser Stadt. Nachdem in den vergangenen Jahren die Hauptdrogenkriege von Kolumbien nach Mexiko verlagert worden zu sein schienen, muss die im August angetretene neue Regierung wieder gegen steigende Drogenkriminalität ankämpfen.

Am nächsten Tag steht ein Atelierbesuch bei Doris Salcedo auf dem Programm. Spätestens nach ihrer Installation zur Istanbul- Biennale 2003, als sie eine Baulücke mit Hunderten von gebrauchten Stühlen füllte, und ihrem „Riss“ im Boden der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern 2007 ist sie weltbekannt. Mitten in der Stadt hat sie ein riesiges, aber zur Straße hin bescheidenes Atelier.

Ihre Arbeit gehe mit dem Gedächtnis der Spannungen, Bürger- und Drogenkriege und den Putschversuchen und Toten dieser Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland um, sagt sie. Sie erwähnt die Tausenden von Opfern und führt beiläufi g in die im Erdgeschoss untergebrachte Produktionshalle. Wie am Fließband werden hier Tische gefertigt. Tischplatten mit den Abmessungen von Särgen. Auf den Tischen wird eine Schicht Erde aufgetragen und mit Zement fi xiert. Alles wird dann gedeckelt von einem zweiten Tisch, der mit den Beinen nach oben die Erdschicht abdeckt. Sie führt mich in einen separaten Raum. Eines der Objekte ist schon fertig, es wächst Gras über die Oberfl äche der Skulptur. Sie will erklären, wie das funktioniert, aber vielleicht ist es besser, es als Geheimnis zu wahren.

Es geht weiter ins Museum der Bank der Republik. Der 1978 in Bogotá geborene Carlos Motta hat hier eine Videoinstallation realisiert, die sechs Präsidentschaftskandidaten zeigt, die während ihres Wahlkampfs umgebracht wurden. Nach dem Besuch zeigt mir Motta die Stätten der Attentate, und auf dem Weg zum Justizministerium kommen wir am Präsidentenpalast vorbei. Wir müssen auf der dem Regierungssitz gegenüberliegenden Straßenseite bleiben. Das wundert mich nach seiner Ausstellung nicht.

Es ist noch kurz Zeit für die Hauptsehenswürdigkeit der Stadt, das Goldmuseum. Kolumbien, benannt nach Christoph Kolumbus, war im 19. Jahrhundert ein Riesenstaat, der das heutige Panama, Venezuela und Ecuador einschloss. Die Exponate wie fi - ligrane Schmetterlinge, Masken und Waffen, Kultobjekte und Gebrauchsgegenstände aus purem Gold sind atemberaubend. Es muss wirklich das Eldorado, das „goldene Land“, gewesen sein, auf das es die spanischen Eroberer abgesehen hatten.

Am Flughafen sind die Sicherheitskontrollen verschärft, der Verdacht, etwas aus diesem bemerkenswerten Land mitzunehmen, ist omnipräsent und fast wie eine Bedrohung plausibel. Bogotá hat eine der spannendsten Kunstszenen in Südamerika. In Zukunft wird es vielleicht eher Kunst sein als Drogen und Gold, die als „Export“-Güter diesem Land eine fast beispiellos blutige Geschichte beschert haben.


Klaus Biesenbach ist Direktor des P.S.1 sowie Chief Curator at Large am Museum of Modern Art, New York