Matthias Müller stellt in Berlin aus

Warteraum, Bilderschaum

Matthias Müllers Soloschau in der Berliner Galerie Campagne Première speist sich ausschließlich aus Web-2.0-Streams

Das Hollywoodkino und seine Codes stehen oft im Zentrum seiner Kunst: Matthias Müller schafft Experimentalfilme, die in der Regel raffiniert montierte Collagen aus gefundenem Film- und Videomaterial sind. Sein Found-Footage-Film "Home Stories" (1990) zwang Stars wie Lana Turner oder Grace Kelly in einer unheimlichen Video-Choreografie zusammen. Gemeinsam mit Christoph Girardet durchforstete der Künstler für die sechs Kapitel der "Phoenix Tapes" 40 Hitchcock-Filme nach wiederkehrenden Themen und Mustern.

Müller, dem im New Yorker MoMA 1994 eine Werkschau gewidmet wurde, hat aber auch mit privatem beziehungsweise nicht-fiktiven Material gearbeitet. Seine Soloschau in der Berliner Galerie Campagne Première speist sich ausschließlich aus Streams, die auf Chatrooms des Web 2.0. zurückgehen. Neben einem Video-Loop, das die Dokumentaraufnahmen ins Spielfilmhafte kippen lässt, sind zwei fotografische Tableaus und zwei Fotoserien zu sehen. Die Wandcollage "While You Were Out" reiht Aufnahmen leerer Bürostühle.

Still aus Kendrick Lamars Musikvideo "Elements" mit Bezug zu Gordon Parks Fotografie "Boy with june bug", 1963

Sowohl hier wie auch in der gerahmten Serie "Waiting Rooms" musste Müller jene Momente abpassen, in denen die Chat-Teilnehmer aus dem Kamerawinkel verschwunden waren. Fast wie abstrakte gemalte Miniaturen wirken die "Waiting Rooms", durch die Pigmentdrucktechnik und die Blockstrukturen kommt ein malerischer Effekt zustande.

Matthias Müller "You Are Here", 2016

Im Fall der Video-Arbeit "Air" – der Titel verweist auf den Soundtrack, die lückenhafte Wiedergabe eines Klavierstücks von Bach – erzeugt die Datenreduktion der Bewegtbilder eine Art Schaumteppich, auf dem sich Blasen bilden und zu zerplatzen scheinen. Zur "Continuity" dieser wabernden Struktur kommen fiktionale Verlinkungen hinzu: Wieder sind es menschenleere Zimmer, die Müller collagiert. Ein Ventilator schwenkt hin- und her, ein Vorhang weht, Zigarettenrauch breitet sich aus. Erzählstränge deuten sich an und reißen ab.

Im Finalbild, das lange stehenbleibt, sind Gestalten auszumachen: Durch einen halb geöffneten Vorhang sehen wir ein helles Fenster in der gegenüberliegenden Fassade. Das Kopfkino ist im vollen Gang, wir werden zu Voyeuren, die den Blick vom Schattenspiel nicht abwenden können.

Matthias Müller "Air", 2016