Empfehlungen zur Art Week

10 Dinge, die Sie jetzt in Berlin sehen sollten

Zur Berlin Art Week jagt ein Programmpunkt den nächsten. Wer das Gefühl vermeiden will, das Beste zu verpassen, findet hier die Highlights der Monopol-Redaktion

 

Henni Alftan bei Sprüth Magers

Henni Alftans Malerei wirkt auf den ersten Blick sehr grafisch, fast schematisch teilt sie ihre Bilder in Farbflächen auf, Perspektive oder Schatten setzt sie sparsam ein. Das hat einen kühlen Reiz, aber das Spielerische liegt darunter. Ein Stillleben mit einem Glas Milch auf einem Tisch kann in einem anderen Raum in der Galerieausstellung noch mal auftauchen, doch dann ist das Glas randvoll.

Bei aller Sparsamkeit gibt es im Werk der in Finnland geborenen und in Paris lebenden Malerin auch einen Hang zur Übertreibung. So gehen ihre Bildmotive an den Seitenkanten der Leinwände weiter. Ihre Malerei bekommt Objekt-Charakter und gibt den Anspruch auf Repräsentation lässig ab. Besonders schön sind kleinere Kreidezeichnungen von Zusammenstellungen einzelner Objekte: Nähnadel, Schlüssel, Sicherheitsnadel, Ehering – geht es hier um Sicherheit? Man kann nie ganz sicher sein bei dieser ungewöhnlichen Kunst.

Henni Alftan "By the Skin of My Teeth", Sprüth Magers, Berlin, bis 25. Oktober

Henni Alftan "Haircut", 2024
Foto: Aurélien Mole, © Henni Alftan / Courtesy the artist, Sprüth Magers and Karma

Henni Alftan "Haircut", 2024

 

Petrit Halilaj im Hamburger Bahnhof

Petrit Halilaj ist ein fantastischer Geschichtenerzähler, der das Biografische mit dem Kulturgeschichtlichen und das Politische mit dem Utopischen vermischt. Im Hamburger Bahnhof zeigt der aus dem Kosovo stammende Künstler sein erstes Opernwerk und liefert das vielleicht zauberhafteste Kunsterlebnis dieser Art Week. Die Handlung lehnt sich an einen Mythos aus der kosovarischen Heimat des Künstlers an: Nachdem Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden waren, trafen sie in einem kleinen Ort im heutigen Kosovo auf Menschen, die ihre Liebe erkannten und ihnen eine wunderbare Hochzeit ausrichteten. Halilaj macht daraus eine alternative, queere Schöpfungsgeschichte, die im Kosovo Premiere feierte, aber jetzt auch im Museumsraum ganz wunderbar funktioniert.

Zwischen musikalischen und erzählerischen Elementen, Requisiten und Puppen, Kostümen und Skulpturen erzählt "An Opera out of Time" vom verlorenen Paradies und der Neugeburt einer Utopie. Und immer wenn man denkt, jetzt wird es aber ein bisschen kitschig, mischt Halilaj Verweise auf die Zeitgeschichte, auf seine Erlebnisse im jugoslawischen Bürgerkrieg und auf heutige Fragen von Flucht und Migration in die Komposition. Adam und Eva landen im KFOR-Hubschrauber auf der Erde, allerhand Paradiesvögel sind schon da und laden zum Tanz in eine neue Welt.

