Erdkunde mit Klaus Biesenbach

Nach dem Börsencrash im September 2008 blicken die Museen in den USA in eine düstere Zukunft. Entlassungen, Einstellungsstopps, die Diskussion über Verkäufe der Sammlungen oder gar Schließungen beschäftigen nicht nur die Finanzabteilungen der Institutionen. Ganz schlimm hatte es das Museum of Contemporary Art in Los Angeles, kurz MOCA, getroffen. Die zeitgenössische Filiale, das Geffen Temporary Contemporary, wo vor noch nicht allzu langer Zeit Takashi Murakamis groß gefeierte Retrospektive gezeigt wurde, machte ihrem Namen alle Ehre und musste erst mal temporär geschlossen werden. Der MOCA-Direktor Jeremy Strick ist gegangen, und das kalifornische Flaggschiffmuseum scheint ohne kompetenten Kapitän hoffnungslos abzudriften.

Aber in Zeiten der Krisen sind Amerikaner immer noch hoffnungslose Optimisten, und so hat das MOCA im November eine Fundraising-Gala ausgerichtet und dafür erst einmal mehr als eine Million Dollar ausgegeben. Der italienische Künstler Francesco Vezzoli wurde beauftragt, das Spektakel als eine einmalige Performance zu konzipieren. Ein Theaterzelt steht zwischen dem Museum und Frank Gehrys Disney-Halle mitten auf der Straße. In großen Lettern wird das kommende Ereignis angekündigt. Lady GaGa und das Moskauer Bolschoi-Ballett in dem kürzesten „Musical, das man nie wieder sehen wird“, treten auf.

Das Zelt ist innen mit rotem Stoff ausgekleidet, und Hollywood-Kronleuchter flackern im Rhythmus der Musik. Überhaupt ist Hollywood an diesem Abend fast vollzählig erschienen, möchte man denken: Der Kurator des Museums führt Brad Pitt and Angelina Jolie herum. Ex-James-Bond Pierce Brosnan erzählt von seinen Sonntagsmaleraktivitäten. Eva Mendes, Gwen Stefani, James Franco, Chloë Sevigny und wie sie alle heißen werden beim Eintritt ins Zelt fotografiert und zu ihrem Kunstverstand interviewt. Künstler wie Ed Ruscha, Chris Burden, Doug Aitken, Jeff Koons, John Baldessari, David Hockney oder Barbara Kruger werden von den Paparazzi nicht erkannt und können unbehelligt das Zirkuszelt betreten.

Wenigstens werden Miuccia Prada, Frank Gehry oder der legendäre Gore Vidal vom Museumspersonal in Empfang genommen und zu ihren Tischen geführt. Plätze hat das Museum für 5000 Dollar pro Person oder für Hunderttausend pro Tisch zu verkaufen versucht. Die Bühne sieht aus wie ein Laufsteg, der fast die gesamte lange Mitte des Zeltes einnimmt. Im Zentrum steht ein pinkfarbener Konzertflügel, dekoriert mit blauen Schmetterlingen von Damien Hirst. Eigentlich hätte „American Psycho“-Autor Bret Easton Ellis Lady GaGa auf die Bühne bringen sollen, aber jetzt sitzt er nur in der ersten Reihe. Vezzoli versucht, die Lady auf die Bühne zu führen. Er hat Tränen unter seine Augen gemalt. Lady GaGa sieht das und will auch eine Träne, sie greift nach dem Nagellack, doch die Maskenbildner können das Schlimmste verhindern. Ihr Kostüm ist ein durch den Schredder gezogener Kronleuchter, sie trägt einen schiefen Turm auf dem Kopf, der wirklich fast wie die Disney-Halle von Gehry aussieht. Vezzoli nimmt sie bei der Hand, und sie betreten die Bühne. 

Vezzoli sitzt und stickt ein Nadelbild, das Bolschoi tanzt, die Mittelbühne dreht sich, die Lady singt am Flügel a cappella – alle sind geschockt, sie kann wirklich singen. Aber das Spektakel dauert nur ein Lied, das Licht geht aus, wieder an, und die Veranstalter geben bekannt, dass der Abend ein Erfolg sei: Der Flügel ist für 450 000 Dollar an Larry Gagosian versteigert worden, das Museum hat insgesamt über vier Millionen an diesem Abend eingenommen. Ich stochere an meinem mittlerweile kalt gewordenen Hühnchen mit Gemüse. Wenigstens Erfolg ist in Los Angeles messbar.


Klaus Biesenbach ist Direktor des P.S.1 sowie Chief Curator at Large am Museum of Modern Art, New York