Kunst und Politik

Aktiv in den Sommer

Während der Verhandlung gegen den russischen Kurator Andrei Yerofeyev, verfolgt wegen seiner Ausstellungen, springen sie auf, holen in den Gerichtssaal geschmuggelte Gitarren und Verstärker heraus und singen ihren Hit „Alle Polizisten sind Bastarde“: eine Aktion der russischen Gruppe Voina von 2009. Als das Wetterprogramm läuft, erscheint plötzlich ein Atompilz in der Landschaft: Die tschechische Gruppe Ztohoven hat den Fernsehsender gehackt und das Bild manipuliert. Ein vom Erdbeben zerstörtes Dorf in Haiti wird mit einer einfachen, aber extrem effektiven Konstruktion aus Erdsäcken wieder aufgebaut, die Häuser sehen aus wie gestapelte Würste: eine Aktion der Künstlerin Swoon aus Brooklyn.

Nur drei von zahlreichen Beispielen aus dem Band „Art & Agenda: Political Art and Activism“, den Alain Bieber, Pedro Alonzo, Gregor Jansen und Robert Klanten für den Gestalten-Verlag herausgegeben haben. Dass das Thema relevant ist, dürfte nicht erst seit der Inhaftierung des Chinesen Ai Weiwei klar sein. In einer globalisierten Kunstwelt treten einerseits immer häufiger Künstler auf, die direkt mit den oft undemokratischen Verhältnissen in ihren Heimatländern zu kämpfen haben. Demgegenüber übernimmt in den spätkapitalistischen Gesellschaften des Westens die Kunst verstärkt Rollen, die andere Akteure offenbar nicht mehr ausüben – investigativen Journalismus, Sozialarbeit, außerparlamentarische Opposition zum Beispiel.

Das Feld ist weit, die Definition der Herausgeber dementsprechend etwas unscharf. Am Ende retten sie sich in den Vorschlag, politische Kunst sei solche, die die res pub­lica betreffe. Was fiele nicht darunter? Doch wer will noch lange über Definitionen streiten, wenn hier über 80 Kurzporträts von Künstlern oder Künstlervereinigungen vorliegen. Nur wenige von ihnen sind unter den üblichen Verdächtigen einzuordnen, Ai Weiwei natürlich, Marina Abramović, Santiago Sierra, Paul Chan. Die vielen weiteren haben eine größtmögliche Öffentlichkeit noch verdient. Für ihren Mut, ihre Originalität und gelegentlich auch für Punkrock und Gruppensex vor Uniformträgern. 

Robert Klanten u. a. (Hg.): „Art & Agenda: Political Art and Activism“, auf Englisch, Gestalten-Verlag, 288 Seiten, 44 Euro