Petrit Halilaj "An Opera Out of Time", Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Berlin, bis 31. Mai 2026

Ausstellungsansicht "Petrit Halilaj: An Opera Out of Time", Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, 11. September 2025 bis 31. Mai 2026
Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jacopo La Forgia, © Petrit Halilaj, 2025 / mennour, Paris, ChertLüdde, Berlin und kurimanzutto, New York und Mexiko-Stadt

Ausstellungsansicht "Petrit Halilaj: An Opera Out of Time", Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart

 

Bruce Nauman bei Konrad Fischer

In der Galerie Konrad Fischer ereignete sich in den letzten Tagen still eine kleine Kunstsensation. Bruce Nauman war selbst nach Berlin gereist und hatte die Ausstellung seiner neuen Werke mit seinem Studio-Team installiert. Der 1941 geborene US-Künstler kehrt immer wieder zu seinen Grundmotiven zurück: Körper, Raum, Hände, Tiere – eine neue 3D-Videoarbeit bezieht sich auf eines seiner frühen Werke, "Beckett Walk" von 1968, jetzt mit einem Stuhl als Sparringspartner für den Künstler-Leib in Zeitlupe.

Neben Zeichnungen und Bronzeskulpturen von Welsköpfen wartet eine ungewohnt farbenprächtige Rauminstallation aus Fisch-Formen und dem abgefilmten Bild eines Regenbogens im obersten Stockwerk wie ein paradiesischer Garten. Seit den 1960er-Jahren wird der große US-Künstler von der Galerie Konrad Fischer vertreten, es ist seine einzige Repräsentanz in Europa. Bei seiner ersten Ausstellung in Düsseldorf im Jahr 1968, so erzählte er es, sei zur Eröffnung nur ein einziger Besucher gekommen – es war Gerhard Richter.

"Bruce Nauman", Konrad Fischer Galerie, Berlin, bis 8. November

Bruce Nauman "Beckett‘s Chair Portrait Rotated", 2025
Foto: Roman März, © Courtesy the artist and Konrad Fischer Galerie

Bruce Nauman "Beckett‘s Chair Portrait Rotated", 2025

 

Mark Leckey bei Julia Stoschek

Da dachte man, TikTok und Instagram seien nur noch was für Kids und zurückgebliebene Erwachsene, ja die ganze digitale Bilderwelt toxisch und vor allem unendlich öde – und dann steht man in Mark Leckeys Ausstellung und kann sein Glück kaum fassen: Aus den vor Nerdwissen und Leidenschaft überbordenden Videoarbeiten des 1964 geborenen Briten spricht jene fast verloren geglaubte Geste, die den Zusammenhängen von Pop- und Jugendkultur, sozialer Klasse und Technologie nachgeht. Die auf die Bedeutsamkeit und den Zauber der Bilder vertraut. "Enter Thru Medieval Wounds" hat Leckey seine bislang umfangreichste Schau in Berlin betitelt, die sich über alle drei Etagen der Stoschek Foundation zieht: Bilder sind für ihn Portale zum Göttlichen, "Kanäle der Gnade", wie er es nennt. 

Die über 50 Arbeiten – Videos, Soundinstallationen, Skulpturen, Plattencover, Collagen – schlagen den Bogen von den 1980er-Jahren bis zur Gegenwart, vom Lo-Fi-Analogen bis zum manipulierten Digital-Image, von mittelalterlicher Ikonografie bis zu den Subkulturen der Gegenwart. In einem Mix aus Found-Footage- und selbstgedrehtem Material geht Leckey seiner eigenen Jugend als Fußball-Fan, Musik-Nerd und Clubgänger nach, rekonstruiert jene urbanen Nicht-Orte (Brücken, Bushaltestellen, Fußgängerzonen), an denen Jugendliche in aller Welt ihre Zeit totschlagen und sich vielleicht so stark fühlen wie nie mehr in ihrem Leben. Und er zeigt die urbane Ödnis während der Corona-Pandemie und das wundersame Wiedererwachen des Lebens danach.

