Jonas Mekas im Interview

"Film wird niemals verschwinden"

Foto: © Benn Northover
Foto: © Benn Northover
Jonas Mekas

In den 50ern war Jonas Mekas bei allem dabei, was die New Yorker Szene ausmachte. Weil zu den Avantgarden aber die passende Kritik fehlte, gründete er gemeinsam mit seinem Bruder "Film Culture". Dieser einflussreichen Kinozeitschrift widmet sich in Berlin jetzt ein ganzes Festival. Wir haben vorab mit dem Künstler gesprochen

Beim Skype-Anruf in Jonas Mekas' Studio in Brooklyn funktioniert der Ton nicht. Interviewerin und Künstler – wie meistens im groben Flanellhemd und Baskenmütze – können sich sehen, aber Mekas kann die Fragerin aus Deutschland nicht hören. Während ein Assistent am Computer herumnestelt, behilft sich der 95-Jährige mit Pantomime, zeigt einen Wasserfarbkasten und seine Kamera, beginnt den stummen Bildschirm zu filmen. Dann redet er darüber, dass New York am schönsten ist, wenn man die Skyline von der anderen Seite des East River aus Brooklyn sieht. Schließlich seufzt er. "Die Technik!!!" Das Interview über sein bevorstehendes Konzert am 7. Juli in Berlin und das Festival rund um sein 1954 gegründetes Magazin "Film Culture" findet dann ganz altmodisch am Telefon statt.

Herr Mekas, Sie sind jetzt 95, das heißt, Sie lassen mit Ihrem Konzert in Berlin die aktuelle Rolling-Stones-Tour wie einen Kindergartenausflug aussehen. Was können wir erwarten?
Ich weiß es nicht. Ich weiß es nie, bevor wir auf der Bühne stehen. Wir sind einfach eine Gruppe von Freunden, die zusammen improvisieren. Wer wissen will, was wir machen, muss vorbeikommen.

Auf dem Festival "Edit Film Culture" werden auch die Ausgaben Ihres Magazins zugänglich gemacht, das von 1955-1996 erschien. Wie war es, die Texte von damals noch einmal zu lesen?
Ich kenne sie sehr gut, ich muss sie nicht noch mal lesen. Alles aus der Vergangenheit ist relevant für die Gegenwart. In welcher Weise, müssen die Forscher und Teilnehmer dieses Festivals entscheiden, aber alles auf diesem Planeten ist miteinander verbunden.

Ausgaben von "Film Culture" im silent green Kulturquartier, Berlin

Der analoge Film wurde oft totgesagt, erlebt aber gerade eine Renaissance bei jungen Künstlern. Wie erklären Sie sich das?
Inzwischen ist die Filmkunst dem Status der anderen Kunstdisziplinen sehr nahe gekommen. Deshalb kann sie sich ausdehnen. Wie in der Malerei: Es gibt Ölgemälde, Wasserfarben oder Buntstiftzeichnungen. So ist es nun auch im Film, wir haben den analogen Film, wir haben Video-Technik und digitale Technik. Wir können mit Film malen. Keine Technik nimmt der anderen etwas weg. Und keine von ihnen wird jemals verschwinden. Analoger Film wurde totgesagt, aber wir haben jetzt so viele Wahlmöglichkeiten und die Kunst der bewegten Bilder ist unglaublich reich. Wenn eine Filmrolle richtig aufbewahrt wird, kann sie 600 Jahre halten. Gemälde verblassen nach hundert Jahren. Wir sehen einen van Gogh heute nicht so, wie er mal war. Aber ein Film bleibt 600 Jahre derselbe.

Mit Ihren biografischen Filmen sind Sie so etwas wie ein sehr früher Blogger. Seit ein paar Jahren haben Sie auch ein digitales Videotagebuch auf Ihrer Website. Wie beeinflussen die neuen Technologien Ihre Arbeit?
Sie beeinflusst mich nicht, sie öffnet neue Möglichkeiten und erschließen neue Inhalte. Man kann mit Wasserfarben nicht genauso malen wie mit Öl. Beim Film ist es dasselbe. Man kann analog nicht dasselbe machen wie digital. Jedes neue Werkzeug öffnet neue Inhalte und neue Wege, sie aufzunehmen. Dass jeder inzwischen eine Kamera in seinem Handy hat, macht Filmaufnahmen noch zugänglicher. Irgendwann gab es nur eine Schreibmaschine, dann gab es Millionen. Die Technik beeinflusst nicht unbedingt, was aufgenommen wird, aber sie macht neue Dinge möglich und gibt mehr Menschen die Möglichkeit, ihre Aufnahmen auszutauschen.

Wann wussten Sie, dass der Film das Medium ist, in dem Sie sich am besten ausdrücken können?
Das wusste ich nicht, und das weiß ich jetzt auch nicht. Ich tue immer das, was ich gerade tun will. Manchmal schreibe ich per Hand, manchmal tippe ich auf der Schreibmaschine, manchmal auf dem Computer. Manchmal filme ich eben. Alles steht mir offen.

