Hommage an die Fotografin Anja Niedringhaus
Eigentlich hatte Anja Niedringhaus mit Mitte 20 ausgesorgt. Als fest angestellte Fotojournalistin bei der European Press Agency hätte sie eine ruhige Kugel im Gesellschaftsressort schieben können. Sie wählte die tägliche Dosis Todesangst, weil sie es nicht fassen konnte, dass es wieder "Krieg mitten in Europa" gab. Gleich am Anfang in Sarajewo wäre sie fast umgekommen. Sie war "entweder zu früh oder zu spät, zu nah dran oder zu weit weg", sagt sie einmal weinend zu einem befreundeten Fotoreporter im Biopic "Die Bilderkriegerin". Man sieht sie unter Schock stehen, sich übergeben angesichts massakrierter Leichen.
Ausgerechnet in einem ruhigen Park macht sie dann doch noch ihr erstes brauchbares Foto. Eine Familie spielt dort mit einem Hund. Plötzlich läuft die kleine Tochter ins Gebüsch. Eine Mine explodiert, und Niedringhaus muss sich entscheiden, ob sie auf das blutverschmierte Kind draufhalten oder lieber abreisen sollte, wie es ihr ihre männlichen Kollegen immer wieder raten. Stattdessen sucht sie den Augenkontakt zu den Eltern, die ihr das Fotografieren erlauben. Das Bild geht um die Welt. Der Blick auf die Details abseits des Kriegsgeschehens wird fortan zu ihrem Markenzeichen.
Der zwischen dokumentarischen Einschüben und spielfilmhafter Handlung oszillierende Film "Die Bilderkriegerin" folgt ihr in den Irak und nach Afghanistan, wo sie "die Seele der Menschen findet, die sie fotografiert", so einer ihrer realen Kollegen im Interview. Was man für verklärte Nostalgie halten könnte, erweist sich als ins Schwarze treffende Charakterisierung von Niedringhaus' Handschrift.
Wenn sie die Linse als embedded journalist auf von US-Soldaten verhaftete Iraker richtet, einen Jungen in Kabul mit Maschinengewehr in der Hand Kettenkarussell fahren lässt und in den Augen unverschleierter Frauen einen Funken Hoffnung einfängt, dann versteht man sogleich, warum sich die "New York Times" oder "Der Spiegel“" um diese Aufnahmen rissen, bis ihr eine Reise in ein Bergdorf, deren Bewohner zum ersten Mal wählten, zum Verhängnis wurde: Niedringhaus starb bei einem Anschlag mir nur 48 Jahren.
"Die Bilderkriegerin", Salzgeber Video on Demand
Tom Fords opulente Bild- und Gefühlswelt
"A Single Man", das Regiedebüt des US-amerikanischen Modedesigners Tom Ford von 2009, ist ein sehr trauriger und unbedingt empfehlenswerter Film. Er spielt im Kalifornien der frühen 60er-Jahre, und sein Protagonist George Falconer (Colin Firth) muss sich nach dem Tod seines Partners darüber klar werden, ob sich das Weiterleben für ihn lohnt. Das Drama begleitet den Literaturprofessor einen Tag lang, in dem sich Momente tiefer Trauer mit Funken der Hoffnung und des Glücks abwechseln.
Ein Hauptdarsteller des opulent ausgestatteten Films ist auch das grandiose modernistische Landhaus, in dem Falconer wohnt. Der Architekt John Lautner errichtete die Schaffer Residence im Jahr 1949, sie besteht in weiten Teilen aus Rotholz und Glas und scheint mit den umgebenden Wäldern zu verschmelzen. Lautner wurde später berühmt durch sein futuristisches "Chemosphere House" – dieser frühere Bau erinnert in seiner nüchternen Eleganz an beste Bauhaus-Prinzipien: eine amerikanische, sonnenbeschienene Variante dessen, was im kalten Deutschland vorgedacht wurde. Die Schaffer Residence steht zwar nicht am Ozean, wie es Tom Fords Film glauben macht, sondern im Landesinneren. Doch gute Fiktion kann bekanntlich Berge und auch Häuser versetzen.
