Café Moskau

Was alles denkbar ist: Eine Ausstellung zeigt das ungebaute Berlin

Seit jeher ist Berlin eine Stadt der Visionen, eine Projektionsfläche für Ideen und Ideale. Jeder politische Umbruch verlangte nach einem neuen architektonischen Ausdruck, und jeder Gang durch die Stadt erzählt eine neue Geschichtet. Doch vieles bleibt verborgen: die Pläne, die nie realisiert wurden.

Vergessene Entwürfe werden in der vom Berliner Architekturhistoriker Carsten Krohn eingerichteten Ausstellung „Das ungebaute Berlin“ ans Licht geholt. Das freie, vom Hauptstadtkulturfond geförderte Projekt zeigt eine Stadt, die es nicht gibt, dessen gebaute Wirklichkeit jedoch in Fragmenten die Utopien erkennen lässt. Schon der Ausstellungsort, das „Café Moskau“ in der Karl-Marx-Allee, in der ehemaligen Stalinallee ist so ein Fragment. Dieser Boulevard war eines der wichtigsten Bauprojekte der Hauptstadt der DDR. Es sollte den sozialistischen Staat nach dem Vorbild Moskaus repräsentieren. Breite Straßen, angelegt für Paraden, monumentale, zur Straße hin ausgerichtete Bauten, die so genannten „Arbeiterpaläste“, im Stile eines sozialistischen Klassizismus, sollten die Ideale des Systems zum Ausdruck bringen und sich bewusst von der Klassischen Moderne des Westens abgrenzen.

Auf Grund von zu hohen Kosten und Bauverzögerungen wurde der „Zuckerbäckerstil“ des Prachtboulevards jedoch nur bis auf Höhe des Strausberger Platzes umgesetzt. Auf dem Abschnitt zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz wurden die Leitbilder der Moderne aufgegriffen und es entstanden großzügig aufgestellte Plattenbauten. Auch das Anfang der 60er-Jahre entstandene Café Moskau fällt in diese Bauphase, eine streng geometrische Architektur und große Glasfassaden prägen das ehemalige Restaurant.

Wie wollen wir leben?
Man tritt also aus dem U-Bahn-Schacht und findet sich zwischen monumentalem Klassizismus und leichter Moderne, zwei Architekturstile, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Im Café Moskau hingegen macht sich zunächst Ernüchterung breit. Der im Erdgeschoss befindliche Teil der Ausstellung verströmt einen gehörigen Biblioktheks-Lesesaal-Charakter. Links und rechts des Eingangs in einer Galerie um die inneren Räume stehen weiße Tische mit je zwei dicken Ordnern, an den Wänden gegenüber der Glasfassade hängen die unterschiedlichsten Modelle und Pläne, jedes ist der Versuch einer Antwort auf die Frage „Wie wollen wir leben?“.

Die Ausstellung ist in sechs Themen unterteilt. Titel wie „Urbane Großformen“, „Funktionale Stadt“, „Totale Planung“ oder „Mobile Stadt“ machen deutlich, welche sozialen, politischen, gesellschaftlichen oder ökonomischen Ideale zur jeweiligen Zeit im Vordergrund standen. Setzt man sich an einen der Studientische und liest in den Ordnern, offenbaren sich einem die Visionen eines unbekannten Berlins. So stößt man etwa auf Hans Poelzigs Planung für eine Neugestaltung des Platzes der Republik von 1929. Sechs radial angelegte, 13-geschossige Hochhäuser in Anschluss an das Reichstagsgebäude sollten die Abkehr von kaiserlichen Konventionen demonstrieren. Auch Hugo Häring plante zur selben Zeit eine Hochhausstadt rund um den Gendarmenmarkt, jedes der Bauten wäre höher gewesen als die beiden markanten Türme des Deutschen und Französischen Doms, die so prägend für den Platz sind. Noch radikaler war Alberts Speers totalitärer Entwurf „Germania“ von 1941. Für die „Welthauptstadt Berlin“ wollte er die Spree unter die Erde verlegen lassen.

Diesen monumentalen Planungen stehen die Visionen der Nachkriegszeit gegenüber. Organische Formen und eine dezentralisierte Stadtorganisation, die eine strenge Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit vorsah, sind Ausdruck für das neue Gesellschaftsbild Westdeutschlands. Das Wirtschaftswunder und die zunehmende Mobilisierung verleiteten die Architekten jedoch zu wahnwitzigen Ideen: Sergius Ruegenberg plante einen innerstädtischen Flughafen und der West Berliner Senat blieb bis in die 70er-Jahre hinein fest entschlossen, die Stadt mit einem Autobahnnetz zu überziehen. Die Straßen hätten sämtliche historischen Stätten und Grünflächen brutal durchschnitten.

Bedauern und Erleichterung
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts, in der wiedervereinten Stadt, schien alles möglich. Für den Potsdamer Platz entwarf Daniel Libeskind eine chaotische Architektur mit sich überlagernden Formen – sein Konzept lautete: „der Bauplatz als Puzzle“. Ein riesiges Flügeldach überspannt eine wildbewachsene Fläche. Vom Rand des Flügels stürzt ein Wasserfall in die urbane Oase herab. Mag der Entwurf noch so spektakulär sein, er gesteht doch zugleich das Fehlen eines „Masterplans“ ein.

Während man von Modell zu Modell wandert und nur staunen kann angesichts der so unterschiedlichen, fantastischen, aber auch grotesken Visionen der Architekten, mischen sich Bedauern und Erleichterung darüber, dass so vieles nicht realisiert wurde, unter die Begeisterung. Einiges hätte man gerne gesehen, bei anderem ist man froh, dass es nie über das Reißbrett hinausgekommen ist. Im Untergeschoss des Café Moskaus gibt es eine Videoinstallation mit Statements der Architekten, die ihre Ideen und Ideale erläutern. Aber viel lieber möchte man jetzt hinausgehen und sich das gebaute Berlin anschauen, sich dabei vorstellen, wie es auch hätte aussehen können und träumen, was in dieser Stadt noch alles möglich ist.

Bis 15. August 2010, täglich 10 bis 20 Uhr