Roman Opalka

„Jedes Werk findet ein Ende“

Herr Opalka, 1965 malten Sie die Zahl 1 mit weißer Farbe auf die linke obere Ecke einer dunkel grundierten Leinwand und begannen damit Ihr Werk „OPALKA 1965/1–∞“. Und Sie zählen ja noch heute.
Bevor ich mich an dieses doch ziemlich wahnsinnige Projekt gemacht habe, besprach ich mich mit meinen Künstlerfreunden. Ich habe sie auf die Probe gestellt und erklärt, ich sei die zeitgenössische Kunst leid. Die meisten hielten mich für verrückt.

Was hat Sie dazu gebracht, sich auf so einen Prozess einzulassen?
Das Konzept der Bedeutungslosigkeit. Und eine bestimmte Vorstellung von Malerei. Hat denn jemals einer die tatsächliche Bestimmung seines Lebens gefunden? Wenn du schlaflos herumliegst und daran denkst, wie lächerlich das alles ist, bekommst du dann eine Antwort auf das Warum? Klar kann man sagen: weil mich meine Eltern in die Welt gesetzt haben. Aber eigentlich sollte da doch mehr sein! Die Menschen stellen sich diese Frage nicht. Denkt man aber über die Essenz des Lebens nach, kommt man nicht darauf, warum es einen besonderen Sinn ergeben sollte. Mein Werk ist ein Monument dafür, was ja wiederum selbst eine Qualität schafft. Denn immerhin habe ich ein ganzes Leben seit 1965 damit verbracht, etwas zu malen, das absolut keine Bedeutung hat. Diese Belanglosigkeit wird sogar noch durch die Tatsache verstärkt, dass sie aus einem kommunistischen Land wie Polen kam.

Das politische Umfeld hatte einen Einfluss?
Das ganze Leben drehte sich nur ums Arbeiten und Sterben. Ab und zu verfolgte jemand eine politische Karriere. Aber Kunst? So behielten die Fragen, die ich stellte, ihre Unschuld. Bevor ich diesen Weg einschlug, war ich ein ziemlich bekannter Maler und Graveur, der vom Verkauf seiner Gravuren lebte. Ich bekam Preise in Großbritannien, in Japan. Die Leute glauben oft, ich hätte damit angefangen, weil ich sonst nichts zu tun hatte. Aber ich habe gerade deswegen damit angefangen, weil ich wusste, wie die Kunst geht.

Wie sind Sie Künstler geworden?
Für mich hieß das, man hat keine Familie, kein besonderes Interesse. Ich besaß ein kleines Studio in Warschau. Damals machte ich Propaganda für die Kommunisten! Als ich 1957 ein paar Monate nach Paris kam, fiel mir auf, dass es nicht gut stand. Vielleicht habe ich Yves Kleins Monochromen gesehen, aber ganz sicher nicht verstanden, worum es dabei ging. Vielleicht war ich sogar bei seiner Ausstellung „Le Vide“. Alle dachten, ich bliebe in Frankreich, weil ich dort geboren wurde. Zum Glück bin ich zurück nach Polen. Der Markt blendet und verdirbt die Künstler.

Ihre Arbeit hat viel mit dem Tod zu tun.
Richtig. Nur geht es beim Tod hier um die Frage: Wie kann man ein Werk beenden? Memento mori. Wir wissen nicht, wann, aber sterben werden wir. Das Werk findet immer ein Ende, wie sein Schöpfer. Doch die Furcht eines Leonardo da Vinci um die Fertigstellung eines Bildes, sagen wir der „Mona Lisa“, gibt es nicht mehr. Diese Arbeit hat enormen Einfluss auf mich gehabt, mindestens durch die Idee des sfumato. Auch in meinem Werk gibt es eine Art sfumato, nicht auf der Ebene des Bildes selbst, sondern auf der des menschlichen Lebens. Ich habe mit schwarzem Hintergrund begonnen, dann wurden die Leinwände immer heller, mittlerweile bin ich fast bei Weiß. Die ursprüngliche Idee bestand darin, zu einem Weiß zu kommen, das die optische Wahrnehmung der Zahl auslöscht. Hätte ich keine Ausstellungen gehabt, wäre nicht gereist und hätte nicht eine Frau geheiratet, die das Leben liebt, dann wäre ich vielleicht schon beim Weiß angekommen. Aber das Leben, das wir führen, stiehlt Zeit.

Wann rechnen Sie denn damit, beim Weiß anzukommen?
Optisch betrachtet ist es fast so weit, aber ich kann nie ein absolutes Weiß herstellen, weil ich immer ein Prozent der Farbe des vorangegangenen Bildes verwende. Wenn man im Laden Weißdosen kauft, findet man verschiedene Weiß. Zinkweiß und Titanweiß, wobei Zink das weißeste Weiß ist. Titan ist etwas weicher als Zink. Um eine Grundierung zu malen, mische ich Zink mit dem ursprünglichen Schwarz, das aber nur mehr aus einem winzigen Teil der ursprünglichen Menge besteht.

Jeden Tag, nachdem Sie aufgehört haben zu malen, fotografieren Sie sich selbst. Was bedeutet so ein Selbstporträt?
Ich benutze das, um eine Frage zu stellen. Mein Ansatz basiert auf einer Geschichte der Autorenzeit. Ich hinterlasse eine Spur meiner Präsenz. Der Akt des Malens produziert Dokumente davon. Aber was tue ich, wenn ich schlafe? Es hat etwas mit der Besessenheit zu tun, die Zeit einzufangen und sichtbar zu machen. Und ein Maler kann tatsächlich Zeit visualisieren.

Das vollständige Interview finden Sie in Monopol 5/2011. Sie können das Heft hier bestellen