"A Single Man", auf Mubi
Flüchtlingsdramen, Spione und Kunstpartys
Die Serie "Transatlantic" ist inspiriert von der wahren Geschichte der Hilfsorganisation um Varian Fry und Mary Jayne Gold, die in den Jahren 1940/41 etwa 2000 Geflüchtete aus dem von den Nazis besetzten Frankreich rettete, darunter Hannah Arendt, Bella und Marc Chagall und Max Ernst. Mitentwickelt und -produziert hat den Siebenteiler die "Unorthodox"-Schöpferin Anna Winger.
Die Serie hat manchmal Schwierigkeiten, zwischen Flüchtlingsdramen, Spionage-Romanze und Kostümorgie den richtigen Ton zu treffen. Auch als Parabel über Flucht und Widerstand taugt es nur bedingt, da das Untergrund-Netzwerk vor allem an den "hellsten Köpfen" aus Deutschland interessiert ist und die Verfolgten als herausragende Individuen charakterisiert werden. "Transatlantic" funktioniert am besten als Unterhaltungsformat mit politischen Untertönen, das die unterschiedlichen Strategien der Künstler im Angesicht der Katastrophe zeigt - inklusive großer Surrealismus-Party mit Max Ernst und Peggy Guggenheim.
Wer einen anderen filmischen Zugang zu Fluchtgeschichten aus Marseille dagegensetzen möchte: Auf Mubi ist gerade Christian Petzolds "Transit" von 2018 zu sehen.
"Transatlantic", auf Netflix
Glanz und Grauen im Berlin der 1930er
Berlin, Anfang der 1930er-Jahre. Mit Deutschland geht es bergab. Der angehende Schriftsteller Jakob Fabian (Tom Schilling) verdingt sich als Werbetexter für Zigaretten und betrachtet sein Umfeld mit ironischer Distanz. Nachts zieht der Mittzwanziger mit seinem Freund Stephan Labude (Albrecht Schuch) durch die Kneipen. In einem Nachtclub lernt Fabian Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) kennen, die dort als Bardame arbeitet. Die beiden verlieben sich ineinander, aber die angehende Schauspielerin ist bereit, ihre romantischen Gefühle der Karriere zu opfern.
Fabian, der eigentlich daran arbeiten wollte, seine pessimistische Grundhaltung aufzugeben, entwickelt sich aufgrund einiger Enttäuschungen zum "Realisten". Dominik Graf hat Erich Kästners Roman "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" verfilmt, der erst 2013 in der vollständigen Fassung erschien, nachdem er seit 90 Jahren nur gekürzt und entschärft zu lesen war. In seiner unterhaltsamen wie intelligenten Neuverfilmung vernachlässigt Dominik Graf den Zeitkolorit und die Detailtreue und arbeitet stattdessen Parallelen zwischen der heutigen Zeit und der Spätphase der Weimarer Republik heraus.
"Fabian oder der Gang vor die Hunde", Arte-Mediathek, bis 26. September
Hätte Monet getanzt?
Als 2021 die Corona-Pandemie die Museen im Lockdown verharren ließ, lud sich die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel DJs in ihre heiligen Kunsthallen und organisierte publikumslose Sets vor den unbesuchten Werken. In der Arte-Mediathek gibt es nun einen Zusammenschnitt von vier Auftritten als visuellen Stream zum Zuschauen oder Mittanzen.
Darin treffen Mathew Jonson und Frank Wiedemann auf Claude Monet und Tacita Dean, Adriatique nehmen es mit Auguste Rodin und Hans Arp auf, Lost Souls Of Saturn bespielen die Flut-Installation von Ólafur Elíasson und DJ Tennis geht mit dem Maler Peter Doig in Dialog. Ob die beschallten Künstlerinnen und Künstler im Club eher Tänzer oder Steher waren oder sind, wird dabei nicht enthüllt.
"Kunst trifft Elektro: Art.set@Fondation Beyeler", Arte-Mediathek, bis 19. Juli
Michelangelo zwischen Göttlichkeit und irdischer Hölle
Wer heute den Namen Michelangelo hört, denkt vor allem an fast übernatürliche Schönheit. Dabei war die historische Person (1475 - 1964) nicht unbedingt ein Feingeist. Im nach ihm benannten Historienfilm von Regisseur Andrei Konchalovsky erscheint der Maler und Bildhauer als psychisch labiler Choleriker, der offenbar nicht allzu viel vom Baden hält. Einerseits steht Michelangelo Buonarotti auf dem Zenith seines Schaffens, der Papst höchstselbst hat die Ausgestaltung der Sixtinischen Kapelle "göttlich" genannt. Gleichzeitig wird er von notorischen Geldsorgen geplagt und steht zwischen den beiden mächtigen Familien der Della Rovere und der Medici, die sich gegenseitig bekämpfen.
Der Film ist ein klassisches Historiendrama, das sich nicht vor Pathos scheut und auch nicht ohne Künstlerklischees auskommt. Gleichzeitig ist es beeindruckend zu sehen, wie Männer mit purer Muskelkraft den Bergen von Carrara den berühmten Marmor für Michelangelos Arbeiten abringen. Selten hat man den rohen, körperlichen Aspekt der Kunst so deutlich gesehen.
"Michelangelo", Arte-Mediathek, bis 17. Juni
Traum und Trauma mit Shirin Neshat
Träume geben die Ängste der Menschen preis und bringen zum Vorschein, was am Tag verdrängt wird. Seit Jahren beschäftigt sich die iranische Künstlerin Shirin Neshat mit dem nächtlichen Kopfkino, fotografierte zufällig ausgewählte Personen in ihrer US-amerikanischen Wahlheimat und zeichnete die Geschichten auf, die sie des Nachts erlebten. Nun tut es ihr die junge Protagonistin Simin im Spielfilm "Land of Dreams" gleich, der als Video-On-Demand verfügbar ist. Diese handelt jedoch nicht im Namen der Kunst, sondern im Auftrag einer US-Behörde, dem "Census Bureau".
In einer nahen Zukunft hat die US-Regierung die Macht des Wissens um die Träume erkannt und schickt Agenten los, um Bürgerinnen und Bürger über ihre nächtlichen Visionen zu befragen. Wieso sie für ihre Aufgabe ausgewählt wurde, weiß Simin nicht. Mit Aufnahmegerät und Fragebogen ausgestattet zieht sie als Traumfängerin durch das Land, mal wird ihr der Eintritt verweigert, mal wird sie mit einem opulenten Dinner empfangen.
Alles ändert sich, als die Protagonistin in "Die Kolonie" geschickt wird, ein Spezialauftrag, wie ihr ihre Chefin Nancy (Anna Gunn) erklärt, an dem schon viele gescheitert seien. Doch Simin, meint Nancy, sei perfekt geeignet: Nur sie könne das Vertrauen der Bewohner der Enklave gewinnen, die niemanden von außen hineinlassen. Als Bodyguard wird ihr Alan an die Seite gestellt, ein Provinzbulle, gespielt von Matt Dillon, von dem nicht klar ist, ob er Simin beschützen oder überwachen soll. Und tatsächlich: Die Tore öffnen sich für die iranisch-stämmige Simin, Alan muss draußen bleiben.
Was sie hinter den Mauern erwartet, trifft die junge Frau unerwartet und ruft Erinnerungen an ihren Vater hervor. Mit den Menschen in dem Fort verbindet sie mehr, als sie ahnt, ihre Geschichte holt sie ein und fordert eine Abwägung ihrer Loyalitäten. Der Auftrag zwingt Simin, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen, bis die Realität von der Traumwelt überlagert wird.
"Land of Dreams", Video-on-demand
Die verkannten Heldinnen der elektronischen Musik
Clara Rockmore, Daphne Oram, Bebe Barron, Pauline Oliveros, Laurie Spiegel und Maryanne Amacher - es gibt wahrscheinlich nicht allzu viele Menschen, die auf Anhieb benennen können, was all diese Frauen gemeinsam haben. Denn während es die Pioniere der elektronischen Musik ab dem frühen 20. Jahrhundert sowieso schwer hatten, als Künstler wahrgenommen zu werden, waren Frauen in diesem Bereich lange eine absolute Ausnahme. Nur wenige haben es geschafft, sich ins kulturelle Gedächtnis einzuschreiben.
Dass es sich unbedingt lohnt, die frühen Heldinnen der maschinellen Sound-Produktion (wieder) zu entdecken, zeigt der Dokumentarfilm "Sisters With Transistors" (2021) von Lisa Rovner. Mit Originalaufnahmen, Interviews und eingesprochenen Texten von Laurie Anderson erinnert die Regisseurin an frühe Sternstunden der elektronischen Musik, beispielsweise an die studierte Violinistin Clara Rockmore (1911 - 1998), die mit ihrem Theremin - einem Ätherwellen-Instrument, das ohne Berührung Klang erzeugt - die klassische Musikwelt herausforderte. "Die Technologie bedeutete eine enorme Befreiung", erinnert sich die Komponistin und Synthesizer-Virtuosin Laurie Spiegel (geboren 1945). Frauen konnten sich plötzlich in einem Feld ausprobieren, das noch nicht von jahrhundertelanger männlicher Dominanz geprägt war. Gleichzeitig war es für Musikerinnen besonders schwer, mit der früheren Nischenkunst Aufmerksamkeit zu bekommen.
Der Film gibt jeweils nur eine kurze Einführung in die Arbeit der zehn vorgestellten Musikerinnen. Man würde gern noch mehr von ihnen sehen und hören - was natürlich auch ein produktiver Nebeneffekt der Dokumentation sein kann. "Sisters With Transistors" erzählt die Geschichten faszinierender Persönlichkeiten und gleichzeitig von Leidenschaft gegen viele Widerstände. Außerdem ist der Film auch eine Erinnerung daran, wem wir die heutige Mainstream-Herrschaft des Elektro zu verdanken haben, in der inzwischen jeder und jede im eigenen Schlafzimmer Musik machen kann.
"Sisters with Transistors: Die verkannten Heldinnen der elektronischen Musik", Arte-Mediathek, bis März 2025
Die künstlerische Suche der Anna Eva Bergman
Wer Anna-Eva Bergmans schimmernde Bilder betrachtet, ahnt vielleicht, dass mehr dahintersteckt als eine hübsche Blattgoldschicht. Dass sich aber so viele mystische Erzählungen, schmerzliche Erfahrungen und Schicksalsschläge in den Formen verstecken, verdeutlich nun der ausführliche Dokumentarfilm "Verwandlung des Lichts" über die norwegische Künstlerin.
Ähnlich wie Bergmans lange, nomadische Suche nach sich selbst und den Tiefen ihres Seins, begibt sich auch das einstündige Porträt achtsam und tiefgehend auf die Spuren der Künstlerin. 1909 wird Bergman in Schweden geboren, als Kind zieht sie nach Norwegen. Die raue, vielfältige Natur beeinflusste ihr gesamtes Schaffen. Einige ihrer abstrakten Formen etwa sind vermutlich halbe Boote, die aus der norwegischen Sagenerzählung über die "Draugen" stammen. Die dämonischen Wesen künden Seefahrern dort in halben Booten sitzend den Tod an.
Immer wieder gibt es solche Momente im Film, in denen die erstmals abstrakten Formen von Bergmans Bildern einen realen Hintergrund bekommen. Etwa ihr bekanntestes Werk "Feuer": Es entstand nach einem großen Brand in der Pension, in der sie eine Zeit lang lebte. In den Flammen verbrannten sämtliche Manuskripte und Zeichnungen der Künstlerin. Sie schrieb dazu in ihrem Tagebuch: "Ich verlor alles, außer mein Nachthemd". Dieser Moment wird als Zerstörung, aber auch als Wiederauferstehung aus der Asche gedeutet, die das Gemälde verbildlicht.
Die sorgfältig geführten Tagebücher der Künstlerin sind ein großer Glücksfall, auf den die Dokumentation immer wieder zurückgreift. In nachgesprochenen O-Tönen erzählt Bergman so in eigenen Worten von ihren Gedanken. Auch ein Brief an den deutschen Künstler Hans Hartung, den sie als junge Frau in Paris kennengelernt und geheiratet hatte, ist darunter. Dort erklärt sie ihm, dass sie sich von ihm trennen müsse, um ihren eigenen Weg zu finden. Sehr eindrücklich schreibt sie: "Ich muss ganz frei sein und allein. Und viel Zeit. Keine Hauspflichten und für andere sorgen, nur meinen eigenen Arbeiten nachgehen".
Klassisch mit Stimmen von Biografen, Freundinnen und Galeristen gerahmt zeichnet der Film das Leben der Anna-Eva Bergman nach, das von einer langen Suche nach Spiritualität und der eigenen Existenz geprägt war. Der Werk ist eine späte, aber umso sinnlichere und vollständigere Lobpreisung auf eine Künstlerin, die nur langsam zu sich gefunden und dabei beeindruckende Werke hinterlassen hat, die auf geniale Weise das einfangen, was sie ihr ganzes Leben lang begleitet hat: Licht.
"Anna-Eva Bergman: Verwandlung des Lichts", Arte-Mediathek, bis 9. Juli
Die Kunst gibt den Takt vor
Als "The Carters", also Beyoncé und Jay Z, das Musikvideo zu ihrem Song "Apeshit“ veröffentlichten, traten sie eine weltweite Debatte los: Dass der Louvre, einst von Napoleon als Universalmuseum für Europa und Zentrum der kulturellen Macht angelegt, Bühne für das Königspaar des Hiphop wurde, verstanden die einen als Blasphemie, die anderen als absolutes Zeichen von Black Empowerment.
"Dabei hat Will.I.Am schon davor im Louvre gedreht", wendet in einer neuen Doku der Kunsthistoriker Henry Keazor ein. "Er schlüpft in die Rollen der Gemälde hinein, zum Beispiel in Delacroix' 'Die Freiheit führt das Volk'. Darum sehe ich Black Empowerment eher hier als bei 'Apeshit'." In der von ORF und Arte produzierten dreiteiligen Serie über die fruchtbare Verschmelzung von Kunst und Musik seziert er gemeinsam mit Kunsthistorikerin, "Artfluencerin" und Monopol-Autorin Julia Meyer-Brehm Musikvideos und Liedtexte.
Doch nicht nur zeitgenössische Songs werden behandelt: Wie der Titel "Soundtrack of Arts - Kunst in Pop und Klassik" andeutet, ist diese Liaison nicht neu. Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass Modest Mussorgskis weltberühmter Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" auf die Skizzen des fast vergessenen Wiktor Hartmann zurückzuführen ist? Wie diese Kunstwerke auch heute noch die Lesart der Noten prägen, erläutern hinzugezogene Pianisten und Musiktheoretiker. Etwa, wenn in Sergei Rachmaninows Interpretation von Böcklins "Toteninsel" die Klänge im Rudertakt durch das dunkle Wasser gleiten.
Dabei verfolgen die Musikerinnen und Musiker mit ihrer Auseinandersetzung mit der Kunst, wie Keazor und Meyer-Brehm eindrücklich zeigen, ganz unterschiedliche Ziele: Ob nun die Gruppe Deichkind einen in Yves Kleins Blau getauchten Lars Eidinger als menschlichen Pinsel gebrauchen, oder der Rapper Drake sich in auratischen Lichträumen à la James Turrell inszeniert. Besonders beeindruckend sind aber die Produkte direkter Zusammenarbeit von Kunst- und Musikschaffenden, die das Duo vorstellt: Etwa das in der Pace Gallery gedrehte Video zu Jay Z’s "Picasso Baby". Das eigentlich eine Hommage an die Performance-Ikone Marina Abramović ist – und an die Kunst als solche.
"Soundtrack of Arts - Kunst in Pop und Klassik", ab 5. Mai in der Arte-Mediathek
Ist Mode wirklich für alle da?
Mode, ein flirrendes Wirrwarr zwischen Kunst und Tragbarkeit: Mondäne Kleidungsstücke, eine Ausdrucksform der eigenen Identität. Aber für alle? Nein, lange war sie einer bestimmten Art Mensch exklusiv zugänglich. Diese erkannte sich auf Laufstegen und Werbeplakaten wieder und passte in jedes sie ansprechende Kleidungsstück.
Wie kann Mode für Identität stehen, wenn nicht jede Identität auch repräsentiert wird? Diese Frage stellt die Serie "Beyond Fashion" und beleuchtet damit einen Aspekt, der viel zu lange ausgeklammert wurde. Kleidung vertritt gerade in marginalisierten Gruppen eine wichtige Funktion, wirkt als eine Form der Zugehörigkeitsbekundung, eine Definition der eigenen Werte. In den vier Folgen der Serie "Beyond Fashion" begegnet Moderatorin Avi Jakobs Personen, die die strengen Grenzen der Modewelt öffnen und sie durch Aspekte der Genderfluidität, Nachhaltigkeit und die Infragestellung von Norm-Schönheit bereichern.
Mode als unpolitische und unantastbare Bubble ist langweilig und veraltet. Spannender ist, weiter nachzudenken: "Warum sollen wir nicht alle alles tragen?", wie Avi Jakobs fragt. "Wir können aufhören, uns gegenseitig auszugrenzen. Es gibt keine Regeln."
"Beyond Fashion", ARD Kultur, bis auf weiteres