Sie mögen das Wort "Regisseur" nicht. Finden Sie ein besseres für das, was Sie sind?
Ich habe nichts gegen das Wort an sich. Ich mag das Wort. Es gibt tolle Regisseure. Aber es beschreibt nicht das, was ich mache. Ich führe keine Regie, ich sage niemandem, was er zu tun hat. Ich filme das, was ich sehe. Ich fange die Realität ein. Alles ist schon da.

Freunde von Ihnen haben gesagt, man sehe Sie nie ohne Ihre Kamera …
… Moment, das stimmt nicht, inzwischen habe ich die kleine Kamera in meiner Tasche, die können sie gar nicht sehen … aber warum auch nicht? Es ist eben das, was ich manchmal tue.

Sieht man durch die Kamera die Welt anders?
Ich schaue nicht mal durch die Kamera. Ich richte sie auf das Geschehen, aber ich schaue ohne Linse auf die Welt. Ich sehe die Dinge an, wie sie sind, und manchmal habe ich den Impuls: Das sollte ich filmen. Ich feiere die Realität und das Leben um mich herum. Natürlich sind die Aufnahmen später ein Ausschnitt der Welt, aber welcher genau es ist, weiß ich vorher auch nicht.

Ihre Filme laufen auf Filmfestivals genauso wie in Museen. Hat Sie die Unterscheidung zwischen Film- und Kunstwelt je interessiert?
Ich weiß nicht so recht. Ich stehe außerhalb der Kunstwelt und ich stehe außerhalb der Filmwelt. Ich bin meine eigene kleine Blase. Der Independent Film ist eine Welt für sich, er ist nicht Teil der großen kommerziellen Industrie und auch nicht Teil der Kunst. Ich habe hin und wieder in großen Museen ausgestellt, aber der Kunstmarkt hat kein Interesse an mir. Es ist kein Massengeschmack, was ich mache, es ist vielleicht etwas zu persönlich. Niemand kauft meine Arbeit. Aber das ist ok, ich weiß, wo ich hingehöre.

Dafür haben viele Menschen Ihre Arbeit auf der letzten Documenta gesehen. Nach dem Krieg und ihrer Gefangenschaft in einem Nazi-Arbeitslager haben Sie eine Zeit lang in einem Camp für "Displaced Persons" in Kassel gelebt. Wie war es, zur Documenta, dorthin zurückzukommen?
Als ich 1946 dort war, gab es kein Kassel. Die Stadt war von dieser Erde ausradiert. Alles war zerbombt und eine einzige Ruine. Aber es gab eine Bibliothek, wo ich deutsche Dichter gelesen habe. Das heutige Kassel interessiert mich nicht. Neue Städte sind immer langweilig. Aber ich habe Deutschland immer geliebt. Ich liebe die deutschen Dichter. Die Mystiker Meister Eckhart and Jakob Böhme sind meine Lieblingsmenschen auf dieser Welt.

Ihre Heimatstadt New York hat sich seit Ihrer Ankunft extrem verändert. Ist es immer noch eine gute Stadt für die Filmszene?
Ja, es gibt eine tolle junge Community. Jede Generation ist sehr verschieden von der vorherigen: die Ansichten, die Interessen, die Sorgen, die Realität und die Politik um sie herum. Ich bin vor vielen Generationen nach Brooklyn gekommen, für mich haben sich die Dinge stark verändert. Aber das ist in Ordnung, alles hat seine Zeit. Kunst und Kino waren damals etwas völlig anderes, allein von der Technologie her. In den USA gab es 1960 um die 3000 Kinos mit analogen Filmprojektoren, heute sind es noch 50. Sie sind alle weg. Im kommerziellen Bereich ist alles digital. Man muss in ein Museum gehen, um einen Film als Film zu sehen.

Ihre Filme zeigen auch, wie sich eine Gruppe von Immigranten in New York niederlässt und schließlich das Zentrum der Avantgarde-Filmszene bildet. Verfolgen Sie, wie heute in den USA über Einwanderung gesprochen wird?
Ich verfolge die Politik nicht, weil die Mafia und die Kriminellen die Politik gekapert haben. Ich will daran einfach keine Energie verschwenden, um etwas zu verstehen. Meine Politik ist die Politik von Minnesängern, Troubadouren und Sufis. Ich folge der Politik der Göttlichkeit. Meister Eckhart und Jakob Böhme sind die großartigsten Politiker, die ich kenne.

Gruppenfoto im April 1968 in New York, u.a. mit Andy Warhol, Barbara Rubin, Ken Jacobs, Jonas Mekas, Nico, Paul Morrissey, Jack Smith, Stan VanDerBeek