Der Mittelalter-Bezug des Ausstellungstitels verweist auf Leckeys Vertrauen auf die heilige Dimension der Bilder, und tatsächlich erscheinen die Kids in seinen Videos oft wie Ritter: Gekleidet in coole Hoodies stehen sie im Schatten von orangen Straßenlaternen oder dem Mond; latente Gewalt und Märtyrertum liegen in der Luft, aber immer auch Ekstase

"Fiorucci made me Hardcore" (1999), Leckeys mittlerweile ikonische Hommage an die frühe Ravekultur wird ebenso gezeigt wie seine mit dem Turner-Preis ausgezeichnete Arbeit "Cinema in the round", in der er eine Lecture-Performance über die Essenz filmischer Bilder hielt (von Felix the Cat über die Simpsons bis zur Malerei von Philip Guston). Und dann ist da, ganz unten im finsteren Keller der Stoschek Foundation, noch das fantastische Video "In This Lingering Twilight Sparkle", in dem der Performer Blackhaine gewaltsam und rhythmisch durch eine Höhle tanzt: ein Darkroom jenseits von Ort und Zeit, hin und wieder erleuchtet von Leckeys Kamera.

Mark Leckey "Enter Thru Medieval Wounds", Julia Stoschek Foundation, Berlin, bis 3. Mai 2026

Mark Leckey
Foto: Courtesy of the artist, Gladstone Gallery, Brussels/New York and Galerie Buchholz, Berlin/ Cologne/New York

Mark Leckey

 

Grace Weaver bei Max Hetzler

In Grace Weavers charakteristischer Bildsprache war die Malereigeschichte von Anfang an präsent – ein weibliches, zeitgenössisches Update von Picasso oder Baselitz. Während in ihren früheren Gemälden ihre Protagonistinnen noch Rennrad fuhren oder elektronische Geräte in Händen hielten, hat Weaver sich jetzt für ihre große Schau bei Max Hetzler eines der ältesten Motive der Kunsthistorie ausgesucht: die Mutter mit dem Kinde.

Für ihre teilweise meterlangen Gemälde hat sie ihren schnellen, lässigen Strich perfektioniert. Er geht dabei über die menschliche Dimension hinaus, ihre Bögen und Kurven sind weiter als ein Arm schwingen könnte. Grace Weaver setzt sie mit großer Sicherheit. Die Frauen bestehen aus großzügigen Wölbungen, die Darstellungen des Kindes sind in den Proportionen verkleinert wie in manchen mittelalterlichen Mariendarstellungen. Die Motive wiederholen sich nie exakt, manche Frauen haben kein Menschlein auf dem Arm, einige liegen. Doch die serielle Darstellung mit den unterschiedlich bunten Bildhintergründen lassen an Warhol denken. Malereigeschichte, gekonnt reduziert auf ein Minimum an Malerei.

Grace Weaver "Mothers", Galerie Max Hetzler, Berlin, bis 29. November

Grace Weaver "Untitled (Mother and Child)", 2025
Foto: def image, © Grace Weaver, courtesy the artist and Galerie Max Hetzler Berlin/Paris/London/Marfa

Grace Weaver "Untitled (Mother and Child)", 2025

 

Kunstfestival in den Wilhelm Hallen

Ein paar Schritte von den Berliner Wilhelm Hallen entfernt kletterte Alex Müllers Vater 1961 über den Zaun – weg aus der DDR, hinein in ein anderes Leben. Jahrzehnte später bringt die Künstlerin diese Familiengeschichte zurück an diesen Ort: In ihrer Installation "Von der Hand an die Wand" hängen 340 Briefe, die ihre Großmutter dem Sohn in den Westen schrieb. Auf kissenartige Stofftafeln gedruckt, entfalten sie eine Korrespondenz zwischen Sehnsucht, Alltag und Vorwurf – und verwandeln persönliche Erinnerung in ein Stück deutsch-deutsche Zeitgeschichte.

Damit setzt "Hallen 06" den Ton. Seit einigen Jahren hat sich das Festival in der ehemaligen Eisengießerei als inoffizieller Auftakt der Berlin Art Week etabliert. Rund 20 Galerien sowie internationale Gäste und Unternehmenssammlungen bespielen die 9000 Quadratmeter große Industriearchitektur im – zugegeben etwas abseits gelegenen – Reinickendorf. Aber: Hier lassen sich Arbeiten zeigen, die anderswo keinen Platz hätten: Skulpturen, Filme, Performances, die in der rohen Umgebung ein Eigenleben entwickeln.

