Streaming-Tipps

9 Kunst-Filme, die sich jetzt lohnen

Taylor Mac "Holiday Sauce Pandemic!"
Foto: Courtesy Pomegranate Arts

Taylor Mac "Holiday Sauce Pandemic!"

Eine glamouröse Drag-Weihnachtsgala von der Couch aus ist möglich - genauso wie Videokunst in Dauerschleife und Ausflüge ins Werk französischer Filmlegenden

 

Der Bilderstrom des Jean-Luc Godard

Am 3. Dezember ist Jean-Luc Godard 90 geworden. In den 1960ern war der französisch-schweizerische Regisseur maßgeblich an der Nouvelle Vague beteiligt, landete mit seinem Spielfilmdebüt "Außer Atem" (1960) einen Sensationserfolg und verabschiedete sich mit "Weekend" (1968) vorläufig vom halbwegs kommerziellen Kino.

Inzwischen hat der denkfreudige und experimentierlustige Godard in seine Filmen mehr und mehr das kinematische Regelwerk unterlaufen und Grenzen zwischen fiktionalen und dokumentarischen Formen aufgelöst. Nun ist sein jüngstes Experiment, "Le livre d’image" - "Bildbuch" in der Arte-Mediathek verfügbar, für das Werk wurde er 2018 mit einer Palme d'Or Spécial in Cannes ausgezeichnet.

Zwischen Begehren und Hass, Liebe und Krieg, Zärtlichkeit und Gewalt mäandert dieser Collagefilm, den der Regisseur aus Eigen- und Fremdmaterial, aus kurzen Filmbildern, Fotos, Schrift und Tönen montierte. Es ist ein spröder Film, bei dem Godard weder auf Kontinuität noch Fluss, sondern auf Konfrontation und Irritation setzt. Mehrfach taucht das Bild der Hand auf: "Mit den Händen zu denken, ist die wahre Bestimmung des Menschen", sagt Godard am Anfang des "Bildbuchs". Eine Hand weiß bekanntlich nicht, was die andere tut. Bei Godard wird der Mut zum Chaos aber zur Methode.

Hände arbeiten am Schneidetisch, Alberto Giacomettis Bronze-"Hand" von 1947 ragt in den Film, Hände werden irgendwo in Arabien bemalt, auf der Tonspur lassen Pianistenfinger Prokofiev erklingen, aber die Melodie wird nur kurz angespielt, reißt mehrmals wieder ab. Fetzen aus der Filmgeschichte tauchen auf und verschwinden: Clips aus Werken von John Ford, Alfred Hitchcock, Jacques Tourneur, Orson Welles mischen sich mit Alltagsszenen, Bilder der Nürnberger Prozesse oder des Algerienkriegs.

Häufig blendet Godard den Begriff "Remake" ein: Wie menschliche Erinnerung die immer gleichen Gestalten variiert, so wiederholen sich im "Bildbuch" die Motive, Gesten und Töne – und sind doch immer anders, insulär, wenn auch vernetzbar. Joan Crawford spricht in Nicholas Rays "Johnny Guitar" die Sätze nach, die Sterling Hayden ihr souffliert, als sich das Paar nach Jahren der Trennung wiedergefunden hat: "Wenn Du mich verlässt, möchte ich sterben". Aber ein repetierter Satz stimmt nie mit sich selbst überein. So fügen sich die Fragmente und Wiederholungsschleifen des Godardschen Flechtwerks zu einem rauen Versuch über Zeit, fragile Identität und Erinnerung.

Vielleicht hätte Godard als Endachtziger nicht unbedingt darauf bestehen müssen, seine Gedanken auch in deutsch einzusprechen. Er beherrscht nicht die Idiomatik, und außerdem ist seine Stimme brüchig geworden. Man versteht kaum ein Wort. Oder geht es auch hier um Körperlichkeit vor Klarheit, um rissige Hände, harten Zugriff und eine "Rauheit der Stimme", über die Roland Barthes in seinem gleichnamigen Aufsatz schrieb? Die meisten Originaltöne sind auf Französisch, und Arte spendiert keine Untertitel: Womöglich hat das System. Und wahrscheinlich wäre das "Bildbuch" ohnehin anstrengend zu entziffern, aber man hatte ja schon immer Mühe, Godards gedanklichen Volten bis ins Kleinste zu folgen.

