Gülsün Karamustafa in Berlin

Das Denkmal und das Kind

Im Hamburger Bahnhof in Berlin rüttelt Gülsün Karamustafa an den Monumenten der Politik

Ein Vater fotografiert seine kleine Tochter, wie sie im "Denkmal des Vertrauens" in Ankara herumtollt. 50 Jahre später verarbeitete Gülsün Karamustafa die alten Fotos von sich zu einem Bilderfries und (siehe Foto oben) einem Wandteppich-Entwurf – für die Ausstellung "The Monument and the Child" 2011 in Wien. Zwei zentrale Themen der bedeutenden türkischen Künstlerin kommen in dem Zyklus zusammen: die Verflechtung von Privatem und Politik sowie die Verbindung, die Kultur über Ländergrenzen hinweg schafft. Das Monument zu Ehren Atatürks war in den 1930ern zum Beispiel von österreichischen Künstlern entworfen worden.

Zum ersten Mal wird Gülsün Karamustafa, 1946 in Ankara geboren, eine große Museumsausstellung außerhalb der Türkei eingeräumt. Die Berliner Soloschau im Hamburger Bahnhof fasst rund 110 Arbeiten. Auf eine chronologische Präsentation wird verzichtet, sinnigerweise, denn Karamustafas Sujets sind zeitlos: Migration, Popkultur, Feminismus, Gender, Queerness. Neben jüngeren Werken wie "The Monument" sind auch ältere Arbeiten der einflussreichen wie streitbaren Türkin zu sehen. Ihre erste Retrospektive in der Türkei fand erst 2013 statt – bei Salt in Istanbul. Als ausgesprochen politische Künstlerin hat es Karamustafa, die auf ein medienübergreifendes Schaffen seit Mitte der 70er zurückblickt, in ihrem Heimatland nie leicht gehabt.

Sie engagierte sich um 1968 in der Studentenbewegung, saß 1971 mehrere Monate im Gefängnis und konnte dann 16 Jahre lang nicht ausreisen, weil ihr Pass eingezogen blieb. In Berlin sind ihre in den 70ern gefertigten, naiv anmutenden "Prison Paintings" zu sehen, mit denen Karamustafa die Erinnerung an die Haft wachhielt. Die Videoinstallation "Memory of a Square" dokumentiert die Geschichte des Taksim-Platzes zwischen 1930 und 1980. Neben die Filmdokumente werden fiktive Familienszenen projiziert, anhand derer Karamustafa von den Folgen blutiger Ereignisse für Individuen erzählt. Die Geschichte ließe sich problemlos bis in die Gegenwart fortsetzen.