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10 Kunst-Filme, die sich im April lohnen

Eine Hommage an die verstorbene Mary Bauermeister, ein Künstler als Chronist einer Generation und endlich viel Sonne: Das sind unsere Fime des Monats
 

Das schillernde Leben der Mary Bauermeister

Unzählige Journalistinnen und Journalisten sind inzwischen zu diesem Atelier in Rösrath bei Köln gereist, um das Wunderwerk des konservierten Hippie-Zeitgeistes zu sehen. Vor allem die Nachgeborenen staunten über die bunt bemalten Wohnwagen im Garten, archaisch anmutende Kristallskulpturen und esoterische Versammlungsstätten. 2020 hat sich auch die junge Regisseurin Carmen Belaschk mit ihrem Filmporträt "Eins und eins ist drei" dem Pilgerstrom zu Mary Bauermeister angeschlossenen, beseelt vom Refugium einer Künstlerin, die einst inmitten männlicher Genies in der Kölner Altstadt die Urzelle des Fluxus mitinitiierte und die Anfang März im Alter von 88 Jahren gestorben ist

Belaschk nimmt sich für ihre Annäherung an Bauermeister zunächst ehrfürchtig viel Zeit, filmt sie beim Arbeiten am Schreibtisch, Sortieren von Steinen am bretonischen Strand und hinterfragt Sätze wie "Kunstschaffen muss aus der geistigen Welt impulsiert sein" erst gar nicht. Dann kippt plötzlich der streng dokumentarische Ansatz in die Animation, zurücklaufende Jahreszahlen signalisieren einen Sprung in die Vergangenheit.

Endlich, denkt man sich in Vorfreude aufs Archivmaterial von den Kölner Happenings, der Zeit in New York mit Marcel Duchamp und Warhol, dem "Summer of Love" in Kalifornien und der Beziehung zu Karlheinz Stockhausen, der ihren wachsenden Ruhm mit seiner Egozentrik überschattete und sie aus der eigenen Karriere-Umlaufbahn, die sie bis dahin mit bemerkenswerter Vehemenz und Gespür für epochale Umbrüche betrieben hatte, herausbrachte. Und tatsächlich, die leider etwas kurz geratenen Bild-Strecken aus Fotografien und Tondokumenten sind vorzüglich recherchiert und flott geschnitten, Wegbegleiter kommen zu Wort, TV-Ausschnitte spiegeln den Zeitgeist wider, und Stockhausen konstatiert gönnerhaft: "Mary ist keine Betriebsnudel, sondern eine ungeheuer kluge und geistige Person."

Der gemeinsame Sohn Simon, der die Musik zum Film komponiert hat, ordnet das Geschehen hier und dort ein und erzählt gleichzeitig nüchtern und berührend von seiner problematischen Beziehung zu Bauermeister als Mutter. Sie selbst strahlt mit selbstbewusstem Siegerin-Lächeln als blonde Sirene von bisher wenig gezeigten Schwarz-Weiß-Fotografien herunter – und stiftet zum Grübeln darüber an, wie dieses Kraftpaket bloß das Schicksal einer lange Vergessenen erleiden konnte.

"Mary Bauermeister: Eins und Eins ist Drei", WDR-Mediathek, bis 5. April

"Mary Bauermeister: Eins und Eins ist drei", Filmstill
Foto: Dejavu Film

"Mary Bauermeister: Eins und eins ist drei", Filmstill


Steve McQueens episches Porträt der "Windrush-Generation"

Die "Small Axe" wurde vor 50 Jahren von Bob Marley besungen: "If you are the big tree, we are the small axe, ready to cut you down". Der Künstler und Regisseur Steve McQueen greift den Kampf der kleinen Axt gegen den großen Baum auf und entwirft in fünf Filmen ein mitreißendes Panorama der Schwarzen Gemeinschaften im London der 1960er- bis 80er-Jahre. Er erzählt anhand der Schauplätze Party, Gerichtsverhandlung, Schule, Polizeistation und Gefängnis Geschichten über Rassismus und Aktivismus, über Unterdrückung und Befreiung. 