Und so stößt man beim Gang durch die Hallen auf scharfe Gegenwartsbefragungen: Bei Nasan Tur glühen die Worte "Comunism, Capihtalism, Sociallism" in Neon – fehlerhaft buchstabiert und gerade deshalb entlarvend, weil sie das Unvollkommene zur absoluten Wahrheit erheben. Fluentum bringt mit Moritz Hirschs "Autofiction" einen alten Fiat 132 zum Scheinleben, während Julia Schers "Lip Sync 2025" die Bruchstellen zwischen Pop, Überwachung und Selbstinszenierung offenlegt. Und Daniel Knorr presst den Staub der Städte in seine "Artist Books" –  auf der Straße gefundene Reste, die unter 30 Tonnen Druck zu Archiven unserer Gegenwart werden.

Kunstfestival "Hallen 06", Wilhelm Hallen, Berlin, bis 14. September

Daniel Knorr "Artist Book", zu sehen beim Kunstfestival Hallen 06
Foto: © Joe Clark

Daniel Knorr "Artist Book", zu sehen beim Kunstfestival Hallen 06

 

Dörte Eißfeldt bei Thomas Fischer

Augen seien Fenster zur Seele und Bilder Fenster zur Welt – so liest man es oft. Die 1950 in Hamburg geborene Künstlerin Dörte Eißfeldt vertritt einen anderen Ansatz. Malerei und Film waren zunächst die Medien, die sie interessierten. Mitte der 1970er, als sie ihr Studium an der Hamburger Akademie abschloss, wechselte sie zur Fotografie, deren Potenzial sie seither erkundet. Eine konzentrierte Ausstellung in der Galerie Thomas Fischer zeigt die Vielfalt ihres Schaffens ebenso wie den durchgehenden Grundton ihrer Studien über das Fotografische. 

Wer das Medium als praktisch immaterielle Erscheinung von Lichtspuren des Gegenständlichen auffasst, dem hält Eißfeldt das Körperhafte entgegen. Die schwarz-weißen Tonwerte der (durchweg analogen) Abzüge bewegen sich im Low-Key-Bereich und durch die rahmenlose Präsentation stellt die Künstlerin die Unebenheiten des Bildträgers heraus.

Eißfeldt kadriert ihre Motive betont ausschnitthaft. An den dunkel wiedergegebenen "Rücken" (1990) ist ihre Kamera so nahe herangerückt, dass die Bildränder knapp ein weibliches Modell definieren. Die Künstlerin zieht die Haut, die Oberfläche, das Haptische dem Moment des Bildraums vor. Fotografie als Abbildung interessiert sie nicht, diese Vermutung bestätigt das auf derselben Galeriewand platzierte abstrakte Hochformat "Big Hot Mama". Diese Fotografie könnte sowohl auf einer mikroskopischen Aufnahme beruhen als auch von einem Wettersatelliten stammen. Es lässt sich nicht identifizieren.

Fotografie wird hier zum Denkinstrument, zumal die Künstlerin mit der Neuinterpretation ihrer frühen Arbeit "Nach Giordano Bruno" von 1988 – das 2024 geschaffene Bild "Big Hot Mama" zeigt ein Detail aus dem früheren – den Gedanken des Renaissance-Philosophen aufgreift, eine kleine Scherbe könne das Universum spiegeln. 

Die Arbeit "Wald" von 1991 transformiert einen aus erhöhter Perspektive aufgenommenen Waldausschnitt in ein grobporiges, aber undurchdringliches Stück Haut. Fragen von Kultur, Pflanzengattung oder Motivgeschichte sind ausgeblendet. Ähnlich neutralisiert erscheinen die drei Werke der Serie "Portrait 90", die Gesichter mit geschlossenen Augen zeigen. Dörte Eißfeldt will keine Seelengeheimnisse erkunden. Haut, Textur, Oberfläche sind ihr Mysterien genug.

