Streaming-Tipps

10 Kunst-Filme, die sich jetzt lohnen

Die Tänzer von Fubunation (Rhys Dennis and Waddah Sinada) im Victoria & Albert Museum in London
Foto: © 3000ceanhill / Courtesy V & A

Die Tänzer von Fubunation (Rhys Dennis and Waddah Sinada) im Victoria & Albert Museum in London

Magische Welten, zumindest von der Couch aus: Unsere Filme der Woche zelebrieren Museumsbesuche, gehen unerzählten Geschichten aus London nach und tanzen gegen Trauma an


Zauberwelten aus dem Studio Ghibli

Vor wenigen Tagen ist die japanische Anime-Legende Hayao Miyazaki 80 Jahre alt geworden. In seiner langen Karriere als Regisseur hat der Mitbegründer des Studios Ghibli unzählige Zeichentrickfilme geschaffen, die Jung und Alt berühren. Sie erzählen von Träumen und Freundschaft bis hin zu technischem Fortschritt und Umweltzerstörung. So haben Miyazaki Meisterwerke an Aktualität nichts eingebüßt. Der runde Geburtstag des Filmemachers ist noch ein Grund mehr, sich eines seiner Meisterwerke mal wieder anzusehen: Bei Netflix finden sich gerade viele Werke des Studios Ghibli, darunter die berühmtesten Filme "Chihiros Reise in Zauberland", "Prinzessin Mononoke" und das "Wandelnde Schloss", aber auch Unbekannteres zum Neuentdecken.

Filme aus dem Studio Gibli, auf Netflix

"Chihiros Reise ins Zauberland" (Filmstill)
Foto: ©2001 Studio Ghibli

"Chihiros Reise ins Zauberland" (Filmstill)

 

Durch Venedig mit Tintoretto

Über Venedig spricht man derzeit eher mit Sorgenfalten auf der Stirn. Nach Jahren des Rekordhochwassers und der Beinahe-Unfälle mit Kreuzfahrtschiffen ist die Gefährdung der Lagunenstadt durch den Klimawandel sehr konkret greifbar. Die wirtschaftliche Zukunft ist unter anderem wegen des pandemiebedingt ausbleibenden Tourismus ungewiss.

In die vorindustrielle Blütezeit der Kulturmetropole im Wasser reist die Dokumentation "Tintoretto und das neue Venedig". Vor 500 Jahren feierte der temperamentvolle Maler einen kometenhaften Aufstieg und prägte die Stadt mit seinen Wandbildern, die man bis heute bestaunen kann und die immer noch überraschend modern aussehen. Die Bilder sind neben Kunstschätzen allerdings auch politische Zeugnisse, denn Tintorettos Schaffen war nur durch die liberale Politik der florierenden Handelsstadt Venedig möglich.

"Tintoretto und das neue Venedig", Arte-Mediathek, bis 1. Februar

"Tintoretto und das neue Venedig"
Foto: Arte

"Tintoretto und das neue Venedig"


Steve McQueen porträtiert die "Windrush-Generation" in Großbritannien

Die "Small Axe" wurde vor 50 Jahren von Bob Marley besungen: "If you are the big tree, we are the small axe, ready to cut you down". Der Künstler und Regisseur Steve McQueen greift den Kampf der kleinen Axt gegen den großen Baum auf und entwirft in fünf Filmen ein mitreißendes Panorama der Schwarzen Gemeinschaften im London der 1960er- bis 80er-Jahre. Er erzählt anhand der Schauplätze Party, Gerichtsverhandlung, Schule, Polizeistation und Gefängnis Geschichten über Rassismus und Aktivismus, über Unterdrückung und Befreiung. "Small Axe" beginnt ein Jahr vor McQueens Geburt. 1968 hielt der britische Politiker Enoch Powell seine sogenannte "Rivers of Blood"-Rede, in der er sich gegen die Integration von Migrantinnen und Migranten und gegen die bisherige Einwanderungspolitik aussprach. An diese offen geäußerte Xenophobie schließt das fünfteilige filmische Werk an; und entfaltet Folge für Folge Erzählungen über die britische Gesellschaft und die sogenannte "Windrush Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den ehemaligen britischen Kolonien in der Karibik zum Wiederaufbau nach UK geholt wurde.

Reggae, Blues und Funk als Teil des kulturellen Selbstverständnisses der afrokaribischen Community sind in allen Folgen von "Small Axe" präsent. McQueen inszeniert die Filme kunstvoll wie ein musikalisches Bühnenstück und spannt ein Netz aus kulturellen Referenzen. Gleichzeitig verhandelt er politische Themen, die in Zeiten der "Black Lives Matter"-Bewegung brennend aktuell sind.

Eine ausführliche Rezension zu "Small Axe" lesen Sie hier.

Steve McQueen "Small Axe", bei Amazon

Steve McQueen "Small Axe: Education" (Filmstill)
Foto: BBC

Steve McQueen "Small Axe: Education" (Filmstill)


Eine Geschichte vom Krieg und vom Tanzen

"Jeder kämpft seinen eigenen Krieg" sagt der syrische Tänzer Ahmad Joudeh zu Beginn der eindrücklichen Dokumentation "Dance Or Die". Diese Worte trägt Ahmad auf den Nacken tätowiert. In seiner Heimatstadt Damaskus wird es für ihn unmöglich zu tanzen, also beschließt er, aus dem vom Bürgerkrieg zerstörten Syrien zu fliehen. Er landet schließlich in den Niederlanden, wo er vom National Ballet in Amsterdam engagiert wird und sich ein neues Leben als professioneller Tänzer aufbaut. Aber diese Wendung ist kein klassisches Happy End, denn die Dämonen des Krieges lassen Ahmad nicht los. Die Dokumentation von Roozbeh Kaboly wurde 2019 mit einem Emmy in der Kategorie "Arts Programming" ausgezeichnet.

"Dance Or Die", Arte Mediathek, bis 2. April

"Dance Or Die", Filmstill
Foto: Arte

"Dance Or Die", Filmstill, 2018


Pandemie und kein Ende

Es ist ja nicht so, als würde es in den Medien an Berichterstattung über die Covid-19-Pandemie mangeln, und als Zuschauerin kann man in der Informations-, Empörungs- und Meinungsflut schonmal untergehen. Der Schweizer Künstler Marc Lee treibt die Überforderung auf die Spitze und hat einen TV-Bot geschaffen, der in Echtzeit Social-Media-Beiträge und Youtube-Videos wiedergibt und zu einem schwindelerregenden Informationsrausch verrührt. Offizielle Nachrichtenbeiträge überlagern sich mit verschiedensten persönlichen Eindrücken und Äußerungen aus der ganzen Welt. Also nix mit Filterblase. Das Werk, im Januar Video des Monats auf der Website des Dortmunder Hartware Medienkunstvereins, läuft rund um die Uhr und funktioniert mit Firefox- und Safari-Browsern.   

Marc Lee "Corona TV Bot", Hartware Medienkunst Verein online, bis 31. Januar

Marc Lee, "Corona TV Bot" (Screenshot), 2020
Foto: Courtesy marclee.io und Hartware Medienkunstverein

Marc Lee, "Corona TV Bot" (Screenshot), 2020

 

Fubunation im Victoria & Albert Museum

Wie man den weißen Herrschaftsraum Museum aufbrechen und inklusiver machen kann, beschäftigt die Kunstszene seit Jahren. Beyoncé und Jay-Z haben mit ihrem Video "Apeshit" gezeigt, wie Schwarze Körper den Louvre in Paris übernehmen und die dort erzählten Geschichten von europäischer Vormacht verkomplizieren können. Ähnliches tut auch die britische Tanzkompanie Fubunation im Victoria & Albert Museum in London. In ihrer Performance "Ruins", die als Stream auf Youtube verfügbar ist, entfalten sich inmitten der Exponate sinnliche Szenen zwischen Nähe, Verletzlichkeit und Aggression. 

An dieser Stelle sei der komplette Youtube-Kanal des V&A empfohlen, auf dem es digitale Rundgänge durch Ausstellungen, Blicke hinter die Kulissen und weitere Performances im Museum zu sehen gibt.   

Fubunation "Ruins", V&A online, auf Youtube



Das neue Jahr beginnt mit Anne Imhof und Patti Smith

Der Piccadilly Circus in London ist vielleicht der europäische Ort, der sich am meisten wie New York anfühlt. Zwischen allen Werbebotschaften, die auf Passantinnen und Passanten einstürzen, will die Organisation Circa regelmäßig Kunst auf dem größten der Bildschirme platzieren und damit möglichst vielen Menschen zugänglich machen. 2020 war unter anderem eine Arbeit von Ai Weiwei zu sehen.

Das neue Jahr sollte auf dem belebten Platz eigentlich mit extra angefertigten Videos von Anne Imhof und Patti Smith beginnen, wegen strenger Coronabestimmungen wurden die Arbeiten an Silvester dann aber nicht auf dem Billboard gezeigt, sondern nur im YouTube-Livestream. Die Filme sind nun auch nachträglich noch auf der Videoplattform zu sehen. 

Die Frankfurter Künstlerin Anne Imhof präsentiert eine neue zehnminütige Auftragsarbeit. Für den Film greift sie auf Material zurück, das in der Tate Modern während der großen Installation und Performance "Sex" im Jahr 2019 gefilmt wurde. Außerdem sieht man Künstlerin Eliza Douglas pünktlich zum vollzogenen Brexit das Meer in der Normandie auspeitschen - ein Motiv, das auf den persischen König Xerxes zurückgeht und in der zeitgenössischen Kunst schon durch den Künstler Julius von Bismarck bekannt ist

Der aktuelle Stream beginnt mit einem Rückblick auf die Circa-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer 2020. Bevor es dann mit Anne Imhofs Film losgeht, spricht Künstler Ai Weiwei über seine Arbeit für die Plattform. Im dritten Teil des Videos erinnert die Sängerin Patti Smith an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des britischen Gesundheitswesens, die an Covid-19 verstorben sind. 

 

Radikale Entspannung mit ASMR

"Autonomous Sensory Meridian Response", kurz ASMR, bezeichnet einen Zustand vollkommener mentaler Entspannung, der von einem leichten Kribbeln im Kopf begleitet werden kann. Ausgelöst durch Geräusche und visuelle Reize beim Betrachten bestimmter Videos entstehen Sinnesreize – sogenannte "Tingles" -,  die mit bestimmten Körperreaktionen einhergehen. Dieser physiologische Effekt ermöglicht es, Stress abzubauen oder das Einschlafen zu erleichtern.

Dem Phänomen ASMR hat sich der ungarische Filmemacher Peter Strickland schon mehrfach gewidmet. So auch in seinem neuesten avantgardistischen Kurzfilm "Cold Meridian" aus dem Jahr 2020. Als eine Art Voyeur können wir aktiv am Prozess der Entspannungsmethode teilnehmen und erkennen, welche Wirkung die Sequenzen auf die Betrachtenden haben. Ungarns Schauspiel-Shooting-Star Juli Jakab spricht das Publikum direkt an, während ihr der Kopf shampooniert wird. Diese rhythmischen und ästhetischen Bewegungen werden von sanften Geräuschen begleitetet und hypnotisieren die Zuschauenden, während eine impulsive Tanzperformance die Szenerie immer wieder unterbricht. Der auf 8mm gedrehte Kurzfilm wird mit seinen audiovisuellen Stimulationen zum experimentellen Entspannungsvideo, das die Grenzen von Wahrnehmung und Kontrolle austestet.

Peter Strickland "Cold Meridian", auf Mubi

 

Verliebt in Vermeer

Seit Monaten befinden wir uns auf Entzug von Ausstellungsbesuchen und haben lange kein Museum mehr von innen gesehen. Was bleibt da noch, außer in Erinnerungen zu schwelgen und an Gelegenheiten zu denken, bei denen Kunstwerke uns in ihren Bann gezogen haben? Der Film "All the Vermeers in New York" von 1990 lässt die Nostalgie durch einen Besuch im Metropolitan Museum aufflammen und zeigt, wie intensiv Malerei über die Grenzen des Räumlichen hinweg unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen kann.

Als der erfolgreiche Wallstreet Broker Marc die junge Schauspielstudentin Anna vor seinem Lieblingsgemälde Vermeers  stehen sieht, kann er seine Augen nicht von ihr lassen. Für ihn scheint es, als sei sie ein Sujet des Meisters selbst. Zwei Menschen aus vollkommen unterschiedlichen Welten, die nur das Interesse an einem spezifischen Gemälde zu verbinden scheint, stürzen in eine Romanze mit trivialem, aber tragischem Charakter. So verweilt der Film nicht nur bei den Meisterwerken Veermers, sondern taucht auch in die moderne New Yorker Kunstszene ein, in der Geld die treibende Kraft zu sein scheint.

"All the Vermeers in New York", auf Mubi


Die zweite Staffel von "Dickinson"

Emily Dickinson verbrachte ihr ganzes Leben im Lockdown: Die größte aller US-Dichterinnen lebte von 1830 bis 1886 im Haus ihrer Eltern, die meiste Zeit zurückgezogen auf ihrem Zimmer. In ihrer Heimatstadt Amherst kannte man sie als die unheimliche "White Lady", weil sie eine Vorliebe für weiße Kleider hatte und nachts damit durch den Garten wandelte. Zu Lebzeiten veröffentlichte sie lediglich zehn Gedichte, nach ihrem Tod aber fand ihre Schwester Lavinia in einer Truhe Notizbücher mit über 1700 lyrischen Texten. "Du wirst die einzige Dickinson sein, die man in 100 Jahren noch kennen wird", sagt in der Serie "Dickinson" der personalisierte Tod zur jungen Emily, nachdem ihr Vater, der für den Kongress kandieren will, ihr ein Publikationsverbot auferlegt hat.

Und so ist es: Emily ist weltberühmt, ihre Familie kennt man nur noch, weil man sie kennt. "Dickinson" (eine der ersten Produktionen von Apple TV+) erzählt Emily Dickinsons Geschichte jetzt für ein junges Publikum. Dabei kommt es nicht so sehr auf historische Genauigkeit an, sondern um den Teen-Spirt – weshalb die Leute hier auch zu Cloud-Rap tanzen und sprechen wie Millenials. Das wirkt manchmal etwas gewollt, so "fresh" und "frech" wie ein Poetry Slam mit Schiller-Gedichten, aber die großartige Besetzung haut alles wieder raus. Am Ende erinnert uns Emily daran, die Quarantäne gut zu nutzen: Werdet ihr selbst, vielleicht sogar durch Kunst!

 Die zweite Staffel von "Dickinson" läuft bei Apple TV+

Hailee Steinfeld in der zweiten Staffel von "Dickinson"
Foto: Apple TV+

Hailee Steinfeld in der zweiten Staffel von "Dickinson"