Beuys und kein Ende
Es ist erst Mai und die Museen waren einen Großteil des Jahre geschlossen - trotzdem dürften die meisten Menschen in Deutschland registriert haben, dass Beuys-Jahr ist. Am 12. Mai wäre der Künstler 100 Jahre alt geworden und wird zu diesem Anlass mit Ausstellungen, Symposien und Büchern überschüttet. Auch der schnörkellos betitelte Film "Beuys" von Andreas Veiel und dem Schnittmeister Stephan Krumbiegel, der gerade in der ARD-Mediathek zu sehen ist, setzt ich mit dem Erbe des großen Populisten der deutschen Nachkriegsmoderne auseinander. Allerdings kommen diesmal keine zeitgenössischen Beuys-Erklärer zu Wort.
Die Collage aus historischem Bild- und Tonmaterial lässt den Künstler selbst sprechen - und einige erklärungshungrige BRD-Journalisten und Kunsttraditionalisten an seiner Provokationslust scheitern. "Beuys" urteilt nicht und bezieht in den Kontroversen um Beuys politische Haltung keine Stellung, sondern lässt die Szenen von damals für sich sprechen - mit aller Verzückung und Verachtung, die der Figur während seiner Karriere entgegenschlug (und die der Künstler und Lehrer offenbar gleichermaßen zu genießen schien). Die Analyse bleibt dann anderen im Beuys-Jahr überlassen. Dass der Mann mit Hut auch ein Meister der Selbstmythisierung war, wird aus dieser Film-Assemblage aber mehr als deutlich.
"Beuys", ARD-Mediathek, bis 28. Mai
Wir nennen es Arbeit
Arbeit ist immer noch eine zentrale Größe in der Selbstwahrnehmung und in der Gesellschaft. Filmemacher und -macherinnen setzen sich damit schon so lange auseinander, wie es das Medium Film gibt: "Arbeiter verlassen die Lumière-Werke" stammt von den Brüdern Lumière aus dem Jahr 1895. Aber was ist eigentlich ein Arbeiter, eine Arbeiterin heute?
Die Figur, wie sie aus den Lumière-Werken kommt, gibt es in westlichen Gesellschaften fast nicht mehr. Moderne Lohnarbeit findet heute im Dienstleistungs- oder Informationssektor statt, und was Anfang des 20. Jahrhunderts erkämpft wurde - Mindestlohn, Arbeitszeit, Versicherung - droht wieder in Gefahr zu geraten.
"Kino Siemensstadt - Der Komplex Arbeit" ist der zweite Teil einer Online-Filmreihe, das den Wandel des Begriffs sowie das Verständnis von Arbeit im Bereich Künstlerfilm und Video zum Thema hat. Die Filme zeigen historische Kämpfe und Streiks von nordenglischen Minenarbeitern oder Hafenarbeitern, die von den Filmemachern durch Re-enactments wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden.
Jeremy Dellers "The Battle of Orgreave (An injury to one is an injury to all)" von 2001 ist ein wichtiger Beitrag in diesem Genre, außerdem zu sehen sind "Locked Groove", 1997 – 1999 von Caspar Stracke, Mikhail Karikis’ und Uriel Orlows "Sounds from Beneath" (2011 – 2012)
und Chen Chieh-jens Film "The Route", 2006
Titelgebend für die Reihe "Kino Siemensstadt" ist das ehemalige Filmtheater in der Nonnendammallee 96 in Berlin-Siemensstadt, das von 1931 bis 1962 eine der wenigen Unterhaltungsmöglichkeiten für die Siemens-Beschäftigten und ihre Angehörigen darstellte. Gefördert vom Berliner Senat, wird von dort ausgehend nun die filmische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Arbeit weitergedacht.
"Kino Siemensstadt - Der Komplex Arbeit", wechselndes Programm, Kunstraum Scharaun Online, 1. Mai, 18 Uhr bis 10. Juli
Auf in die Uffizien!
Da die Kinos noch immer ohne konkrete Öffnungsperspektiven vor sich hindämmern, haben sich viele Filmfestivals inzwischen recht bequem im digitalen Raum eingerichtet. Auch das Dokumentarfilm-Festival Dokfest München stellt sein Programm ab dem 6. Mai online. Darin gibt es einige Kunstschätze zu entdecken. Der Film "In den Uffizien" von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch führt das Publikum hinter die Kulissen eines der berühmtesten Museen der Welt. Der deutsche Direktor Eike Schmidt versucht dort einen schwierigen Spagat: einerseits den altehrwürdigen Werken gerecht zu werden, gleichzeitig aber in den sozialen Medien ein junges Publikum zu erreichen und auch die zeitgenössische Kunst in sein Haus einziehen zu lassen.
