Wie haben Sie das gemacht, David Claerbout?

Die Videoinstallation „The American Room“ zeigt einen Raum, in dem zahlreiche Zuschauer einem Konzert lauschen. Hinten prangt eine amerikanische Flagge, eine Pianistin und eine Sopranistin intonieren unter anderem die amerikanische Nationalhymne. Die Kamera fährt durch die Reihen, umkreist die Personen und zeigt sie von allen Seiten, während sie zuhören. Gleichzeitig erklingt aus fünf im Raum installierten Lautsprechern die Musik. Nur: Die Figuren in dem Video bewegen sich nicht, sie wirken wie eingefroren. Es ist also so, als würde die Kamera durch eine 3-D-Fotografie hindurchfahren – als streunte man durch eine Welt, in der die Zeit angehalten wurde. David Claerbout, wie haben Sie das gemacht?

"‚The American Room‘ war ein ziemlich verrücktes Projekt – technisch das komplexeste, das ich und meine Assistenten jemals verwirklicht haben. Es nutzt 3-D modeling und die Technik der virtuellen Realität, es kombiniert Kamerabewegung im virtuellen Raum mit Fotografie.
Als Erstes habe ich den Raum gewählt: Es sollte ein Setting im konservativen Stil diplomatischer Repräsentationsräume sein, wo Botschafter, Politiker, Funktionäre zusammensitzen, zu diesen typischen Anlässen, wo Kultur benutzt wird, um der Diplomatie einen Rahmen zu geben. Den Raum fanden wir über meine Londoner Galerie: Sie nutzt ein ehemaliges Bankgebäude am Piccadilly Cir- cus, das mit seinen Holzwänden genau über diese Ausstrahlung verfügt. Die Personen, die man im Raum sieht, wurden allerdings alle in meinem Studio in Antwerpen aufgenommen. Wir haben in einer Bluebox 3-D-Scans von den Akteuren gemacht. Bei diesen 360-Grad-Scans fährt eine hochauflösende Fotokamera innerhalb von fünf Sekunden einmal rund um die Person und nimmt dabei 13 Frames pro Sekunde auf. Was entsteht, ist ein Hybride zwischen Film und Fotografie.
Die Daten der Scans wurden dann in den Computer gefüttert, in einem langen Rechenprozess: Terabytes und Terabytes. Wir haben fünf Macintoshs zu einer render farm, einem Rechnerverbund, zusammengeschlossen. Die Scans der Personen wurden im virtuellen Raum zusammengebracht. Dann haben wir sie im virtuellen Raum mit der beweglichen Kamera ‚gefilmt‘, die Fahrten durch den Raum gemacht, die Fokusverlagerungen und so weiter. Als ob man wirklich eine Kamera bediente, nur eben im Computer. Der längste Teil des Prozesses war dann die Bearbeitung der fertigen Daten, die post-production. Alles muss passen, die Farben, die Komposition, die Oberflächen. Das ist ein malerischer Prozess, ich brauchte dafür Mitarbeiter, die sehr gute Zeichner und Maler sind. Das war das eigentlich Überraschende an der Produktion: dass am Ende diese traditionellen handwerklichen Fähigkeiten extrem wichtig sind.
Mein Ziel war, dass die Kamerabewegung im Raum echt wirkt, dass auch die Menschen sehr echt wirken – nur dass sie nicht atmen, bewegungslos sind, wie tot. Diese Leute nehmen die Musik gar nicht wahr – am Ende wird der Betrachter der fertigen Installation das einzige lebendige Wesen sein, das zuhört. Unterstützt wird das durch die Musik, die sich im Raum bewegt, entsprechend den Bewegungen der Kamera im Film. Die Rhetorik des Nationalismus, die in Settings wie diesem produziert wird, ist bankrott, sie ist tot – das ist die Idee, die für mich dahintersteckt.
An ‚The American Room‘ habe ich mit meinen Mitarbeitern zwei Jahre lang gearbeitet. Ich habe ein Filmstudio und einen Schnittraum in meinem Atelier, die technischen Lösungen für die komplizierten Verfahren entwickeln wir dort selbst. Ich finanziere meine Projekte immer selbst, und ich muss sagen, mit ‚The American Room‘ bin ich an meine Grenzen gestoßen, das hat mich viele schlaflose Nächte gekostet. Am Ende haben wir es geschafft – wenn man kein großes Budget hat, muss man eben clever sein."

David Claerbout wird vertreten von der Galerie Rüdiger Schöttle, München. „The American Room“ ist noch bis 25. Juli auf der Photoespaña Madrid zu sehen