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10 Kunst-Filme, die sich im Oktober lohnen

Mode in den 90ern und in der DDR, die dunkle Seite der Wiener Aktionisten und Tilda Swinton als cholerische Kunstkritikerin: Das sind unsere Filmtipps des Monats


Die Befreiung aus der Kommune von Otto Muehl

Es ist Sommer, ewiger Sommer. Die 14-jährige Jeanne (Jana McKinnon) balanciert einen Schmetterling auf den Fingern, sie und die anderen Kids baden im See, malen, spielen, reiten. Dazu: Performances und Kunsttherapie den lieben langen Tag. Doch schon der Filmtitel widerspricht: "Servus Papa, See You in Hell". Papa, das ist Otto (Clemens Schick), Oberguru einer Lebensgemeinschaft und Künstlerkolonie auf einer Insel, die in Wahrheit keine ist. Es braucht Zeit, Standfestigkeit und Mut, um das falsche Paradies als solches zu durchschauen. 

Auch davon, von einer Befreiung, erzählt der Film, den Christopher Roth über Umfeld und Opfer des Missbrauchstäters, Aktionskünstlers und Kommunengründers Otto Muehl (1925-2013) drehte. Das Drehbuch schrieben Roth und Jeanne Tremsal, die im Film ihre eigene Mutter spielt. Fesselnd erzählt der Film von Gemeinschaftsgefühl, Gruppenterror und dem Aufstand der Kinder; mit Julia Hummer, Aenne Schwarz, Dirk von Lowtzow, Hanns Zischler und Helene Hegemann ist das Drama bis in die Nebenrollen stark besetzt.

"Servus Papa, See You in Hell", Arte-Mediathek, bis 24. Oktober

Filmstill "Servus Papa, See You In Hell"
Foto: © Port au Prince Pictures / Lydia Richter

Filmstill aus "Servus Papa, See You in Hell"


Mit Anna Wintour zurück in die 90er

Es beginnt und endet mit Anna Wintour: Die Dokumentar-Serie "In Vogue - The 90s" bei Disney+ beleuchtet ein Jahrzehnt und seine vielen Wandlungen, die immer auch in der Mode - und deshalb im Glamour-Magazin "Vogue" widergespiegelt wurden. Wintour hatte bereits 1988 die Position der Chefredakteurin der amerikanischen "Vogue" eingenommen und vieles verändert - heute ist sie global chief content officer des Verlagsimperiums Condé Nast. Ihre Sicht, so wie die der britischen Ausgabe der "Vogue", werden in dieser Serie erzählt. 

Die modische Zeitreise beginnt mit der Entdeckung von Kate Moss. Der Grunge kommt und wird von Anna gehasst. Von ihrer heimlichen Gegenspielerin - und Sympathieträgerin des Formats - Grace Coddington wird die derbe Ästhetik jedoch ins Magazin gebracht. Die jungen Rebellen aus England werden in Amerika groß. Die Mode gelangt nach Hollywood und an die Körper der berühmtesten Schauspielerinnen. Die Met-Gala entwickelt sich zu einem Star-Auflauf, der Hip-Hop findet Einzug in die überwiegend weiße "Vogue"-Welt. 

Popkulturelle Phänomene wurden damals von der "Vogue" adaptiert und damit offiziell als "modisch" anerkannt. Ein System, das heute kaum noch Relevanz hat, da Trends und Strömungen sich schon lange über das Internet verbreiten. Ob sie in der "Vogue" vorkommen oder nicht, entscheidet nicht mehr über ihren Erfolg. 

Vielleicht regt gerade das dazu an, sich der jüngeren Vergangenheit heute erneut zu widmen. Ein Cast von Kate Moss über natürlich Anna Wintour und ihre Entourage der goldenen 1990er-Jahre bis zu Designern wie Tom Ford oder John Galliano erzählt die modisch einschneidendsten Momente des Jahrzehnts. Ein Blick zurück, der viele Debüts beleuchtet, die Wege geebnet haben. Gleichzeitig eine Huldigung an Anna Wintour, die von allen ihren Zeitgenossen gepriesen wird. Außer vielleicht von Grace Coddington. 

