Große Polke-Schau im New Yorker MoMA

"Mehr als ein großartiger Künstler"

Sigmar Polke gilt als einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit. Jetzt feiert ihn das New Yorker MoMA posthum mit seiner bislang größten Retrospektive. Ein Vor-Ort-Termin mit der Kuratorin Kathy Halbreich

New York (dpa) - «Er war mehr als ein großartiger Künstler», sagt Kuratorin Kathy Halbreich vom New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), das Sigmar Polke vier Jahre nach seinem Tod posthum seine bislang größte Retrospektive widmet. «Mit seiner enormen Intelligenz hat er mir dabei geholfen zu verstehen, was es bedeutet, ein Künstler zu sein: Grausam, unzufrieden, eigensinnig und ohne jede Balance.»

Fast ein Jahrzehnt lang ist die Ausstellung, die ab Samstag in dem renommierten Museum in Manhattan zu sehen ist und danach nach London und ins Kölner Museum Ludwig weiterzieht, im Kopf von Halbreich gereift. «Es fing damit an, dass ich dachte, dass er ein großartiger Künstler ist, der es verdient, bekannter und besser verstanden zu werden.» In den USA ist Polke hauptsächlich Kunstexperten ein Begriff. Das will Kuratorin Halbreich nun ändern und hat dafür ein Mammutprojekt gestemmt: erstmals Malerei, Filme, Collagen, Zeichnungen und Skulpturen Polkes in einer Ausstellung zu vereinen.

Bei einem Besuch in der niederrheinischen Heimat des Künstlers, zwei Jahre vor seinem Tod, holte sie sich dafür seine Zustimmung. «Ich habe absolut erwartet, dass er nein sagt, wie zu allen anderen vorher auch. Als er zugestimmt hat, war ich erstmal geschockt.»

Polke war noch aktiv in die Planung der Ausstellung eingebunden, bis er dann 2010 im Alter von 69 Jahren an Krebs starb. Einen letzten Wunsch konnte ihm Kuratorin Halbreich nicht erfüllen: «Er wollte auf keinen Fall eine chronologische Ausstellung. Aber wir haben keinen anderen Weg gefunden.»

Mehr als 250 Werke hat das MoMA aus der ganzen Welt zusammengesammelt. Immer wieder beschäftigte sich der 1941 im heutigen Polen geborene und später aus der DDR nach Westdeutschland geflohene Polke mit der deutschen Geschichte. Die Wachtürme beispielsweise, die er immer wieder malte, erinnern an die innerdeutsche Grenze und die Konzentrationslager der Nazis gleichermaßen. «Polke war ein universeller Künstler», sagt Kuratorin Halbreich. «Aber seine Wurzeln sitzen tief in einer vergifteten Seele.»

Viele von Polkes Werken wirken unfertig, ein wenig tollpatschig oder nicht auf lange Dauer angelegt - mit Absicht, wie Halbreich erklärt. «Zu erfolgreich zu sein nimmt einem vielleicht auch die Radikalität.» Außerdem habe er nicht anders gekonnt. «Er hatte keine Strategie, da war einfach eine Kraft in ihm.» Polke sei stets auf der Suche gewesen und habe nie klare Antworten gefunden - die seien deshalb auch von seiner Kunst nicht zu erwarten. «Er testet unsere Fähigkeit, mit Gleichzeitigkeit umzugehen. Sigmar steht nicht für Ja oder Nein, er steht für Vielleicht.»

Eines von Polkes letzten Werken, entstanden kurz vor seinem Tod, liegt auf einem Sockel im finalen Raum der Ausstellung. Ein dickes Buch, jede Seite fett getränkt mit blauer Tinte. «Er wusste, dass seine Tage gezählt sind», sagte Halbreich. Aber er hätte noch so viel zu sagen gehabt.

Parallel zur Retrospektive im MoMA stellt die Michael Werner Gallery in der Upper East Side von Manhattan frühe Zeichnungen von Polke vor. Deren Manager Gordon VeneKlasen sagte dem «Wall Street Journal»: «Er (Polke) ist in Museen, unter Künstlern und Sammlern weithin bekannt. Dort gilt er als einer der großen Künstler des 20. Jahrhunderts.» Nur unter der allgemeinen Bevölkerung fehle ihm diese Anerkennung noch. «Das wird sich durch die MoMA-Ausstellung aber wohl ändern», meint der Galeriemanager.

"Alibis: Sigmar Polke 1963-2010", Museum of Modern Art, New York 19. April bis 3. August. Anschließend: Tate Modern, London, 9. Oktober bis 8. Februar 2015. Museum Ludwig, Köln, 14. März bis 15. Juli 2015