Kommentar

Viel mehr als eine Komödiantin

Friederike Caroline Neuber reformierte das Theater, stritt für Zärtlichkeit, Natur und Kunst und half Lessing auf die Bühne. Was für ein Leben!

Wie viel Anspruch verträgt das deutsche Publikum, wie viel Geist, Raffinesse, Bildung? Vor dieser Frage stehen sämtliche Theater, Museen, Verlage, Rundfunk- und Fernsehanstalten, und es war die Lebensfrage einer der bemerkenswertesten, tapfersten Frauen der Schauspiel­geschichte, der Friederike Caroline Neuber aus dem sächsischen Reichenbach. Am Ende empfand sie sich als gescheitert, abgeprallt an der Gier des Auditoriums nach Spaß und Tölpelei ohne tiefere Bedeutung, doch ihr Verdienst ist bleibend. Ohne "die Neuberin" gäbe es vielleicht keine Programmhefte – sie machte als Erste aus der Besetzungsliste einen Theaterzettel mit Stückbeschreibungen –, und ohne sie hätte das schauspielernde Handwerk sich nicht so rasch vom Ruch des Halbseidenen befreit.

Und dennoch dieser Ausbruch, diese Enttäuschungssuada, diese Publikumsbeschimpfung zu Hamburg im Januar 1740. Da war sie 42 Jahre alt und kurz davor, auf den Ruf der Zarin Anna hin mit ihrer Truppe nach St. Petersburg überzusiedeln. Den Hamburgern klangen die Ohren: "Hier hält mich wenig Gunst und kein Verdienst zurück, / darum gönnet wenigstens Euch und mir dies Glück, / dass Ihr uns nicht mehr seht. / Denn von der Schauspielkunst habt ihr sehr wenig Licht, / weil's Euch an Zärtlichkeit, Natur und Kunst gebricht." Ein Auftrittsverbot durch den Hamburger Magistrat war die Quittung für weiblichen Bekennermut.

St. Petersburg wurde Episode. Die Zarin starb Ende Oktober 1740 und mit ihr alle Gunst. In absolutistischen Zeiten konnte es nicht anders sein. Zuvor hatte der Tod Augusts des Starken 1733 zu einer Krise geführt, war doch damit das Privileg erloschen, kraft dessen das Ehepaar Neuber zu Hofkomödianten ernannt worden war. Kein festes Haus hatte ihr der Kurfürst ver-liehen, aber das Recht, als fahrendes Ensemble aufzutreten. Das Leipziger Debüt zur Ostermesse führte die Neuberin 1727 mit Johann Christoph Gottsched zusammen. Eine fruchtbare Zusammenarbeit beginnt. Beide wollen das Schauspiel in deutschen Landen auf europäisches Niveau heben. Die Franzosen sind Vorbild. Die Neuberin macht sich um deutsche Aufführungen der Stücke von Corneille, Racine, Marivaux, Molière verdient.

Gottsched, der die Neuberin in ihrer Paradedisziplin kennenlernte, der vierfachen Hosenrolle junger männlicher Studenten in der Komödie "Gespräche im Reiche der Toten", ist bekümmert nach dem Hamburger Fiasko: "So verlieren wir in Deutschland wiederum ein Mittel, den guten Geschmack zu fördern." Leider frage man "in Sachsen nach solchen Sachen nichts, die von Auswärtigen mit sehr großen Kosten gesuchet werden". Sachsen aber nimmt seine verlorene Tochter nach der Rückkehr aus Russland in Ehren auf. "Mein allerliebstes vernünftiges Leipzig" – so die Neuberin an Gottsched – wird Schauplatz der Uraufführung einer Komödie des blutjungen Gotthold Ephraim Lessing aus dem sächsischen Kamenz. Die Neuberin bringt 1748 den "Jungen Gelehrten" auf die Bühne.

Die große Frau, die sich "nichts als eine Komödiantin" nannte, stirbt in den Wirren des Siebenjährigen Krieges am 29. November 1760 in Laubegast. Goethe setzt ihr ein Denkmal in "Wilhelm Meisters Lehrjahren" – und Petra Oelker in historischen Krimis um die Komödiantin Rosina. Alles Weitere findet sich, anschaulich verdichtet, im Neuberin-Museum in Reichenbach/Vogtland. Das Wort, das Friederike Caroline auf einen Theaterzettel drucken ließ, gilt noch: "Das Übrige wird angenehmer zu sehen, als hier zu lesen sein."