"Dörte Eißfeldt", Galerie Thomas Fischer, Berlin, bis 1. November

Installationsansicht "Dörte Eißfeldt", Galerie Thomas Fischer, 2025
Foto: Torben Hoeke, © Courtesy the Artist and Galerie Thomas Fischer

Installationsansicht "Dörte Eißfeldt", Galerie Thomas Fischer, 2025

 

"Industrial Witchcraft" bei Die Möglichkeit einer Insel

Ein Stuhl mit integrierter Spardose von Bless, in die man extra hergestellte Münzen werfen kann. Ein Regal, inspiriert vom Cover einer Platte der Band Throbbing Gristle, in dem die privaten Talismane der beteiligten Künstlerinnen und Künstler aufgestellt sind, dazu kleine Monitore, die nichts zeigen als Bildstörungen, Fehler im System. Eine Wandtapete, auf der eine Pferdekutsche in eine Dampflok knallt, darauf ein zartes Bild von Marc Brandenburg.

Im anderen Raum die schmerzhaft poppigen, ultrakommerziellen Gemälde von Eliza Douglas, in ironische Schleifen verpackt. Die von Monopol-Autor Oliver Koerner von Gustorf kuratierte Gruppenausstellung "Industrial Witchcraft" im Projektraum Die Möglichkeit einer Insel will das prekäre, krisenhafte Grundgefühl der Gegenwart frontal angehen, mit überraschenden Querverbindungen durch die Szenen und Generationen – und ganz ohne Hexenromantik.

"Industrial Witchcraft", Die Möglichkeit einer Insel, Berlin, bis 2. November

 

David Apakidze im Kvost

In der rechten Hand hält die "Mutter Georgiens" traditionellerweise ein Schwert, in ihrer Linken baumeln Weintrauben. Die Statue der Kartlis Deda auf einem Hügel über Tiflis symbolisiert Wehrhaftigkeit und Gastfreundschaft. Der georgische Künstler David Apakidze stößt die Göttin im Berliner Kunstverein Ost (Kvost) gleichsam vom Sockel: Die Mutterfigur enthauptet sich mit dem Schwert selbst, in einen Becher unter dem Kopf tropft kein Wein, sondern Blut. Das provokante Emblem ist aus farbigem Bleiglas zusammengesetzt  – wie bei Kirchenfenstern.

Apakidze, der als Künstler und zugleich als queerer Aktivist tätig ist, greift mit dem Werk die erstarrte Tradition seines Landes ebenso an wie die Körperfeindlichkeit in der Mainstream-Kultur. Denn er zeigt die "Mutter" ohne Unterleib. Farbige Glasarbeiten dominieren die Gesamtinstallation, der Apakidze den Titel "The Knight at the Crossroads" gegeben hat. Erzählt wird von einem queeren Migranten, einem modernen Ritter, der am Scheideweg steht. Drei Straßenschilder führen im Entrée des Kvost in die Richtungen "Solitude", "Dead End" und "Alienation" – ein annehmbares Ziel der Passage ist außer Sichtweite.

Die Rechte queerer Menschen sind in Georgien heute massiv bedroht, was Apakidze nicht davon abhält, seine Stimme zu erheben. Der Künstler ist Träger des mit 10.000 Euro dotierten Claus-Michaletz-Preises sowie des an die Auszeichnung gekoppelten Kvost-Stipendiums. In der Ausstellung dazu spielt ein Motorradhelm eine zentrale Rolle, dessen Visier Apakidze durch eine Trans-Flagge aus Kirchenglas ersetzt hat. In der Mitte klafft ein Einschussloch. Mit der Arbeit erinnert der Künstler an die Trans-Frau Kesaria Abramidze, die im September 2024 von ihrem Exfreund ermordet wurde, kurz nachdem in Georgien ein repressives neues LGBTIQ*-Gesetz in Kraft trat.