"Small Axe" beginnt ein Jahr vor McQueens Geburt. 1968 hielt der britische Politiker Enoch Powell seine sogenannte "Rivers of Blood"-Rede, in der er sich gegen die Integration von Migrantinnen und Migranten und gegen die bisherige Einwanderungspolitik aussprach. An diese offen geäußerte Xenophobie schließt das fünfteilige filmische Werk an; und entfaltet Folge für Folge Erzählungen über die britische Gesellschaft und die sogenannte "Windrush Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den ehemaligen britischen Kolonien in der Karibik zum Wiederaufbau nach UK geholt wurde.

Reggae, Blues und Funk als Teil des kulturellen Selbstverständnisses der afrokaribischen Community sind in allen Folgen von "Small Axe" präsent. McQueen inszeniert die Filme kunstvoll wie ein musikalisches Bühnenstück und spannt ein Netz aus kulturellen Referenzen. Gleichzeitig verhandelt er politische Themen, die in Zeiten der "Black Lives Matter"-Bewegung brennend aktuell sind.

Steve McQueen "Small Axe", ARD-Mediathek, bis 17. April

Steve McQueen "Small Axe: Education" (Filmstill)
Foto: BBC

Steve McQueen "Small Axe: Education" (Filmstill)


Die Sonne in der Kunst

Es gibt kaum etwas Alltäglicheres als den Sonnenuntergang. Gerade schon deshalb, weil er sich jeden Tag wiederholt. Trotzdem werden Social-Media-Kanäle von Bildern überflutet, sobald sich der Himmel einmal besonders schön rosa verfärbt.

Grund für die Faszination an diesem Schauspiel ist laut der neuen Arte-Dokumentation "Ode an die Sonne. Eine Kunstgeschichte" auch die menschliche Angst, dass das lebensspendende Gestirn nicht mehr aufgeht. Neben der Vorstellung von wunderschönen, orange-rot leuchtenden Feuerbällen am Horizont, etwa in Monets "Hafen von Le Havre", macht der Film ganz beiläufig eine der zentralsten Fragen der Menschheit auf: Sein - oder eben nicht mehr sein.

Geschickt verknüpft der Film dafür Stimmen der Philosophie, Kunst, Geschichte und Wissenschaft miteinander. Wobei die Fakten zum Planeten Sonne behutsam häppchenweise aufgeteilt und damit leicht verständlich sind. Unterschiedliche Sonnendarstellungen, wie sie gerade auch im Museum Barberini in Potsdam zu sehen sind, erzählen von der Bedeutung des Motivs: mal als Gott, mal als mystisches Phänomen. Dazwischen kommen zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler zu Wort, etwa Olafur Eliasson, der eine riesige Sonne für die Tate Modern erschaffen hat, von der sich die Besuchenden bescheinen lassen konnten.

Der knapp 30-minütige Film ist eine sinnliche Erfahrung, bei der sich beruhigende Landschaften und dämmrige Hafenbuchten mit philosophischen Diskursen rund um die Existenz des Menschen abwechseln.

"Ode an die Sonne. Eine Kunstgeschichte", Arte Mediathek, bis 3. Juni 


Ein Meilenstein des "Black Cinema"