"Bild Buch", Arte-Mediathek, bis 29. November 2021

 


Weihnachtsglamour mit Taylor Mac 

Wer bei Weihnachtsgalas mit Schaudern an Helene Fischer oder Florian Silbereisen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk denkt, könnte seine Phobie vielleicht mit der virtuellen Christmas-Drag-Show "Holiday Sauce Pandemic!" des Performance-Künstlers Taylor Mac kurieren. Diese verspricht spektakuläre Kostüme, viel Glitzer und alle wichtigen Weihnachtssongs inklusive unbesinnlicher Sexyness. Die 45-minütige Show ist am Samstag, 12. Dezember, ab 20 Uhr als Live-Stream bei den Berliner Festspielen zu sehen und danach als Video-On-Demand verfügbar. Die "Eintrittsgelder" für den Zugang (ab 9 Euro) kommen der Queer Community um Taylor Mac zugute. Außerdem gibt es eine kostenlose Zoom-Aftershowparty mit Gästen aus der Gala.    

Talyor Mac "Holiday Sauce Pandemic!", Berliner Festspiele, Live-Stream ab Samstag, 12. Dezember, 20 Uhr, danach als Video-On-Demand

 

Kunst in Dauerschleife

Die Gründerin und Direktorin des New Yorker Performancekunst-Festivals Performa, RoseLee Goldberg, sagte vor Kurzem im Monopol-Interview, dass sie sich des Phänomens der Bildschirm-Müdigkeit sehr bewusst sei. Also habe ihr Team das Online-Programm "Radical Broadcast" so konzipiert, dass niemand das Gefühl haben müsse, von der Masse an Inhalten erschlagen zu werden oder etwas Wesentliches zu verpassen. Die virtuelle Ausstellung mit Videokunstwerken ist als Loop gestaltet. Jeder Film läuft täglich zu einer festen Zeit, sodass das Programm nach und nach als Häppchen gesehen werden kann.

Die aktuelle Ausgabe des "Radical Broadcast" wurde von der Kuratorin und Autorin Legacy Russell unter dem Titel "Lean" zusammengestellt. Der englische Begriff kann "sich anlehnen" bedeuten, aber auch "schlank" oder "Neigung". Zu sehen sind Filme von sieben Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit Identität, Gemeinschaftsbildung und Zugehörigkeit auseinandersetzen. Für Russell ist "Lean" auch ein Konzept, sich Erfahrungen von Queerness und Blackness zu nähern. Zu sehen gibt es Werke von Justin Allen, Jen Everett, Devin Kenny, Kalup Linzy, Rene Matić, Sadé Mica und Leilah Weinraub. Wiederholtes Einschalten empfohlen.

"Radical Broadcast: Lean", Performa Online, bis 31. Januar 2021

Foto: Versobooks Die Autorin und Kuratorin Legacy Russell hat mit "Glitch Feminism" eines der Bücher des Jahres geschrieben
Foto: Verso Books

Autorin und Kuratorin Legacy Russell

 

War John Lennon eine frühe Beyoncé?

Beim Begriff "Visual Album" denkt man heutzutage wahrscheinlich als erstes an "Lemonade" von Beyoncé, die mit ihrem Musikfilm 2016 sowohl die Kunst- als auch die Popwelt verzauberte. Das Konzept, ein Album zu bebildern, ist jedoch bedeutend älter und wurde unter anderem von John Lennon und Yoko Ono für ihr gemeinsames Werk "Imagine" von 1972 verwirklicht.

Das Video zur Friedens-Hymne im weißen Prachtzimmer am weißen Flügel ist weltbekannt, doch auch für die anderen Stücke des Albums hat das Paar Videoclips gedreht, die zum Teil ziemlich konzeptkunstig sind. Und bei der Gartenparty mit Andy Warhol wäre man gern dabei gewesen. In der Arte-Mediathek ist der Musikfilm "Imagine" jetzt zum 40. Todestag des Ex-Beatles verfügbar. 