David Apakidze "The Knight at the Crossroads", KVOST - Kunstverein Ost e.V., Berlin, bis 29. November

David Apakidze "Untitled", 2025
© Courtesy David Apakidze, Gallery Artbeat, Tbilissi und KVOST, Berlin

David Apakidze "Untitled", 2025

 

Lokale Kunst am Rosa-Luxemburg-Platz

Im Auge des Orkans herrscht bekanntlich Stille, und vielleicht gilt das auch ein wenig für den Wirbelsturm der Gentrifizierung, der seit der Wende durch Berlin tobt. Der Rosa-Luxemburg-Platz jedenfalls liegt sehr zentral im Stadtteil Mitte und hat doch von seinem Charme bislang wenig eingebüßt. Da sind das Kino Babylon, Concept Stores von der guten Sorte, die Volksbühne und eine Reihe erstklassiger Galerien; da sind die Mietshäuser im Stil des Neuen Bauens, in denen nicht zuletzt zahlreiche internationale Künstler wohnen, da ist die Künstlerkneipe Bar 3.

Für den Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz Grund genug, dem Ort eine Hommage in Form einer Ausstellung auszurichten. Sie ist zur Hälfte mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern bestückt, die hier wohnen, sowie mit Leihgaben ansässiger Galerien wie BQ und Nagel Draxler. Zur anderen Hälfte besteht sie aus Werken aus der Sammlung der SteDi-Stiftung, von der vielleicht noch nicht jeder gehört hat, die aber keinen geringen Anteil am Erhalt und Fortbestand dieses einzigartigen kulturellen Biotops in der Mitte Berlins hat. Denn die Stifter sind einerseits seit rund 30 Jahren aktive Sammler, andererseits aber, wie man hört, sehr faire, wohlmeinende Vermieter für viele der Galerien und Künstler des Platzes.

Rund 65 Positionen von 60 Künstlerinnen und Künstlern umfasst die von Frank Hauschildt kuratierte Schau. Bekannte Namen (Leda Bourgogne & Marcus Steinweg, Alexandra Bircken, Kriwet, Stefan Müller, Bernd Ribbeck) treffen auf jüngere Positionen; eine Reihe Werke (etwa von Clegg & Guttman, Renata Kaminska, Megan Francis Sullivan, Osmar Osten) beziehen sich auf die Namensgeberin des Platzes und die gute alte Idee des Sozialismus (auf dem Klo gibt es Karl Marx als Toilettenlektüre, ein Werk von Christine Wang); andere auf Boutiquen und die Design-Szene des Platzes.

Heimo Zobernig – man glaubt es kaum – steuert eine Leinwand zum Anziehen bei; das Mode-Kollektiv Biest:in zeigt tragbare Stoff-Quadrate, und ein Video eine Modeschau in der Galerie Nagel Draxler von vor 15 Jahren, mit Galeristen und Künstlern als Models. Und dann sind da einfach bloß wunderbare Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die am Platz wohnen: die Abstraktionen von Thomas Kratz etwa, oder die auf Handybildschirme gedruckten Beschreibungen bekannter Pressefotos von Sarah Friend, und im Hintergrund singt Raphaela Vogel Milvas "Hurra, wir leben noch". Ja, was will man eigentlich mehr?

Gruppenausstellung "Am Platz – die SteDi-Sammlung trifft auf Künstler:innen vom Platz", Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, bis 4. Oktober

Heimo Zobernigs "o.T. (Tiger)", 2022, und Lars Friedrichs "o.T. (Stoiber)", 2001
Foto: © Frank Hauschildt

Heimo Zobernigs "o.T. (Tiger)", 2022, und Lars Friedrichs "o.T. (Stoiber)", 2001