Rohkunstbau in Lieberose

Aufwind und Zärtlichkeit

Die 25. Ausgabe der Ausstellung Rohkunstbau musste im vergangenen Jahr ausfallen. Dafür wird das Jubiläum nun mit starken Werken zum Thema Zärtlichkeit auf dem Schloss Lieberose in Brandenburg nachgeholt 

"Letztlich kann ich es eigentlich nicht glauben, dass wir heute hier stehen", begrüßte Inka Thunecke die Gäste bei der Vorbesichtigung im Innenhof des Schlosses Lieberose in Brandenburg. Und sie hatte jeden Grund zu dieser Annahme. Im vergangenen Jahr musste das Ausstellungsformat Rohkunstbau ausgerechnet zum Jubiläum ausfallen. 25 Jahre Rohkunstbau hätte es zu feiern gegeben, als sich der langjährige Träger des Projektes, die Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg, zurückzog und die Förderung der Kulturstiftung des Bundes für 2019 ausblieb. Mittlerweile liegt die Verantwortung maßgeblich in den Händen des Vereins der Freunde des Rohkunstbaus, dessen dreiköpfigen Vorsitz sich neben Inka Thunecke noch Wolfram Götzinger und Begründer Arvid Boellert teilen.

Für die nun nachgeholte Jubiläumsedition versammelt der Rohkunstbau 20 Künstlerinnen und Künstler, die bereits an den vergangenen Ausgaben mitgewirkt haben, was jedoch nicht bedeutet, dass die Sonderschau auf Altbewährtes zurückgreift. Mit dem Weggang des langjährigen Kurators Mark Gisbourne eröffnete sich die Möglichkeit einer Neuausrichtung. Auch Initiator Arvid Boellert empfing die Gäste unter optimistischen Prämissen und betonte, man habe "vor allem einen Grund zur Freude", dass der seit 1994 stattfindende Rohkunstbau nun wieder eine Ausstellung in einem von Brandenburgs historischen Schlössern und Bauten realisieren kann: "Mit dieser Schau haben wir uns neu erfunden." 

Kurzfristig, aber hochkarätig

Eine Frage, die sich neben allen internen und finanziellen Umstrukturierungen aufdrängt: Welche Erschwernisse hat die aktuelle Krise für die Ausstellung im Schloss Lieberose bereitgehalten? Obschon seit 2018 an der konzeptionellen Fassung der Jubiläumsedition gearbeitet wurde, gibt die neue Kuratorin Heike Fuhlbrügge zu verstehen, mit welcher Kurzfristigkeit sie letztlich auf die Beine gestellt wurde: "Die Ausstellung konnte so wirklich nur zustande kommen durch die Mithilfe der Künstler, die Unglaubliches geleistet haben, eine großartige Lust hatten, zu feiern und jetzt wieder in die Welt zu kommen und das mit anzuschieben." In den letzten sechs Wochen habe man die Schau realisiert, nachdem Anfang Mai die Ausstellenden angefragt wurden. Und die Liste lässt sich sehen: Olga Chernysheva, Ayşe Erkmen, Gregor Hildebrandt, Alicja Kwade oder Michael Sailstorfer gehören unter anderem zu den Künstlerinnen und Künstlern. 

Im Schloss selbst werden die Besucherinnen und Besucher von einer Arbeit des Video- und Installationskünstlers Bjørn Melhus in Empfang genommen, der eine schmerzvolle Analogie zugrunde liegt. "You Are Not Alone" ist ein präparierter Kicker-Tisch, dessen üblicherweise gleichmäßig verteilten Fußballerreihen nun im Verhältnis "Alle gegen Einen" aufgestellt sind. Arvid Boellert sieht in der Arbeit ein "Sinnbild für uns selbst" und meint damit den seit 2011 "chronisch unterfinanzierten" Rohkunstbau. 

Kuratorisches Fingerspitzengefühl unter dem Motto Zärtlichkeit

Doch die Schau ist keine Selbstmitleidstour. Gleich im nächsten Raum findet sich die vom Künstler Julian Rosefeldt selbst vorgeschlagene Videoarbeit "The Swap", deren durchchoreografierte Gangsterbegegnung ebenso filmanalytisch wie auch absurd lustig abläuft. Zu den Highlights gehören auch Via Lewandowskys Installationen, wie beispielsweise die aus dem Boden gerissene und nun im Innenraum zerschmelzende Straßenlaterne "Alles was der Fall ist" oder die per Zufallssteuerung geschaltete Neonglasarbeit "Au Au".

Im Hintergrund der letzteren wird das Zitat "Auge um Auge, Zahn um Zahn" derart zerstückelt wiedergegeben, dass die beatboxartigen Klänge im Zusammenspiel mit der im selben Raum befindlichen fünfteiligen Spiegelarbeit von Ole Kolehmainen "Das ist der Dom in Coeln" den Besucher kurzzeitig vom Rest der Welt isolieren und auf ihn selbst zurückwerfen. Nicht umsonst trägt die diesjährige Jubliäums-Ausstellung den Titel "Zärtlichkeit" und belegt das kuratorische Fingerspitzengefühl des neu zusammengesetzten Leitungsteams.

Entgegen zeitgenössischer Coolness und Corona-bedingtem Social Distancing belegt die Schau "Rohkunstbau 25", dass die neue Konstellation dem Ausstellungskonzept den nötigen Aufwind gebracht hat. Und in den nächsten Jahren hoffentlich genauso stark fortgesetzt wird.