"In Vogue - The 90s", Disney+

"Vogue"-Chefin Anna Wintour, Hauptdarsteller der Serie "In Vogue - The 90s" auf Disney+
Foto: Evan Agostini/Invision/AP/dpa

"Vogue"-Chefin Anna Wintour, Hauptdarstellerin der Serie "In Vogue - The 90s" auf Disney+


Kultur als Strukturwandel - funktioniert das?

Thater in Industriebrachen, Tanzstücke auf Parkplätzen - das Lausitz Festival im Grenzland zwischen Sachsen, Brandenburg und Polen bringt seit 2020 Kultur in eine Region im Umbruch. Bis vor Kurzem war die Gegend vor allem vom Braunkohleabbau geprägt, nun soll mit der Energiewende auch ein Wandel hin zu einem kulturellen Kraftzentrum geschehen. Das staatlich geförderte Kunst-Festival hat nach eigener Aussage "eine große Strahlkraft entwickelt, die überregionale Aufmerksamkeit auf die Lausitz zieht". Doch sehen das auch die Leute vor Ort so? Ein Dokumentarfilm, der gerade bei 3-Sat zu sehen ist, stellt die Frage, ob Kunst tatsächlich abgehängte Regionen zu einer Transformation verhelfen kann, oder ob das Ganze eher zur Profilierung einer (überwiegend westdeutschen) Kulturelite dient.

Eine eindeutige Antwort findet Regisseurin Inga Turczyn nicht - aber die kann es vielleicht auch gar nicht geben. Dagegen kommen verschiedene Stimmen mit ihrem Blick auf das Projekt zu Wort. Der dunkelhäutige "Othello"-Darsteller Leonard Burkhardt, der sich zweimal überlegt, ob er im sächsischen Weißwasser allein durch die Stadt geht, aber auch die Menschen hier kennenlernen will. Der Festival-Intendant Daniel Kühnel, der mit seinem geschnitzten Kuratorensprech das Klischee vom abgehobenen Kulturpersonal eher bestätigt als entkräftet. Die Filmemacherin und Autorin Grit Lemke aus Hoyerswerda, die aus dem Beirat des Unterfangens austrat, weil sie die lokale Perspektive zu wenig gewürdigt fand. Und die lokalen Mitglieder eines Chors, die die "Othello"-Aufführung verstärken und dabei zu einer künstlerischen Familie zusammenwachsen.

Der Film streift viele Fragen, die sich bei kulturellen Großereignissen stellen - nicht nur in der Lausitz. Für wen genau machen wir das eigentlich? Und nimmt sich die Kunst zu wichtig oder nicht wichtig genug?  

"Lausitz Festival - Kulturimport in den Osten?", 3-Sat-Mediathek, bis 2029

Aufführung von "Othello - Die Fremden" beim Lausitz-Festival 2024 in Weißwasser
Foto: Marlies Kross

Aufführung von "Othello - Die Fremden" beim Lausitz-Festival 2024 in Weißwasser


Dürfen wir kurz stören?

Ein System, das nicht gestört ist, würde sich von provokanter Kunst gar nicht erst stören lassen, sagt die schwedische Künstlerin Natalie Djurberg in einer neuen dreiteiligen Filmreihe über Kunst als gesellschaftlichem Sprengstoff. Zusammen mit ihrem künstlerischen Partner Hans Berg schafft Djurberg animierte Videos mit Knetfiguren, denen gar nichts heilig ist und die in teils grotesken Szenen Themen wie Missbrauch in der Kirche oder Sexismus verhandeln. Sie wolle gar nicht unbedingt provozieren, sagt Djurberg. Vielmehr sei es andersherum: die realen Missstände, die Eingang in ihre Kunst finden, seien eine Provokation für sie. Auch Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit vertritt die These, dass die Eskalation nicht aus der Kunst kommt, sondern aus der Realität. 

Die Serie "Störfaktor Kunst" von Nicola Graef und Jörg Jung versucht anders als andere Kulturfomate nicht, das Phänomen provokanter Kunst durch Kunsthistorikerinnen und Experten einzuordnen, sondern lässt vor allem Künstlerinnen und Künstler zu Wort kommen. Unter den Schlagworten "Macht und Politik", "Religion" und "Feminismus" erzählen unter anderem Ai Weiwei, Shirin Neshat, Christian Jankowski, Narcissister, Andres Serrano, Pussy Riot, Anna Uddenberg und Santiago Sierra von ihrem persönlichen Verhältnis zu Provokation und dem Verstoß gegen Konventionen.

Durch diesen Fokus auf einzelne Positionen, die tatsächlich Kontroversen ausgelöst und die Mächtigen auf den Plan gerufen haben, lässt die Dokumentation die Frage offen, wann Kunst eigentlich Reibung erzeugt, welche Umstände dazu beitragen und ob es immer schwieriger wird, zu stören. Auch, ob ein gewisses Maß an Provokation nicht dankbar vom Kunstsystem aufgesaugt wird und auf dem Kunstmarkt eine Art Währung ist, wird nur am Rande thematisiert. Doch durch die Einblicke ins Schaffen einzelner Künstlerinnen und Künstler wird eindrucksvoll deutlich, was für unterschiedliche Formen Protest annimmt, dass Kunst eben nicht immer kalkuliert ist und welchen Themen Kunstschaffende ein ganzes Leben widmen. 

"Störfaktor Kunst", drei Teile, Arte-Mediathek, bis 31. Oktober

Aktionskünstlerin Nadya Tolokonnikova, Mitglied der russischen Punkband Pussy Riot, in der Arte-Filmreihe "Störfaktor Kunst"
Foto: Nicola Graef/Lona•media

Aktionskünstlerin Nadya Tolokonnikova, Mitglied der russischen Punkband Pussy Riot, in der Arte-Filmreihe "Störfaktor Kunst"


Eine Mode-Karriere in Ost-Berlin

"Gegen den Untergang der Welt hilft nur Eleganz", erklärt die Chefredakteurin dem jungen Model. Nur eine von vielen modischen Weisheiten, die der Film "In einem Land, das es nicht mehr gibt" von 2022 verbreitet. Mode in Ostberlin, hat die überhaupt eine Rolle gespielt? Ja, und genau wie überall anders auf der Welt vor allem für die, die nicht in gängige Ideale passten und durch Kleidung ausdrücken konnten, wo sie sich wirklich zugehörig fühlen.

Nach einem Schnappschuss, den der Fotograf Coyote von ihr in der Straßenbahn zur Arbeit macht, hat die 18-jährige Susanne "Suzie" Schulz die Chance, als Model Karriere zu machen. Eine verlockende Alternative, da ihr Alltag sonst im Kabelwerk Oberspree stattfindet. Sie findet sich auf dem Cover der "Sybille" wieder und sogar mit ihren Kolleginnen des KWO in einem Editorial im Heft. Doch da ist mehr. "Die Modenschau in Leipzig ist die wichtigste des Jahres" – so war das im Jahr 1989. Suzie darf mit und auf der Leipziger Messe laufen. Immer an ihrer Seite ist Rudi, der Modestylist der "Sybille", der sie in die untergründige Modewelt einweiht und eine eigene Schau plant. "Dabei gibt's offiziell in der DDR gar keine Schwulen", ist eine Zeile, die Rudis Schicksal in den Stasi-kontrollierten Straßen greifbar macht. Und ein alternativer Fakt, der den Wendepunkt im Film markiert. 

Doch "Schönheit besänftigt die Nerven", weiß auch die schlaue Chefredakteurin Dr. Elsa Wilbrondt, und so findet am Ende zusammen, was zusammen gehört - genau wie wenige Monate später auch Ost- und West-Berlin. Der Film von Regisseurin Aelrun Goette beruht auf einer wahren Geschichte, ihrer eigenen, und gibt einen spannenden Einblick in die Mode-Realität im Sozialismus. 

"In einem Land, das es nicht mehr gibt", Arte-Mediathek, bis 6. Oktober

"In einem Land, das es nicht mehr gibt", Filmstill, 2022
Foto: Tobis Film

"In einem Land, das es nicht mehr gibt", Filmstill, 2022


Ein Eier-Maler sucht das ewige Leben

Ein junger Kreativer aus El Salvador versucht, in den USA Fuß zu fassen. Dass ihm das gelingen könnte, glaubt man nicht auf Anhieb. Zu scheu der Blick, zu verhuscht der Gang. So kann man sich täuschen. Schließlich ist Julio Torres inzwischen Regisseur, "Saturday Night Live"-Autor, Produzent und Hauptdarsteller des Films "Problemista". Für sein autobiografisch gefärbtes Debüt konnte er sogar Tilda Swinton für die Rolle einer cholerischen Kunstkritikerin gewinnen. 

Sein Alter Ego Alejandro träumt nun in dem Film von einem Posten als Spielzeugentwickler beim Branchenriesen Hasbro in New York. Doch weil seine Ideen zu versponnen sind, hält er sich mit einem Job in der Kryonik-Firma FreezeCorp über Wasser. Täglich schaut er dabei zu, wie Menschen in Gefriertruhensärgen auf ihre Auferstehung warten, etwa der Maler Bobby, dessen Hauptmotiv gigantische Eier in surrealen Settings waren. Alejandro ist für dessen Kapsel zuständig. Dann stolpert er jedoch über das Verbindungskabel des Notstrom-Generators. Mit der Kündigung gerät sein Arbeitsvisums-Verfahren in Gefahr, womit Tilda Swinton als Bobbys exzentrische Nachlassverwalterin, Witwe und Kunstkritikerin ihren Auftritt bekommt.                                                

Sie engagiert Alejandro großzügig als Assistenten, unter der Bedingung, dass es ihm gelingt, eine Ausstellung mit Bobbys Werken zu realisieren. Kein leichtes Unterfangen, zumal sich der rettende Engel allmählich als ein mit schlechtsitzenden violetten Locken und japanischen Designer-Outfits gesegnetes Nervenbündel entpuppt, unberechenbar und stets unter Strom. Einen nachvollziehbaren Handlungsbogen sucht man fortan in dem märchenhaften Plot vergeblich, dafür lenken die inszenatorischen Exzesse und die grelle Visualität zu sehr ab.
                                                                                  
Das ist bewusst gewählt, denn Torres liefert einen Gegenentwurf zu all den Migrantenfilmen, die das Elend des erzwungenen Landwechsels als realistische Sozialdramen aufziehen. Die Kunstwelt bekommt großzügig ihr Fett ab, Sketch folgt auf Sketch, überspannte Figuren kommen und gehen. Man wähnt sich mitunter auf einem kafkaesken Trip in die US-amerikanische Einwanderungsbürokratie, der keine Anstrengung zu abstrus ist, um die Ankömmlinge wieder vor die Tür zu setzen.

"Problemista", Amazon Prime

"Problemista", Filmstill, 2024
Foto: Universal

"Problemista", Filmstill, 2024


Marianne Ihlen, mehr als nur die Muse von Leonard Cohen

1960 begegnete der junge kanadische Dichter Leonard Cohen auf Hydra der Norwegerin Marianne Ihlen. Beide suchten auf der Mittelmeerinsel ein Bohème-Leben jenseits bürgerlicher Erwartungen: Cohen wollte sich in Griechenland von seiner streng-jüdischen Herkunftsfamilie in Montreal lösen und eine eigene Stimme als Poet und Romanautor finden, Marianne war mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Axel Jensen, der Langeweile, Kälte und Dunkelheit Oslos entflohen. Kurze Zeit später wurde sie - gemeinsam mit ihrem Kind - von Jensen verlassen und begann eine Beziehung mit Cohen. 

Vom Aufblühen und Scheitern dieser Liebe erzählt die achtteilige Serie "So long, Marianne", an der unter anderem der Krimischriftsteller Jo Nesbø mitgeschrieben hat. Die kanadisch-norwegische Koproduktion, die den Anspruch hat, Marianne nicht nur auf ihre Rolle der Muse zu reduzieren, sondern die komplexe, von Alkohol, Geldnot, Inselromantik und Poesie befeuerte Dynamik zwischen zwei jungen, kämpferischen, aber eben oft verzweifelten Menschen zu zeigen. Leonard Cohen kommt dabei erfrischend schlecht weg, denn lange genug wurde er wie ein Heiliger verehrt. Dabei erfüllt diese Sicht auf ihn letztlich auch nur das Klischee des leidenden Künstlers und verdeckt den Humor und all die Widersprüche, die auch zu dem 2016 verstorbenen Sänger gehören. 

Die Serie zeigt, wie aus dem erfolglosen Dichter ein gefeierter Sänger wird - eine Karriere, der die Beziehung zu Marianne zum Opfer fällt. Diese Liebe hinterließ dennoch künstlerische Spuren: In Cohens Song "So long, Marianne" zum Beispiel, der eigentlich als Aufmunterungssong "Come on, Marianne" heißen sollte, aber dann zum Abschiedslied geriet.

Die Serie nimmt sich Zeit und erzählt, wie Cohen sang: in Zeitlupe. Alex Wolff spielt den jungen Dichter in einer verträumten Verpeiltheit, die sexy und toxisch zugleich ist. Beeindruckend, wie nah er stimmlich dem Original kommt. Es nervt allein der unnötige Einsatz von Filtern und Effekten und irren Kameraeinstellungen, als würden die Macher ihrem Plot nicht trauen. Dabei schaut man den beiden doch gerne zu, den Gastauftritten von Andy Warhol, Janis Joplin und Allen Ginsberg und staunt darüber, wie chaotisch, selbstzerstörerisch, unachtsam und intensiv die Avantgarde Mitte des vorigen Jahrhunderts war. Auf Hydra, im Chelsea Hotel und an all den anderen Orten, die heute durchgentrifiziert und von Touristen überlaufen sind. 

"So long, Marianne", ARD-Mediathek, am 2. und 9. Oktober jeweils vier Folgen am Stück von 23.30 Uhr an im NDR

"So long, Marianne", Filmstill, 2024
Foto: Courtesy NDR

"So long, Marianne", Filmstill, 2024


Tatort mit Romantik-Flair

Das Caspar-David-Friedrich-Jubiläumsjahr geht auch am "Tatort" nicht spurlos vorbei. In der Folge "Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh'n" - dem letzten Einsatz des Frankfurter Ermittlerduos Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) - hat der Romantik-Maler so etwas wie einen Cameo-Auftritt mit gruseligen Untertönen. Der Fall dreht sich um einen Psychologen und Opferbeauftragen der Polizei (Matthias Brandt), der von einem etwas biederen Familienvater zu einem wahnhaften Mörder mutiert. Dabei spielt die Kunst der Romantik auf vielerlei Arten eine Rolle: ein Gemälde vom Sperrmüll wird zur ungewöhnlichen Waffe, und der Protagonist träumt sich immer wieder als Rückenfigur in Caspar-David-Friedrich-hafte Landschaften (ja, auch die Skyline von Frankfurt am Main kann eine Sehnsuchtsweite sein). 

Der Showdown der Krimi-Episode findet in einer Ausstellung statt, für die ein junger Künstler die Bergspitzenkulisse von Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" in eine dystopische Digitalwelt voller Monster verwandelt. Ob das jetzt große Kunst oder eine Metapher mit Holzhammer ist, lässt sich sicher diskutieren. Aber der eher ungewöhnliche Fall ist spannend inszeniert und wird von einem großartigen, zunehmend verrückten Matthias Brandt getragen. Und ein bisschen Erschütterung im deutschen Romantik-Taumel kann in diesem Jahr sicher nicht schaden.

"Tatort: Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh'n", ARD-Mediathek, bis 29. September 2025 

Matthias Brandt als mörderischer Psychologe im ARD-"Tatort", Filmstill, 2024
Foto: ARD

Matthias Brandt als mörderischer Psychologe vor Caspar-David-Friedrich-Panorama im ARD-"Tatort", Filmstill, 2024


Steirischer Herbst online

In Österreich ist die in Teilen rechtsextreme FPÖ gerade stärkste Kraft bei der Wahl zum Nationalrat geworden. Auch das Kunstfestival Steirischer Herbst befasst sich mit dem Rechtsruck im Land - ein Plakat des Künstlers Yoshinori Niwa wurde zeitweise von der Polizei verhüllt, weil es die Ästhetik und Rhetorik der FPÖ karikiert und dabei mit NS-Vokabular spielt. Wer es nicht physisch zur Ausstellung und zu den Performances nach Graz schafft, kann auch online einige Werke des von Ekaterina Degot kuratierten Programms anschauen. So verknüpft die Künstlerin Alina Kleytman in ihrem Video "The Place to See Before You Die" die Sprache von touristischer Werbung mit Bildern aus einem kriegszerstörten Haus im ukrainischen Charkiw. Jakub Jansa nimmt sein Publikum dagegen mit auf eine kafkaesk-surrealistische Reise auf den Spure des Selleries. 

Immer wieder wird beim Steirischen Herbst 2024 auf die lange Geschichte der österreichischen Deutschtümelei verwiesen, wie es auch der vom Festival in Auftrag gegebene 45-minütige Film "Noreia" von Jan Peter Hammer tut. Dieser erzählt, wie in der Steiermark die vorgefundene keltische Siedlung Noreia mit einer germanischen Schlacht aus vorchristlicher Zeit ideologisch verwoben und über Jahrzehnte hinweg von verschiedenen Interessengruppen mit unterschiedlichem Erfolg bearbeitet oder bekämpft wurde. Hammer lässt seinen Protagonistinnen und Protagonisten vom Heimatverein bis zur Landesarchäologie allen Raum, und so entwickelt der Film eine faszinierende Atmosphäre. Ein Höhepunkt, den man sich – auf der Festivalseite frei zugänglich – nicht entgehen lassen sollte.

"Horror Patriae", digitale Ausstellung, Steirischer Herbst online

Jakub Jansa "Pumpkinville (Club of Opportunities, Episode 9)", 2024
Foto: Courtesy Jakub Jansa

Jakub Jansa "Pumpkinville (Club of Opportunities, Episode 9)", 2024


Lee Miller - die Fakten hinter dem Kinofilm

Im Spielfilm "Die Fotografin" brilliert Kate Winslet gerade als Kriegsreporterin Lee Miller - und wird schon für einen Oscar gehandelt. In der Kunst ist die gebürtige US-Amerikanerin Miller jedoch schon länger ein geläufiger Name. Auf der Documenta 13 beispielsweise wurde das Fridericianum zum "Brain", also zum Gehirn der Ausstellung, in dem die Grundgedanken der Präsentation formuliert und an exemplarischen Werken sichtbar gemacht wurden. Ein zentrales Bild im Kunsthirn war dabei die Fotografin Lee Miller (1907-1977), wie sie sich 1945 nackt in Hitlers Badewanne wäscht. Das Foto ist eine zeitlose Ikone, in der Befreiung, Schuld und die visuelle Macht harmloser Dinge in einem historischen Moment zusammenfallen.

Eine britische Dokumentation, die zum Kinostart des Biopics mit Kate Winslet noch einmal in der Arte-Mediathek zu sehen ist, widmet sich dem Leben von Lee Miller, die zuerst als Model berühmt wurde und oft als Muse der Surrealisten bezeichnet wird. Dabei war Miller immer auch selbst künstlerisch tätig und hatte 1933 ihre erste Einzelausstellung mit ihrer Porträtfotografie. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie eine der wenigen Kriegsreporterinnen in Europa, die auch die Schrecken der Kämpfe und des Holocaust sorgfältig künstlerisch inszenierte. Die Filmemacherin Teresa Griffiths zeigt Millers außergewöhnliches Leben mit seinen Brüchen und Widersprüchen. Unter anderem kommt ihr Sohn Antony Penrose zu Wort.

"Lee Miller - Supermodel und Kriegsfotografin", Arte-Mediathek, bis 11. Dezember

Lee Miller
Foto: Arte

Lee Miller