Ausstellung in Karlsruhe

Künstlerin züchtet van Goghs Ohr nach

Karlsruhe (dpa) - «Sugababe» ist eine Rekonstruktion des Ohrs von Vincent van Gogh mit Hilfe eines 3D-Bioprinters, wissenschaftlicher Unterstützung und unter Verwendung des genetischen Materials eines Nachfahrens des Malers. Das in einer transparenten Box in nährstoffreicher Lösung aufbewahrte Ohr ist im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe zu sehen - als erstes Projekt der in Hildesheim geborenen und in den USA lebenden Künstlerin, das in Deutschland gezeigt wird.

«Es lebt, es ist gesund», meint Diemut Strebe am Mittwochabend im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Die Interpretation des Werks, an dem sie drei Jahre lang gearbeitet hat, will sie den Betrachtern überlassen. Aber die 47-Jährige erzählt, was sie dazu getrieben hat: Verliert etwas seine Identität, wenn ein Teil davon verloren geht? Diese Frage ist als Theseus' Paradoxon in die Philosophiegeschichte eingegangen. So wie bei Plutarch (ca. 45 bis ca. 125 n.Chr.) die Planken im Schiff des Theseus nach und nach ersetzt wurden, hat Strebe nun das abgeschnittene Ohr mit biologischem Material ersetzt: den genetischen Code auf der molekularen Ebene, die Zellorganisation auf mikroskopischer Ebene und den Aufbau des Organs auf anatomischer Ebene.

Der erste Plan ging allerdings schief: Strebe erhielt aus Paris den Umschlag eines Originalbriefs, den Van Gogh 1883 auf den Postweg brachte. In der Schweiz wurde im September 2012 vorsichtig die Briefmarke abgehoben, um aus den Speichelresten auf der Rückseite der Marke die DNA zu extrahieren. Aber die so gewonnene genetische Information stimmte nicht mit der des Malers überein. «Der Briefträger hat es vermiest», erzählt Strebe. «Die Marke wurde von ihm auf den Umschlag aufgebracht, nicht von Van Gogh.»

So musste Lieuwe van Gogh ran: Der Ururenkel von Van Goghs Bruder Theo trägt immerhin noch ein Sechzehntel des Erbguts seines Vorfahrens mit sich herum. Da Lieuwe van Gogh selbst Künstler ist, fand er die Idee Strebes gleich reizvoll und spendete ein Stück Knorpelgewebe aus seinem Ohr.

«Das ist aber nur der genetische Teil des Projekts», erklärt Strebe telefonisch in Boston. «Sugababe» ist auch eine digitale Sound-Installation. Van Gogh ist ganz Ohr für seine Besucher. «Sie können zu dem Ohr sprechen!» - dazu lädt das ZKM die Besucher ein. Jedes Wort wird von einem Computer registriert, die Antwort besteht in Impulsen, die einen Hörnerv simulieren. «Der Besucher hört dann ein Neuronengewitter», erklärt Strebe. In diesen verfremdeten Klängen ist auch ein Teil der eigenen Identität verborgen.

Am 6. Juli kommt Strebe wieder nach Karlsruhe, um zusammen mit dem ältesten ihrer fünf Kinder das Ohr abzuholen. Im Frühjahr 2015 wird «Sugababe» in der Feldman-Galerie in New York ausgestellt. Strebe hat länger in Berlin, Paris und bei Genua gelebt. «So spielerisch mit Wissenschaft und Kunst umzugehen - das geht nur in den USA», erklärt die Künstlerin. «Aber das ZKM hat das toll aufgebaut, ich bin sehr glücklich, dass es jetzt in Karlsruhe zu sehen ist.»

ZKM, bis 6. Juli