„Kunst und Kalter Krieg“ in Nürnberg zeigt, wie kaputt Deutschland ist. Die Bilder werden von der Geschichte erdrückt

Muffig weht es aus den 60er-Jahren herüber. Das sind die Schokolöwen, die Dieter Roth vor 40 Jahren säuberlich in ein Regal gestellt hat und die hier (in einer Kopie) verwittern. Diese Installation als Ganzes ist nun wiederum selbst einsortiert, nämlich in die deutsche Vergangenheit. Doch das Kunstwerk wehrt sich – raumgreifend Geruch verströmend – gegen jede Kasernierung. Vor Bildern von Anselm Kiefer, Werner Tübke oder Martin Kippenberger riecht es immer noch. Selbst wenn man das Germanische Nationalmuseum Nürnberg verlassen hat, hängt einem der Gestank in der Nase. Das Deutschland der Deutschen als Belästigung aus süßlichem Leichen- und Wohlstandsduft – nicht die schlechteste Pointe der Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–1989“.


Gegen Schmerz, Scham und Sentiment wurde, freiberuflich oder von Staats wegen, gemalt und fotografiert, wurden Steine behauen, Videos gedreht und Installationen zusammengeschraubt. Deutsch-deutsche Kunst von 1945 bis 1989 ist in Nürnberg in zwei Hallen untergebracht, nicht getrennt nach Ost und West, sondern chronologisch. Was gab es doch für Ärger um die Berliner Schau „60 Jahre, 60 Werke“, weil dort die DDR nicht vorkam! Hier indes dürfen Tübke, Willi Sitte und Wolfgang Mattheuer neben Richter, Polke, Knoebel, Baselitz hängen. Die besten Maler kamen ohnehin aus dem Osten und wurden erst im Westen richtig gut. Endlich wächst also zusammen, was zusammengehört. Versuchsweise zumindest.
Im ersten Raum mit frühen Nachkriegsarbeiten sind kaum Unterschiede zwischen der Kunst beider Länder zu entdecken. Doch im zweiten Saal, der den bleiernen Jahren von 1960 bis zum Mauerfall gewidmet ist, wirken die Vertreter der DDR deutlich abgehängt, mögen die Maler handwerklich auch noch so gut ausgebildet gewesen sein. In der Bundesrepublik sorgten differenzierte Fragestellungen und gegenseitige Antworten aufein­ander für Dynamik. Im Osten entstanden die interessantesten Sachen in Dresdner und Ostberliner Wohnungen, im privaten Rahmen also. Doch auch diese Werke erinnern an Bewegungen, die im Westen lange zurücklagen. In der Dokumentation wirken die Performances, die Via Lewandowsky und Freunde Ende der 80er-Jahre durchführten, wie ein reenactment des Wiener Aktionismus von 20 Jahren zuvor.
Eine echte Entdeckung hingegen ist Hermann Glöckner, der als Kronzeuge für eine formalistische Praxis in der DDR aufgerufen wird. Eine Vitrine versammelt gefaltete, zerschnittene, zusammengeklebte Alltagsgegenstände vom Anfang der 70er-Jahre – Anknüpfung an modernistische Avantgarde. Die sozialistische Kulturpolitik, die Realitätssinn forderte und als „Bitterfelder Weg“ Programm wurde, verhinderte, dass solche Versuche weiterverfolgt wurden.


Kunst in ihren Ausformungen ist historisch bedingt und nicht autonom. Doch in dem Bemühen, sie unbedingt mit Geschichte zu verknüpfen, wird den Werken eine Zeitzeugenschaft zugemutet, die sie nicht immer einlösen können. Sie tragen in dieser und in ähnlichen Gedenkausstellungen die Last, exemplarisch für etwas anderes als sich selbst stehen zu müssen. Sie geraten immer wieder zur Illustration von Problemlagen und Zeitkolorit. Die Schau wurde am Los Angeles County Museum of Art konzipiert, so verwundert es kaum, dass sie sich eher an Fremde richtet und mehr Landeskunde sein will als deutsche Kunstgeschichte.
Daher ist „Kunst und Kalter Krieg“ hierzulande auch gut aufgehoben in Geschichts- und Nationalmuseen; demnächst wandert sie ins Deutsche Historische Museum, Berlin. Der Besucher begegnet – kaum markiert als rein dokumentarisches Material – auch Nachrichtenbildern oder gar einem Ausschnitt aus dem Kinofilm „Herr Lehmann“. Neben dem Konrad-Klapheck-Gemälde „Schreibmaschine“ hängt als Interpretationshilfe eine alte Fotografie vom Nürnberger Reichsparteitag – plakativer kann ein Werk kaum präsentiert werden, selbst im Sozialismus nicht.


Dennoch zeigt „Kunst und Kalter Krieg“ im Vergleich zu „60 Jahre, 60 Werke“ die brauchbareren Exponate: Hier hängt wenigstens eine Arbeit aus der für diese Zwecke unverzichtbaren „Café Deutschland“-Serie von Immendorff, hier glänzt Tübkes bemerkenswertes, fünfteiliges Schlachtengemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ (1979–81). Man hätte sich eben nur eine größere Konzentration auf solche Stücke gewünscht. In der betrachteten Zeit findet sich eine fast laborartige Situation: Künstler, die nach 1945 ein gemeinsames Erbe antreten und vor gleichen Problemen stehen, entwickeln sich durch andere Rahmenbedingungen voneinander weg. In der DRR gab es keinen Kunstmarkt, keine Kunstvereine, keine Großschau wie die Documenta, die den Betrieb und die Lage der Nation reflektiert. Was bedeutet das für die Produktion? Wie haben Hochschulen, Gruppen, Freundschaften das Gefüge geprägt? Von solchen Fragen ist selbst im essayreichen Begleitband kaum die Rede.
„Kunst und Kalter Krieg“ will zu viel auf einmal und schafft ein ziemliches Durcheinander. Aber vielleicht ist das der Nation genau angemessen: Der sogenannte Sonderweg Deutschlands erweist sich nur noch als Geisterbahn.

 

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, bis 6. September.

Anschließend vom 3. Oktober bis 10. Januar 2010 im Deutschen Historischen Museum, Berlin.

Zur Ausstellung erschien ein Katalog im DuMont Verlag, 460 Seiten,

Museumsausgabe 32 Euro, im Buchhandel 49,95 Euro