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„School of Saatchi“ ist eine Realityshow, die auf BBC Two läuft. Die Idee dabei ist, dass junge, unbekannte Künstler sich darum bewerben, von Charles Saatchi, dem Megasammler, entdeckt und bekannt gemacht zu werden. Der Gewinner bekommt drei Jahre lang ein Atelier zur Verfügung gestellt und kann seine Arbeiten in einer großen Ausstellung von Saatchis Neuerwerbungen (in der Petersburger Eremitage) präsentieren.
Saatchi selbst tritt in der Sendung nicht auf. Hin und wieder wird ein Foto von ihm eingeblendet, das ein wenig an Orwells Big Bro-ther erinnert, untermalt von entsprechend dramatischer Musik, um die Zuschauer daran zu erinnern, wie wichtig dieser Mann für den Aufstieg der zeitgenössischen Kunst als Pop-Phänomen ist, ganz besonders in England. (Eine Stimme weist aus dem Off darauf hin, dass die Künstlerkarrieren von Jeff Koons, Damien Hirst und Tracey Emin den entscheidenden Anstoß von Saatchi erhielten.)

Eine Jury (Künstler, Sammler, Kurator und Kritiker) entscheidet darüber, wer an der Show teilnehmen darf. Die Juroren beurteilen die Arbeiten der sechs erfolgreichen Kandidaten, stehen ihnen mit Empfehlungen und Rat zur Seite. Bei jeder Abstimmung hat Saatchi das letzte Wort. Ein Vertreter der Saatchi Gallery, der über Handy Kontakt zu dem großen Häuptling hält, informiert Jury und Publikum über dessen Ansichten und Wünsche.
Ich war einer der Juroren. Ich hatte mich bereit erklärt, weil ich den Studienaspekt interessant fand. Den sechs Kandidaten wird für zehn Wochen ein Atelier zur Verfügung gestellt, in dem sie arbeiten können und wo sie von Kritikern, Kuratoren und etablierten Künstlern beraten werden. Es ist fast wie auf einer Kunstakademie. Dass die Kandidaten auf Schritt und Tritt von Kameras begleitet werden, stört zwar ein bisschen, ändert aber nichts an der Grundsituation.
Mit Saatchi sind wir Juroren nur einmal ganz kurz zusammengekommen. Es gab theatralische Umarmungen. Niemand nutzte die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Saatchi weiß nicht, warum wir an der Show teilnehmen, und wir wissen nicht, was ihn motiviert – warum er sammelt, ob er ein Kunstliebhaber ist oder ein Marktmanipulator oder beides oder etwas ganz anderes (auch sein kürzlich erschienenes Buch mit Selbstinterviews gibt keinerlei Aufschluss – man bekommt ihn einfach nicht zu fassen).

„School of Saatchi“ hat viele Zuschauer. Die Show ist sicher nicht wahnsinnig spannend, man verfolgt sie eher mit distanzierter Faszination. Die Presse lästert über die Juroren, die von den Künstlern wissen wollen: „Warum ist das Kunst?“ Ja, ich habe diese Frage einige Male gestellt. Nicht etwa, weil ich bezweifelte, dass es hier um Kunst ging, sondern weil ich von den Kandidaten hören wollte, was sie (mit eigenen Worten) über ihre Arbeit zu sagen hatten.
Ich glaube ja, dass etwas „Kunst“ ist, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt, die gemeinhin für ein Kunstwerk gelten. Bei vielen Objekten, die wir bei der ersten Bewertung zu sehen bekamen, wurden diese Kriterien ziemlich locker gehandhabt. Ich wollte, dass die Künstler ihre Gedanken überzeugend entwickeln. Warum haben sie dieses Objekt so und nicht anders gestaltet? Mit welchem Ziel? Würden sie es anders machen, wenn sie die Chance hätten, noch einmal zehn Wochen konzentriert in einem Atelier zu arbeiten? Über diese Fragen wurde bei den Beratungen der Jury ausgiebig diskutiert, aber da die TV-Produzenten eine andere Auffassung von „Realität“ hatten, fielen diese Diskussionen weg (es hätte zu viel Zeit gekostet). Diese Beschränkung fand ich nicht sehr nett, aber ich musste akzeptieren, dass ich in dieser Situation faktisch machtlos war.

