Kiew-Biennale-Kurator David Elliott im Interview

"Gute Kunst ist immer politisch"

Herr Elliott, beeinflussen die aktuellen diplomatischen Verwicklungen Ihre Arbeit in Kiew?
Es ist eine bedauernswerte Situation, aber sie hat kaum Einfluss auf meine Tätigkeit. Ich konzentriere mich auf die Biennale, um sie so stark wie möglich zu machen. Dabei arbeite ich so, wie ich es überall sonst in der Welt auch tun würde.
 
Die Deutschen klagen über Korruption und fordern mehr Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte. Welche Erfahrungen haben Sie mit den ukrainischen Behörden gemacht?
Ich habe selbst nie Korruption erlebt. Und es wurde nie Druck auf mich ausgeübt, Arbeiten zu zeigen oder eben nicht zu zeigen. Ich habe freie Hand. Ansonsten hätte ich diese Aufgabe auch nicht angenommen.
 
Die aktuelle Ausgabe der Berlin-Biennale stellt die Frage nach dem politischen Einfluss von Kunst. Welche Antwort können Sie geben?

Gute Kunst wurde von Josef Stalin, Adolf Hitler oder Mao Tsetung unterdrückt. Daraus schließe ich, dass Kunst eine seltsame Kraft besitzt, die von dem individuellen Willen ausgeht, der sich in der Kunst ausdrückt. Gute Kunst ist kompromisslos und frei. Menschen, die andere Menschen dominieren wollen, fürchten sich vor dieser Kraft. Deshalb arbeite ich mit Kunst.
 
Künstler brauchen also keine politischen Intentionen, um politischen Einfluss auszuüben?
Natürlich nicht. Kunst ist an sich politisch und kann gar nicht anders. Wer will überhaupt etwas mit Politik zu tun haben? Nein, danke! Das wäre kein Job für mich.
 
Also gibt es auf der Kiew-Biennale auch keine Arbeiten, die sich mit der politischen Situation in der Ukraine auseinandersetzen?
Was ist „die politische Situation in der Ukraine“? Wessen politische Situation in der Ukraine? Deutschlands? Nein, das wäre dumm. Wie gesagt: Kunst ist immer politisch. Und viele der auf der Kiew-Biennale ausgestellten Werke setzen sich kritisch mit der weltpolitischen Situation auseinander. Ich habe mich da nicht auf die Ukraine konzentriert. Ich will das nicht: Ein ausländischer Kurator kommt ins Land und macht eine Ausstellung zur Lage vor Ort. Bitte nicht!
 
So gerade geschehen mit der Berlin-Biennale und deren Kurator Artur Żmijewski …
Das will ich nicht kommentieren (lacht).
 
Die Biennale in Kiew wird unterstützt vom ukrainischen Kulturministerium und der Stadt. Welche Erwartungen stellen die Behörden an Gegenwartskunst?
Das ist ziemlich klar: Sie wollen teilhaben an der globalen Gemeinschaft der zeitgenössischen Kunst und gleichzeitig für die heimischen Künstler eine Plattform bereitstellen. Die Biennale ist auch ein Testlauf für den Bau eines eigenen größeren Nationalmuseums. Die Verantwortlichen wissen genau, was sie wollen. Man sollte wirklich glücklich sein, dass die Ukraine Gegenwartskunst dermaßen unterstützt. Wie viele Länder tun das nicht!
 
Es wird die erste Ausgabe der Biennale sein. Wie sind Sie vorgegangen?
Ich versuche bei jeder Ausstellung, eine Verbindung zu dem Ort aufzubauen, an dem sie gezeigt wird, und doch auch eine Gültigkeit zu schaffen, die auch außerhalb dieses Zusammenhangs Bestand hat. Ich mag keine Ausstellungen, die nichts mit der historischen und aktuellen Situation zu tun haben, wie etwa die letzte Istanbul-Biennale. Es sollte immer auch um kulturelle Identität gehen. Die Ukraine ist ein neues Land, das in seiner jetzigen Form erst seit 1991 besteht, dessen Kultur aber auf eine hundertjährige, wenn nicht tausendjährige Geschichte zurückgeht. Orte wie die Ukraine gibt es heute viele in der Welt. Orte, Länder, die nach einer neuen Identität suchen. Das will ich reflektieren und starte dabei mit einem allgemeinen Blick auf die Welt und den Zustand der Kunst. Von dort komme ich auf die Ukraine und ihre Lage an den Nord-Süd-, Ost-West-Routen und der Seidenstraße. Von dort schaue ich vor allem auf den Osten, auf Zentralasien und China, Japan und post-sowjetische Länder, die in der gleichen Situation wie die Ukraine sind. Es geht mir um Migrationsströme, Eroberungszüge, um eine lange Kulturgeschichte, die komplexer ist, als der nationale Blick auf Kultur, der ja erst im 19. Jahrhundert entstand.
 
Dafür arbeiten Sie auch mit ukrainischen Künstlern?
Natürlich. Wie ich meinte: Man sollte Ausstellungen wirklich nicht wie mit dem Fallschirm auf ein Land abwerfen. Man kann den Ukrainern nicht erzählen, wie sie Kunst machen sollen. Nein, viele richtig gute Künstler aus der Ukraine sind bei dieser Biennale mit dabei. Mir ist Qualität wichtig und wie ein Werk zum Leitthema der Ausstellung passt.
 

Welche Highlights sehen Sie in Ihrer Ausstellung?

Darüber spreche ich nicht so gerne, weil ich die Schau als organisches Ganzes sehe. Die verschiedenen Kunstwerke sind sorgsam orchestriert, es wird leise und laute Momente geben. Alle Werke spielen eine Rolle.
 

Kann man in Kiew etwas mit Gegenwartskunst anstellen ohne den dort ansässigen und weltweit bekannten Sammler und Mäzen Viktor Pintschuk?

Klar. Er leistet hervorragende Arbeit mit seinem Ausstellungshaus, wir unterstützen uns gegenseitig, aber in unser Projekt ist er nicht involviert.

Arsenale 2012, Kiew, 24. Mai bis 31. Juli 2012. Monopol 5/2012 - aktuell im Handel erhältlich - widmet der Frage "Wie politisch ist die Kunst" ein Spezial