Wie ein Traum und ein Alptraum zugleich wirkt die Welt, die US-Regisseurin Julie Dash für ihren Film "Daughters of The Dust" entwirft. Auf den Sea Islands vor South Carolina lebt im Jahr 1902 eine afroamerikanische Mehrgenerationen-Community, die einerseits an ihren Traditionen festhalten will, sich andererseits aber auch nach einem modernen und verheißungsvollen Leben auf dem Festland sehnt. Die Traumata der Sklaverei klingen noch nach, Narben auf den Körpern der Protagonistinnen zeugen von den Gräueln der Leibeigenschaft auf den Plantagen. Gleichzeitig fühlt sich die Groß- und Wahlfamilie mit der Insel und den Geistern ihrer Ahnen verbunden und hat sich dort ein Refugium geschaffen. Der Film erzählt seine Geschichte assoziativ und in betörend opulenten Bildern. Auch wenn man nicht jeder Schleife der Handlung ohne Weiteres folgen kann, entfaltet sich ein komplex komponiertes Panorama, in dem die schicksalhafte Verbundenheit der Figuren im Zentrum steht.

"Daughters of The Dust" war 1991 der erste Film einer Schwarzen Regisseurin, der in den USA flächendeckend in die Kinos kam, und gilt heute als ein Meilenstein des "Black Cinema". Beyoncé ließ sich 2016 für die Videos zu "Lemonade" von der Ästhetik des Films inspirieren. Produzent und Kameramann war Julie Dashs damaliger Partner Arthur Jafa, der heute zu den bekanntesten Gegenwartskünstlern gehört. 

"Daughters Of The Dust", auf Mubi

"Daughters of The Dust", Filmstill, 1991
Foto: Courtesy Mubi

"Daughters of The Dust", Filmstill, 1991

 

Große Kunst, blitzschnell erklärt - und zerpflückt

Kunst nahbar machen: Das ist das Ziel der Mini-Serie "Artjacking!", deren zweite Staffel nun online bei Arte zu sehen ist. Um das zu erreichen, scheut sie vor nichts zurück: Gnadenlos werden Alte Meister zerpflückt, sowohl illustratorisch mit bunten Strichen und schnellen Effekten als auch inhaltlich durch eine gute Portion Humor. Vanitas-Stillleben, Picassos "Les Demoiselles d‘Avignon" oder "Der Kuss" von Rodin fliegen dabei in zehn Videos in Snacklänge von jeweils drei bis vier Minuten über den Bildschirm.

Kurz und pointiert wird ausgehend von Rodins Skulptur etwa das Sujet des Kusses in der Kunst bis heute anhand von Beispielen nachgezeichnet. Dabei erfährt man neben Informationen zum Werk auch Anekdoten zu den Künstlerinnen und Künstlern und zur Entstehung ihrer Kunst. Die Serie kann aber auch Kritik: Picasso beispielsweise kommt dort nicht gut weg. Der Künstler wird allerdings nicht einfach gecancelt. Vielmehr wird anhand seines Bildes "Les Demoiselles d’Avignon" gezeigt, dass er sich eindeutig der afrikanischen Kunst bediente und einige Kunstschaffende nach ihm das als kulturelle Aneignung ansehen. Passend dazu zeigt das Video zeitgenössische Auseinandersetzungen schwarzer Kunstschaffender, die Picassos kolonialen Blick umkehren.

Eine lustige, frische Serie, die man in einem Zug durchschauen, oder sich genussvoll – als tägliche Dosis Kunstwissen – einteilen kann.

"Artjacking!", Staffel 2, Arte Mediathek

 

Vom Sehen und Gesehenwerden

Ein richtiges "DDR-Drama", mit braunen Blümchentapeten und grauen Plattenbausiedlungen. So etwas hat man vielleicht schon hunderte Mal gesehen, auch in der Arte-Mediathek. Der Film "Nahschuss" der Regisseurin und Fotokünstlerin Franziska Stünkel ist trotzdem so mitreißend, als wäre es die erste Geschichte über einen jungen Mann mit Gewissen, der bei der Stasi in Ungnade fällt.

Franz Walter hat gerade promoviert, als er vom Auslandsnachrichtendienst der DDR angeworben wird. Er soll nur kurz für den Apparat arbeiten, um dann eine Professur zu bekommen. Anfangs soll er bloß Informationen über einen in die BRD geflüchteten Fußballspieler sammeln. Doch nach und nach wird er Zeuge der immer radikaler werdenden Methoden seiner Vorgesetzten und versucht, die Seiten zu wechseln.

Der Film ist spannend und frisch, trotz des altbekannten Themas. Das liegt nicht zuletzt an dem vielgesehenen – und zurecht gefeierten – Bühnenstar Lars Eidinger in der Hauptrolle. Auch die sorgfältig komponierten Bilder tragen zu der einnehmenden, aufgeladenen Atmosphäre bei. Hier zeigt sich eindeutig der Einfluss von Stünkels fotografischer Arbeit. Dabei spielt sie viel mit Fenstern und Spiegelungen, die eine kuriose Überlagerung der Innen- und Außenwelt bewirken.

Diese Technik findet sich auch im Film wieder. Immer wieder sind mit durchsichtigen Spitzengardinen verhangene Fenster zu sehen, dazu kleine Wandspiegel, in denen sich das Profil des zermarterten Protagonisten abzeichnet. Schnell merkt man: Die Gardinen lassen den Blick nach draußen zu, nicht jedoch den Blick nach Innen. Denn von Außen spiegeln die Fenster meist undurchschaubar. Das erschafft einerseits beeindruckend düstere Aufnahmen. Andererseits spielt Stünkel so mit der ständigen Gefahr, beobachtet und überwacht zu werden.

So experimentiert der Film mit Inhalt und Bildern, die sich gegenseitig bedingen. Ein weiteres "DDR-Drama", ja. Aber auserzählt sind die vielen Geschichten der Mutigen, die sich in dem Regime für das Menschliche entschieden haben, sowieso nie. "Nahschuss" ist ein mitreißender, energischer Film, mit raffinierten Inszenierungen, die die Ästhetik eines vergangenen Systems einfangen – und spiegeln.

"Nahschuss", Arte Mediathek, bis 8. April

Lars Eidinger in "Nahschuss"
Foto: Franziska Stünkel/ZDF/arte/dpa

Lars Eidinger in "Nahschuss"


Der Mythos der Femme fatale in der Kunst

Gleich zu Beginn der fällt folgender Satz: "Die Femme fatale ist ein historischer Mythos, eine Kunstfigur, eine männliche Fantasie – bis Frauen ihren Platz in der Welt einfordern." Die Prämisse des Films "Die Femme fatale in der Kunst", der nun auf Arte läuft: Wo der Stereotyp der erotisch-verführerischen, begehrenswerten, Unglück und Tod bringenden Frau in der Kunst behandelt wird, dürfen jene weiblichen, feministischen Positionen nicht fehlen, die sich dagegen wehr(t)en.

Und so geht es konsequenterweise ab der Hälfte des knapp einstündigen Dokumentarformats nicht mehr um die malerischen Ergüsse männlicher Künstler sondern sozusagen um die femme fière et autodéterminé – um die selbstbewusste, selbstbestimmte Frau, die sich samt ihrer Sexualität und Erotik eigenmächtig ins Bild setzt.

Aber zunächst geht der Blick ins 19. und frühe 20. Jahrhundert, auf die Leinwände von Dante Gabriel Rossetti, Gustave Moreau, Franz von Stuck, Lovis Corinth und anderen. Sie alle griffen auf mythologische oder biblische Figuren zurück, um ihren intimsten Fantasien freien Lauf zu lassen: Helena, Circe, Pandora, Judith und immer wieder Salomé werden in ihren Gemälden zu verhängnisvollen Frauen.

Dabei sei es der als Stereotyp nicht existente homme fatale, der sich selbst mit seinen Kriegen, seiner Misogynie und seinem Machtmissbrauch zum Verhängnis werde, wie Gabriele Schor anmerkt. Die Gründungsdirektorin der Sammlung Verbund prägte den Begriff der Feministischen Avantgarde, die in den 1970er-Jahren ein neues Bild der Frau aus weiblicher Perspektive kreierte. Eine dieser Vorkämpferinnen war und ist die Medien- und Performancekünstlerin Ulrike Rosenbach, die in der Dokumentation als Sprecherin auftritt. Neben ihren Werken werden auch wichtige Arbeiten wie jene von Evelyne Axell, Birgit Jürgenssen, Valie Export und Maria Lassnig vorgestellt.

Natürlich fehlt auch der Blick in die Ausstellung "Femma Fatale. Blick – Macht – Gender" in der Hamburger Kunsthalle nicht, die sich genauso wie der Film die Frage stellt, wie mit dsexistischen Stereotypen heute umzugehen ist.

"Die Femme fatale in der Kunst", Arte-Mediathek, bis 5. Juni


Die feministische Revolte in Iran

Seit gut einem halben Jahr kämpfen Frauen in Iran um ihre Menschenrechte, und das Mullah-Regime schlägt erbarmungslos mit Massenverhaftungen, Folter und Todesurteilen gegen Demonstrierende zurück. Rund sechs Monate nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini haben viele Aktivistinnen und Aktivisten Angst, die Bewegung ist aber keineswegs zerschlagen. Der Dokumentarfilm "Frau. Leben. Freiheit?" fragt, wo die Proteste heute stehen und auf welche feministischen Vorbilder sich die Akteurinnen von heute beziehen. “Es hat nicht mit unserer Generation begonnen, sondern lange vorher. Und mit dem Wissen aus den Kämpfen der vorangegangenen Generationen machen wir jetzt weiter,” sagt beispielsweise die Künstlerin Ghazal Abdollahi, die im November aus Iran fliehen musste und nun in Frankfurt lebt.

Auch die Malerin Soheila Sokhanvari aus London kommt zu Wort. Sie malt Frauen aus der iranischen Kulturgeschichte, die sich vor der islamischen Revolution 1979 befreit und selbstbestimmt zeigen. Viele der dargestellten Sängerinnen, Schauspielerinnen oder Intellektuellen wurden nach der Machtübernahme der Mullahs inhaftiert oder entkamen ins Exil. Im Kontext der aktuellen Geschehnisse bekommen ihre Geschichten eine neue Relevanz. 

Der Film fragt einerseits, wie iranischstämmige Künstlerinnen und Autorinnen die Zukunft der Proteste einschätzen und fungiert gleichzeitig als Erinnerung für die deutsche Öffentlichkeit, die Geschehnisse in dem Land nicht aus den Augen zu verlieren. Außerdem schlägt er einen größeren Bogen zu historischen Protesten - und fragt, warum iranische Frauen schon immer viel Mut gebraucht und bewiesen haben. 

"Frau. Leben. Freiheit? - Warum die Frauen im Iran so stark sind", 3-Sat-Mediathek, bis 11. März 2024

"Frau. Leben. Freiheit? - Warum die Frauen im Iran so stark sind", Filmstill, 2023
Foto: Courtesy 3Sat

"Frau. Leben. Freiheit? - Warum die Frauen im Iran so stark sind", Filmstill, 2023


Wem gehört die Nofretete?

Die Nofretete zählt zu den größten Kunstschätzen der Welt. "Was wäre Berlin ohne sie?" fragt ein Dokumentarfilm auf Arte nur scheinbar harmlos. Steht sie wirklich "unverrückbar" auf ihrem Sockel? Und "verbietet sich" ein Transport, wie eine Sammlungsleiterin des Neuen Museums, Standort der berühmten Büste, sagt?

Die Autorin geht gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, federführend bei den großen und wichtigen Restitutions-Diskussionen der letzten zehn Jahre, auf die Reise. Am Fundort in Amarna, Ägypten, heißt jeder zweite Kiosk "Nofrititi", und riesige Reproduktionen der schönen Königin stehen an Straßenrändern. Doch zu sehen war sie hier öffentlich noch nie. Zumindest, sagt Bénédicte Savoy, dürfe man voraussetzen, dass die Betrachterinnen und Betrachter in Berlin sich Gedanken darüber machen, wo sie herkommt und wo sie sich jetzt befindet.

"Wem gehört die Schönheit?" lautet der Titel des Films. Kommt ganz darauf an, wen man fragt. In den ägyptischen Museen und in der Bevölkerung ist man der Ansicht, sie solle zurückgebracht werden. Laut Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gab es aber nie offizielle Forderungen einer Rückgabe an ihr Ursprungsland. Parzinger betont, dass auch von ägyptischer Seite die Nofretete in Berlin als hervorragende Werbeträgerin für das eigene Land gesehen wird.

Besonders spannend wird es, wenn rekonstruiert wird, wie der Transport nach Deutschland überhaupt stattfinden konnte. Das ist Bénédicte Savoy Spezialgebiet, als Professorin an der Berliner TU lehrt sie die Rekonstruktion der damaligen Wege der späteren Exponate. Und rüttelt damit am Selbstverständnis deutscher altehrwürdiger Institutionen. Ludwig Borchardt habe ihren Wert nicht ausreichend kenntlich gemacht, nach dem Recht des Stärkeren einfach mitgenommen, lauten die Kritikerstimmen.

Parzinger hält dagegen, es bringe nichts, Recht und Unrecht rückwärtsblickend neu zu deuten, man brauche Lösungen für die Zukunft. Schon einmal wurde in Berlin darüber nachgedacht und eine Kopie angefertigt, damit das Original zurück nach Ägypten gehen könnte. Doch Adolf Hitler verhinderte es. Er habe sich "in die Königin Nofretete verliebt", schrieben die Zeitungen damals. Er ließ sie verpacken und in einen Bunker bringen.

Dramatisch ausgeleuchtet steht sie im Neuen Museum als absoluter Höhepunkt des Berliner Kulturbesitzes. Wirklich unverrückbar? Die Reportage lässt es offen. Fest steht: Noch spannender als ihre ewige Schönheit ist ihre Geschichte und wie mit ihr umgegangen wurde und wird.

"Die Nofretete: Wem gehört die Schönheit?", Arte-Mediathek, bis 16. Juni

Nofretete im Neuen Museum in Berlin
Foto: Rainer Jensen/dpa

Die Nofretete im Neuen Museum in Berlin


Philomena Cunk erklärt die Welt – und die Kunst

Quantentheorie und andere Entdeckungen der modernen Physik lassen den Menschen mittlerweile ziemlich dumm dastehen: "Die Wissenschaft verlässt damit alle Grenzen des gesunden Menschenverstandes", gab Shohini Ghose, Präsidentin des kanadischen Physikverbandes vor einigen Jahren zu. "Es ist fast so, als seien wir bei Alice im Wunderland , wo alles möglich ist." Trotzdem tun grade viele Vermittlerinnen und Vermittler von Wissenschaft, als hätten wir alles im Griff: In bombastischen Dokumentationen erklären sie uns, wie der Hase läuft. Die BBC-Serie "Cunk on Earth" macht sich über solche populärwisschenaftlichen Sendungen lustig: Diane Morgan läuft als Philomena Cunk durch Wälder, Museen, Bibliotheken, Ruinen, Wüsten und erläutert die Weltgeschichte. Gestellte Szenen sollen historische Ereignisse anschaulich machen, dazwischen gibt es Gaga-Interviews mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die geduldig auch noch auf die dümmste Frage antworten, ohne aus ihrer Rolle zu fallen.

Auch über Kunst weiß Philomena Cunk einiges zu berichten, über Höllenmalerei oder die "Rennais-Sauce". Das ist manchmal tiefsinnig, manchmal ziemlich bescheuert – und oft sehr lustig. Wie das so eben ist im Wunderland Erde. 

"Cunk on Earth", Netflix