Außerdem gibt es ein Porträt der lange übersehenen Künstlerin Mary Bauermeister, eine faszinierende Designgeschichte des ominipräsenten weißen Plastik-Gartenstuhls und den Film "White Cube" von Renzo Martens über eine Kunstinitiative im Kongo zu streamen (eine ausführliche Rezension zu Martens lesen Sie hier). Ein virtuelles Ticket für eine Vorstellung kostet 6 Euro, ein Festivalpass mit Flatrate 70 Euro.
"Dokfest München digital", 6. bis 25. Mai
Oscar für den Oktopus
"Ich wollt ich wär', unter dem Meer. Im Garten eines Kraken will ich sein", sang schon Kermit der Frosch nach dem Lied "Octopus' Garden" der Beatles. Wer sich in diesen eher grauen Lockdown-Tagen wirklich gern am Meeresboden einkugeln würde, kann das mit einer Reihe Unterwasserfilmen tun, die das faszinierende Trendtier Oktopus begleiten, das auch in der Kunst gern als Metapher benutzt wird. In Jean Painlevés Stummfilm "Octopus" von 1928 sehen wir das Leben, Atmen, Essen und Sterben eines Tieres als einen "enigmatischen unheimlichen Tanz". In "Liebesleben eines Kraken" von Jean Painlevé und Geneviève Hamon können wir uns mit dem Werben der Tiere treiben lassen. Die einstudierten Bewegungen der Meeresbewohner werden von Pierre Henrys "Musique conrète" begleitet.
Der Filmemacher Craig Forster hat den Beatles-Song wohl wörtlich genommen und taucht im Film "Mein Lehrer, der Krake" in den Garten des Oktopus, schließt Freundschaft und begleitet das Tier über ein Jahr lang. Für den Tierfilmer und Taucher Forster war die Zeit unter dem Meer eine Art Burn-Out-Therapie. Herausgekommen ist ein berührender Film, der die Schönheit und Gefahr der Unterwasserwelt beleuchtet und bei den diesjährigen Oscars mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.
"Liebesleben eines Kraken" und "Der Oktopus" auf Mubi, “Mein Lehrer, der Krake”, auf Netflix, bis auf weiteres verfügbar
Hinter der Fassade von Hollywood
Und gleich noch eine Oscar-Geschichte aus dem Pandemie-Jahr 2021, denn auch die Netflix-Produktion "Mank" wurde ausgezeichnet. 1941 floppte "Citizen Kane" an den Kinokassen, heute zählt die innovative Erzählung um den Medientycoon Charles Foster Kane zu den größten Filmen Hollywoods. David Fincher hat über die Genese des Klassikers einen Film gemacht, seinem Regisseur Orson Welles, der mit und als "Citizen Kane" berühmt wurde, jedoch nur eine Nebenrolle zugedacht.
"Mank" wurde jetzt mit zwei Oscars – für Kamera und Produktionsdesign – geehrt. Der Film kreist um Herman J. Mankiewicz, der das Drehbuch zu "Citizen Kane" schrieb, um die Menschen, die sich später eher unfreiwillig in Filmfiguren wiedererkannten und nicht zuletzt um ein Medium mit doppeltem Boden – das Kino selbst. Gary Oldman spielt Mank als trunksüchtigen Zyniker, in dem ein scharfer Beobachter und Menschenfreund steckt.
Auf einer Ranch am Rand der Mojave-Wüste diktiert er mit eingegipstem Bein einer Sekretärin das Script für den Debütfilm des 24-jährigen Welles in die Schreibmaschine. Rückblenden zeigen ein Hollywood der 1930er, in dem sich ein noch umtriebiger Mank mit Studiobossen anlegt und mit Marion Davies (stark: Amanda Seyfried) anfreundet, der Geliebten des mächtigen Verlegers William Randolph Hearst. Aus Hearst wurde im Drehbuch für Welles: Kane. Fincher demonstriert in seinem schillernden Schwarzweiß-Drama, dass Mankiewicz weniger private als politische Gründe hatte, den reaktionären Medienmann im Film zu demontieren. Hearst war eine Schlüsselfigur in der Schwächung der Linken in den USA, an der Hollywood spätestens in der Nachkriegszeit kräftig mitwirkte.
