Erwin Wurm in Miami

Kratzen, saufen, überleben

Vielleicht muss man nicht an die Großmutter und ihre selbst gemachten Pullover denken, für die man sich in der Schule so schämte. Aber wenn Erwin Wurm plant, gleich im Eingangsbereich zu seiner Einzelausstellung „Beauty Business“ (kuratiert von Peter Doroshenko) im Bass Museum of Art in Miami Strickwaren aufzuhängen, stellt sich die Erinnerung an das Kratzen auf der Haut dann wohl doch ein. Und wenn Wurm dahinter, im ersten Raum, auch noch „Trink­skulpturen“ anbieten will – Wandschränke mit eingearbeiteter Sitzgelegenheit und Spirituosen –, lässt sich mit Sicherheit voraussagen: Wurm leitet die Gäste durch das Kindheitstrauma hinüber zur späteren Rebellion; sie dürfen saufen und sich im performativen Rausch der Erinnerung an die unangenehmen Wollsachen entledigen.

In der Schau gehe es um den „Körper als Haus, die Kleidung als Haus und das Haus als Körper und Kleidung“, sagt Wurm. Um jene Dinge also, die sich das Subjekt zulegt, um sein privates Ich zu gestalten: das Outfit und das Eigenheim. Dass es darin auch nach dem pubertären Befreiungsakt wenig gemütlich zugeht, ist angesichts von Wurms Schaffen, den dadaistisch verzerrten und zerflossenen Readymades aus der bürgerlichen Kultur, zu erwarten. Für einen weiteren Raum wird Calvin-Klein-Unterwäsche zu skulpturalen „Lagerhäusern“ aufgeblasen, Kapuzenpullover werden zu verrenkten Bronzeobjekten umgestaltet und kleine Reproduktionen von Wohnungen mit wabbeligen Extremitäten verbunden. 

Schon bei der diesjährigen Venedig-Biennale drückte Erwin Wurm ja das Befinden der Besucher aus. Den Überlebenskampf im Ausstellungsgedrängel symbolisierte sein zusammengequetschtes Häuschen „Superstress“, das neben dem Palazzo Cavalli Franchetti zum Strich in der Landschaft wurde. Parallel zur Art Basel/Miami Beach konkurriert der 57-jährige österreichische Künstler nun also mit örtlichen Kosmetikstudios. „Sie fühlen sich nicht wohl in Ihrer Haut? Treten Sie ein!“ könnte der Untertitel zu „Beauty Business“ heißen. Im Angebot: neue Werke, Freidrinks und tiefenpsychologisches Kopfwaschen.   

Bass Museum of Art, Miami, 1. Dezember bis 4. März 2012, eröffnung am 30. November ab 20 Uhr für geladene Gäste. Anschließend wandert die Ausstellumg ins Dallas Contemporary, 13. April bis 19. August 2012