Von den vielen Kunstwerken, mit denen ich in der ersten Staffel konfrontiert wurde, war keines wirklich ausgereift oder vollendet. Und wenn die Kandidaten sich dazu äußerten, waren es selten mehr als nachgeplapperte Worthülsen, die sich nur bedingt zu einem kohärenten Satz fügten. Dieses Manko hat mich nicht gestört, auch das erinnerte mich an das Studentendasein. Wer an einer Kunstakademie unterrichtet, weiß, dass er es nicht mit Genies zu tun hat, sondern mit jungen Leuten, die unbedingt berühmt werden wollen – sie produzieren Dinge, die am Anfang eher durchschnittlich sind, und kommen nur durch Gruppenprozesse voran. Lehrer, Studenten, Kontext (die Atmosphäre in der Akademie) – all das spielt mit hinein. „School of Saatchi“ schien mir das Fernsehformat einer solchen Akademie zu sein. Wer weiß schon, wie heute eine ideale Kunstakademie aussieht – warum also nicht eine Realityshow?
Die Sendung ist populär, so, wie zeitgenössische Kunst in England seit Neuestem populär ist. Die Leute finden es interessant, etwas über Kunst zu erfahren, Klatschgeschichten zu hören, äußern sich abfällig über den Zynismus und die Korruption, die sie in der Kunstwelt wahrzunehmen glauben. Gleichzeitig begegnen sie der Kunstwelt voller Ehrfurcht, lassen sich gern erklären, wie es dort zugeht.

Wenn sie es lächerlich finden, sind sie trotzdem beeindruckt, dass ein so groteskes Ritual existiert, das Dreck in Gold verwandelt. Staunend reagieren die Leute auf die Unerklärbarkeit von Kunst – dass ein Stapel indischer Fladenbrote, die ein Künstler in der dritten Woche präsentierte, von den Juroren ernst genommen und von Saatchi enthusiastisch gelobt wurde, während in derselben Sendung ein Bündel schwarz eingefärbter Bücher nur geringfügig schlechter bewertet wurde – so als würde man Chopin ganz ernsthaft mit Mozart vergleichen oder Bertrand Russell mit Ludwig Wittgenstein.

Saatchis Urteil über die vorgestellten Werke widersprach in keinem Fall der Auffassung der Juroren. Das war nicht weiter überraschend. Es war objektiv klar, welche Kandidaten gut oder weniger gut waren. Und auch die Entscheidung über den Sieger fiel am Ende absolut eindeutig aus. Eugenie Scrace, die erst 19 ist und noch an der Slade School of Fine Art studiert, war zunächst nicht sonderlich überzeugend, präsentierte dann aber (man könnte meinen: fast unbeabsichtigt) die beste Arbeit, einen auf einem Zaunstück aufgespießten Baumstrunk, den sie eines Tages in einer Wohnsiedlung gesehen hatte. Sie bat die Techniker der Saatchi Gallery einfach, das Objekt abzubauen und in der Gallery zu installieren. Das Ding sah gut aus, wie eine richtige Skulptur, halb Assemblage, halb postdadaistisches Objet trouvé.

Fernsehen ruiniert ja das Denkvermögen. Jedenfalls ist während der Show zu hören, wie ich Eugenie Scrace empfehle, künftig nur noch nach solchen Objekten Ausschau zu halten, statt Eigenes zu schaffen (das konkrete Arbeiten ist nicht unbedingt ihre Stärke). Leider weiß ich inzwischen nicht mehr so genau, ob das ein so guter Rat war. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork