Neujahrsvorsatz

Nicht jeder ist ein Fotograf

Fotografieren ist inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden wie essen und atmen. Und trotzdem ist nicht jeder ein Fotograf, der Fotos macht. Ein Lob der Bescheidenheit

Können wir uns im neuen Jahr noch kurz auf eine Sache verständigen? Darauf, dass nicht jeder ein Fotograf ist, der die Kamera seines Smartphones bedienen kann und ab und an Fotos auf Instagram teilt oder in einen Tumblr stellt. Viele Follower machen noch nicht den Fotografen. Es ist ja auch nicht jeder ein Kurator, der einen Tumblr oder Pinterest mit Bildmaterial befüllen kann. Und Autor ist nicht, wer seiner Mutter WhatsApp-Nachrichten schreibt oder sich auf Facebook über Donald Trump auslässt.

Die Profile der sozialen Medien sind geduldig. Klappern gehört zum Handwerk. Das sagt man doch, wenn gemeint ist: Nicht so schüchtern, machen Sie auf sich aufmerksam, die beste PR ist Ich-PR. Hineinschreiben kann man nämlich in so eine Profilbeschreibung, was etwas hermacht und gut klingt. Wahnsinnig gut klingt Filmemacher. Muss ja keiner wissen, dass der längste Film, den man gemacht hat, eine zweiminütige Story auf Snapchat über die Zubereitung eines veganen Gulaschs für sechs Personen war, die sich 38 Leute angesehen haben und das nicht einmal bis zur Schlusspointe. Am Ende landete das vegane Gulasch auf dem Fußboden in der WG-Küche, denn irgendwie ist man bei der hektischen Tätigkeit des Filmemachens gegen den Kochtopf gerempelt. Eigentlich hatte man auf der Suche nach dem richtigen Snapchat-Sticker nur zu wild auf dem Display hin und her gewischt. Macht nichts.

Wer will schon wissen, wie all die Fotos von #foodporn entstehen. In den meisten Fällen jedenfalls ist schnell klar, dass kein Fotograf am Werk ist, auch wenn es in der Profilbeschreibung in einem der sozialen Netzwerke so steht. Fotograf kann sich heute ein jeder für viele Menschen sichtbar nennen, der eine Seite auf Facebook anlegen kann.

Fotografieren ist inzwischen so selbstverständlich wie essen, vielleicht sogar wie atmen. Atmen und essen müssen wir alle, da bleibt uns nichts anderes übrig. Fotografieren derweil scheint auch zu einem Muss geworden zu sein. Dabei geht es nicht so sehr um das Fotografieren an sich, sondern um das geteilte Bild, um die Kommunikation mit der Familie, mit Freunden und Fremden. Was meist gesendet oder geteilt wird, sind Bilder, die mit Fotografie so viel zu tun haben, wie eine SMS mit einem Essay. Ausnahmen bestätigen die Regel, auch das sagt man, aber um diese Ausnahmen soll es hier nicht gehen.

300 Millionen Menschen sind täglich auf Instagram aktiv, 95 Millionen Posts werden geteilt, 4.2 Milliarden Likes vergeben. Künstler und Fotografen, also solche, deren Arbeiten in Galerien und Museen hängen oder auf Fotofestivals gezeigt werden, machen oft selbst gar keine Fotos mehr. Warum auch? Es gibt ja schon genug, sie sind schon da, der Künstler muss nur noch im Bilderstrom der sozialen Netzwerke fischen und sich auf eBay, Craigslist oder Google Earth umsehen.

Der Künstler als Sammler, das ist nichts Neues. Der Konzeptkünstler Hans-Peter Feldmann riss Bilder aus Magazinen und legte sie in Mappen ab. Der Künstler Joachim Schmid sammelte zwischen 1982 und 2012 Bilder von der Straße und er nahm sich Flickr vor, er sammelte, ordnete und veröffentlichte Fotos in 96 Büchern unter dem Titel "Other People's Photographs". Kaffee, Flugzeugessen, Hände, Füße, Fische, Hotelzimmer, alles, was andere Menschen eben so fotografieren. Der niederländische Künstler Erik Kessels hat 2011 Flickr ausgedruckt, um genau zu sein: die Bilder, die innerhalb von 24 Stunden auf Flickr hochgeladen wurden. Dann sammelte er Fotos von Füßen und druckte sie auf eine Skaterampe, dann ordnete er Penis-Selfies und druckte sie in einem Buch ab. Während andere viel zu viele Bilder machen, bilden Künstler die Masse an Fotos ab, verschaffen sich eine Übersicht, ordnen und archivieren.

Jetzt könnten wir natürlich alle weniger Fotos machen und teilen oder gleich ganz auf die sozialen Medien verzichten, das wäre auch ein guter Vorsatz für das neue Jahr – die Künstler müssten weniger sammeln, Fotos von Sonnenuntergängen zum Beispiel, wie Penelope Umbrico.

 

Gerade wurde Fomo – fear of missing out – als das neue Leiden beschrieben, also die Angst, etwas zu verpassen, wenn man nicht 95 Mal am Tag Twitter, Facebook und Instagram aktualisiert und 273 Mal sein E-Mail-Postfach öffnet. Das Heilmittel der Wahl ist digital detox, eine digitale Entgiftungskur, ein Leben mit weniger Smartphone und sozialen Medien. Aber man soll ja nicht gleich alles ganz anders machen wollen, sondern nur Kleinigkeiten ändern, das soll die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass gute Vorsätze eingehalten werden können. Vielleicht sind wir alle im neuen Jahr einfach ein bisschen weniger Fotograf. Bescheidenheit soll ja auch eine Tugend sein.