Rundgang: Art Basel/Miami Beach

Zehn Jahre und schon fast erwachsen

Am Abend geht nichts mehr. Da drängelt man sich vor dem Eingang zur Art Basel/Miami Beach und hat ganz umsonst die dünnen, braunen Beinchen aufgesockelt oder das Hemd bis zum Brusthaar geöffnet: In der Menge gehen alle ästhetischen Bemühungen unter. Die wahre Show im Innern des Convention Center ist auch schon vorbei. Denn seit Mittag laufen hier die Previews mit ihren Staffelungen nach VIP und very VIP. Die hungrigen Fotografen haben unter anderem Michael Douglas mit Catherine Zeta-Jones, Naomi Campbell, Damien Hirst und P. Diddy vor die Kamera bekommen. Letzterer lässt sich zum Kunstkauf von Julian Schnabel und in Begleitung mehrerer Security-Leute durch die Kojen führen.

Ähnlich eindrucksvoll ist das Defilee der etablierten Sammler mit Familien wie den Rubells oder de la Cruz‘. Als Spezialist für chinesische Kunst tritt Uli Sigg auf, Dascha Schukowa für den Geldadel aus Moskau. Trotz einiger Unkenrufe (etwa vom renommierten Sammler Adam Lindemann): Die Art Basel/Miami Beach ist nach wie vor der Termin im Kunstwinter. Und die Organisatoren haben aus dem Desaster vergangenen Sommer gelernt, wo schon zur "First Choice" der Art Basel so viele Besucher kamen, dass eine Sammlerin am Eingang gegen das Absperrgitter gedrückt wurde und im Krankenhaus landete. In Miami blieb nun bis zum späten Nachmittag ein strenger gefiltertes Publikum unter sich, um halbwegs in Ruhe die Kojen von 260 internationalen Galerien zu durchforsten.

Natürlich gab es Rummel etwa bei Gagosian, der die verkäuflichen Arbeiten nicht einmal mehr mit einem Namensschild versieht, oder am Stand der britischen Stephen Friedman Gallery, wo ein lebensgroßer Prinz William zum gemeinsamen Foto mit Verlobungsring oder für 95.000 Dollar zur Mitnahme lud. Die Skulptur stammt von Jennifer Rubell, und man fragt sich, ob jene Wachsfigur den Kunstmarkt symbolisieren soll, der jeden potenziellen Käufer umarmt. Die Künstlerin weiß als Spross der gleichnamigen Mega-Collector-Familie genau, wie es sich anfühlt, im Zentrum finanziell gelenkter Aufmerksamkeit zu stehen. Ansonsten aber macht der grinsende Prinz etwas ratlos, weil man jede über die reine Anschauung hinausweisende  Botschaft vermisst.

Schiere Größe ist jedenfalls nicht länger ein Merkmal jener Messe, die anfangs vor allem als Glamour-Ausgabe der Art Basel galt. Im zehnten Jahr scheint dieses Prinzip bloß noch an wenigen Kojen durch, wo Plüschmonster von Takashi Murakami (Perrotin) oder mit dreidimensionalen Bildern gefüllte Aquarien der Künstlergruppe Mondongo (Ruth Benzacar) zum Stückpreis von 18.000 Dollar erschrecken.

Ansonsten sieht man viel Gehaltvolles bei Galerien wie Thaddaeus Ropac, der Skulpturen von Tony Cragg (73.000 Euro) oder Stephan Balkenhol (120.000 Euro) zeigt, an Ständen wie denen von White Cube, wo man die wandgroße Leuchtfotografie „Hotels, Carrall St., Vancouver“ (2005) von Jeff Wall für 650.000 Dollar erwerben kann, oder bei dem Kölner Galeristen Karsten Greve, der neben späten Arbeiten von Louise Bourgeois winzige gemalte Star-Porträts auf Pappkarton von Gideon Rubin hängt, die bloß 1.100 Dollar kosten – und erwartungsgemäß nach einem Wimpernschlag ausverkauft sind. Dass auch im Millionenbereich nicht lange gezögert wird, bewies die Galerie Terminus mit dem Bild „T.C“ (Dog) von Keith Haring, das ebenfalls nach wenigen Stunden für 1,2 Millionen Dollar verkauft war.

Galerien wie Landau Fine Arts, Acquavella oder Moeller Fine Art haben die klassische Moderne mit nach Miami gebracht und runden das Angebot nach oben ab. Fast könnte man sich auf der erwachsenen Art Basel wähnen, mit der es der Ableger inzwischen mühelos aufnehmen kann – stünde da nicht Judy Lybke, den die Baseler Jury im Januar nicht länger zugelassen hat. Seine strenge, schöne Koje in Schwarzweiß mit Arbeiten von Carsten Nicolai, Olaf Nicolai, Yehudit Sasportas und einer Bronzeskulptur von Neo Rauch lässt sich als Empfehlung lesen, die Entscheidung für 2012 noch einmal zu überdenken. Und obwohl Lybke nicht länger mit Rauch garantierten Umsatz macht – das tut nun die Galerie Zwirner einem gemalten Rauch ein paar Stände weiter –, hat der Berliner Galerist in kürzester Zeit erste Arbeiten verkauft.

Art Basel/Miami Beach, noch bis 4. Dezember 2011