"Mank", auf Netflix
Design ist nicht unschuldig
Die Disziplin des Designs ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass auf der Erde immer mehr Dinge produziert werden und Konsumenten stets zum Kauf neuer Gegenstände angeregt werden. Design kann man also ein wenig polemisch als Komplize des Kapitalismus und der Ressourcenverschwendung bezeichnen, die zur Zerstörung unseres Planeten führt.
Viele Designerinnen und Designer sind sich inzwischen einig, dass ihre Disziplin nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung ist, wenn es um den Kampf gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel geht. Der Dokumentarfilm "Design ist niemals unschuldig" stellt einige von ihnen vor und zeigt neue Ideen im Umgang mit Materialien und dem Gestalten an sich. Die Designerin Julia Lohmann baut Installationen aus Algen, Anab Jain und Jon Ardern spekulieren über eine kaum noch bewohnbare Welt und Marjan van Aubel arbeitet an Gebäuden, die ihren Strom selbst erzeugen. Zu Wort kommt auch Monopol-Kolumnist Friedrich von Borries, der in München eine Ausstellung zur politischen Dimension von Design kuratiert hat und zum Transformationspotenzial von Gestaltung forscht.
"Design ist niemals unschuldig!", Arte-Mediathek, bis 27. Mai
Klickreise durchs letzte Museum
Verschiedene reale Orte auf der Welt, die im Netz zusammenkommen und sich zu so etwas wie einem widerspenstigen Museum vereinen: In etwa so lässt sich der Projekt "The Last Museum" der Berliner KW beschreiben. Die Künstlerinnen Nora Al-Badri, Nicole Foreshew, Juliana Cerqueira Leite, Jakrawal Nilthamrong, Zohra Opoku und Charles Stankievech haben Installationen unter anderem in einem brasilianischen Elektromarkt, einer Forschungsstation für kosmische Strahlung in den Rocky Mountains, einer Hacker-Höhle und einer halbfertigen Leichenhalle in Ghana geschaffen und diese abgefilmt.
Auf der Website der KW und ihren Partnerinstitutionen ist das Ganze nun als virtuelle Klick-Reise zu erleben, in der die Dinge auf dem Bildschirm noch weiter voller Bilder stecken und sich mit digitalem Händchen zum Abspielen von Filmen überreden lassen. Darin fließt ein australischer Strom, werden Tastaturen zusammengebaut oder die ökonomische Revolution durch die Erfindung des Schiffscontainers erklärt. Das Streamen ist hier kein passives Berieselnlassen, sondern eine Art Belohnung für Interaktion.
"The Last Museum", KW online, bis 6. Juni
Margiela - ein Modephantom spricht
"Ich bin vermutlich zu ernst für diese Welt", sagt die Stimme des legendären belgischen Modeschöpfers Martin Margiela im Porträt "Mythos der Mode" von 2020. Reiner Holzemer, der schon mit seinem Film von Dries van Noten zu überzeugen wusste, ist es gelungen, das sagenumwobene Phantom, das die Presse stets konsequent mied und Interviews oder Fotos verweigerte, vor die Kamera zu locken. Seinen Körper bekommt man bis auf die Hände zwar immer noch nicht zu Gesicht, aber dafür einen aus dem Off über seine Branche hochgradig kritisch reflektierenden Erzähler, einen veritablen Nonkonformisten, der es immer wieder schaffte, die wechselnden Anforderungen mit unerwarteten Ideen zu unterlaufen.
Modekritikerinnen, Wegbegleiter und Kollegen bereichern diese mit der Musik der belgischen Indie-Band dEUS unterlegte filmische Retrospektive um weitere Stimmen. Das Innenleben der über Jahrzehnte gesammelten Archivschachteln dient als roter Faden, bis zum Verkauf des Unternehmens Maison Martin Margiela an die Diesel-Gruppe, der zwar für eine Kapitalspritze sorgte, aber auch mit den einziehenden "Branding-Managern" den Verlust der Kontrolle über die kreativen Prozesse nach sich zog.
Die erwünschte Vermarktung im Internet und der steigende Zeitdruck des Modekalenders verdarben Margiela endgültig die Lust an der für ihn überlebenswichtigen "Überraschungsenergie". Er genieße heute seine Zurückgezogenheit, male und versuche sich an Skulpturen. Ob er in der Modewelt alles gesagt habe, fragt ihn Holzemer zum Schluss. Das lakonische, aber entschiedene "No" lässt auf ein Comeback des gar nicht so distanzierten Unsichtbaren hoffen.
"Martin Margiela - Mythos der Mode", bei Amazon zum Leihen und Kaufen
Maria vs. Callas
Im vergangenen Jahr hat sich die Performance-Künstlerin Marina Abramovic an einer Hommage an Opern-Diva Maria Callas versucht - mit eher durchwachsenem Ergebnis. Also vielleicht doch lieber das Original: Wie der Titel verspricht, kommt im Dokumentarfilm "Maria by Callas" die berühmte Sängerin zu Wort. Der Fotograf und Filmemacher Tom Volf setzt lange verschollene Interview-Ausschnitte ins Zentrum seiner Callas-Collage, sowie Auszüge aus Briefen, empfindsam vorgelesen von Fanny Ardant (in der deutschen Fassung von Eva Mattes).
Man spürt den Druck, der die Künstlerin belastete. "Ich hatte doch nur eine Bronchitis", schrieb Callas ihrer Gesangslehrerin, als sie 1958 in Rom eine "Norma"-Aufführung abgebrochen hatte. Es gab keine Einspringerin. Auch der italienische Präsident musste nach Hause gehen. Die Presse spielte das zur Staatsaffäre hoch.
Volf skizziert das Leben einer Frau, die 1923 in New York als Tochter griechischer Immigranten geboren wurde, in Athen ab 1938 Gesang studierte und 1949 den Industriellen Meneghini heiratete, was ihrem Aufstieg in den frühen 50ern sicher nicht abträglich war. Callas’ Affäre mit dem steinreichen Onassis, die Scheidung von Meneghini, das jähe Ende der Liebesbeziehung, als Onassis doch Jackie Kennedy heiratet: Diese Jet-Set-Dramen walzt Volf wohl zu sehr aus. Doch die Oper wird nicht marginalisiert, trotz des Handicaps, dass es an Filmdokumenten von Callas, dem Bühnentier, mangelt.
Ihre Glanzjahre zwischen 1949 und 1958 sind fast ausschließlich akustisch überliefert. Daher setzt Volf auf die gefilmten Auftritte der Spätphase – und bringt die Soloszenen immerhin ungekürzt und (dank digitaler Nachkolorierung) in Farbe: eine "Carmen"-Habanera von 1962, ein glühendes "Tosca"-Gebet aus London (1964) oder eine Arie aus Bellinis "La Sonnambula" aus Callas’ Bühnenabschiedsjahr 1965. Wie sie da schlafwandlerisch mit den Überbleibseln ihrer Stimme jongliert, treibt einem die Tränen in die Augen. Insofern kann – nicht mehr, nicht weniger – "Maria by Callas" die Ohren öffnen für das reiche Schallplatten-Erbe. Eine Stimmschauspielerin, die das Belcanto-ABC perfekt beherrschte: Das ist großes Kino genug.
"Maria By Callas", bei Mubi
Was geschah wirklich mit Vincent van Goghs Ohr?
23. Dezember 1888, Tatort: Árles in Südfrankreich. Ein Mann schneidet sich sein Ohr ab, wickelt es in Zeitungspapier und macht sich auf den Weg von seiner Wohnung zu einer Prostituierten. Er überreicht ihr das blutige Zeitungspapier und verschwindet. Ihre Identität ist umstritten, seine eindeutig: Vincent van Gogh - Schöpfer von einigen der bekanntesten und teuersten Gemälde in der Geschichte der Kunst. Aber eben auch offensichtlich getrieben von seinen Dämonen. Bis heute ranken sich Rätsel um diese Verzweiflungstat: Zahlreiche Unstimmigkeiten lassen Experten seit über 100 Jahren darüber streiten, was wirklich geschah. Die britische Autorin Bernadette Murphy machte sich auf die Suche nach der Wahrheit über das Künstlerohr und veröffentlichte die Ergebnisse in ihrem Buch "Van Gogh's Ear: The True Story".
Der daraus entstandene Dokumentarfilm "Wahn, Wut oder Wollust? Das Ohr von Vincent van Gogh" erzählt über die arbeitsreichen Monate des Malers in Árles und untersucht die hellen und die dunkelsten Momente im Leben des Künstlers.
"Wahn, Wut oder Wollust? Das Ohr von Vincent van Gogh", Arte-Mediathek, bis 6. Mai