"John Lennon: Imagine", Arte-Mediathek, bis 6. Januar 2021

 

Auf ins Universum der Agnès Varda

Die 2019 verstorbene Agnès Varda gilt als Pionierin des Autorinnenkinos, als "Großmutter der Nouvelle Vague", die in den 1960er-Jahren gegen das herkömmliche Erzählkino Sturm lief. Ihre Filme schwanken zwischen Wirklichkeit, Fiktion und Poesie, sind verspielt und gewitzt und folgen meist keinem einheitlichen Erzählstrang. 

Varda wurde in Brüssel geboren, flüchtete jedoch während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Eltern in die südfranzösische Hafenstadt Sète. In Paris studierte sie zunächst Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte, bevor sie sich für die Fotografie interessierte. Erst später entdeckte sie als Autodidaktin die Welt der Bewegtbilder.

Ihr Filmdebüt feierte sie 1955 mit dem halbdokumentarischen und stark stilisierten Kurzfilm "La Pointe Courte" über ein junges Paar, das in einer Ehekrise steckt. Ihren Durchbruch schaffte sie jedoch erst 1962 mit "Cleo - Mittwoch zwischen 5 und 7" - einem Spielfilm über objektive und subjektive Zeit. Ihr erfolgreichster Film "Vogelfrei" (Originaltitel: "Sans toit ni loi") erzählt die Geschichte einer Frau, die als Landstreicherin durch Südfrankreich zieht und den Kältetod stirbt. Für den Film wurde Varda 1985 als erste Frau in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Agnès Varda schuf in ihrer mehr als 60-jährigen Karriere über 30 Filme. Geld habe sie mit ihren Filmen nie verdient, sagte sie 2019 auf der Berlinale. Aber ihre Werke hätten überall auf der Welt ein Echo gefunden - und sie tun es noch heute auch bei einer jungen Künstlergeneration. Nun sind in einem Schwerpunkt über 20 ihrer Werke beim Streamingdienst Mubi zu sehen.

“Voilà Varda”, auf Mubi 

Foto: dpa
Foto: dpa
Agnes Varda auf der Berlinale


Ein Blick in die Welt der Auktionen

Ein Bietergefecht läuft, in letzter Minute wird ein Gebot in den Saal geschrien, und ein mysteriöser Sammler erhält den Zuschlag. Oder ein schleppend langsamer Auktionator versteigert ein Werk an die Person, die beim Niesen aus Versehen die Hand gehoben hat. Auktionen wurden in Filmen und Büchern bereits auf dramatische und komische Weise ausgeschlachtet. Jede Wendung scheint erwartbar und doch werden reale Versteigerungen, die Millionengewinne für Kunstwerke einbringen, immer wieder heiß diskutiert.

Die Arte Doku-Serie “Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten!” hat sich ganz besonderen Auktionen verschrieben. Sie lassen den klassischen Kunstmarkt links liegen und suchen nach dem Verbleib skurriler Gegenstände. In einzelnen Folgen wird die Geschichte hinter Sammlerstücken aufgeschlüsselt. Dokumentarisch nähert sich die Serie der Biografie der Uhr von Marlon Brando, einer Ausgabe des Heftes “Tim und Struppi: Schritte auf dem Mond”, die von der Besatzung der Apollo 11 und Hergé signiert wurde, und vielen anderen Unikaten. Aber die Serie kann mehr als skurrile Fun Facts. Sie zeigt spannende Auktionen aus aller Welt, und gibt einen Einblick in die oft undurchsichtig wirkende Welt der Versteigerungen.

"Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten", Arte-Mediathek, bis 27. Januar

 

Die Kunst des Verbrechens

Da sage nochmal jemand, ein Studium der Kunstgeschichte mit Spezialisierung auf die Renaissance würde zur Armut oder zum Verschwinden in staubigen, dunklen Archiven verdammen. Die Kunsthistorikerin Florence Chassenge (Eléonore Bernheim) arbeitet (immer hervorragend gekleidet) im Louvre, wandelt in lichtdurchfluteten Hallen unter der Pyramide und löst nebenbei Kriminalfälle mit Fantasie (ihr erscheinen tote Maler) und konzentrierten Blicken in ihre schlauen Bücher. Durch Zufall wird sie zu Beginn der französischen Serie "Art of Crime" Zeuge eines Mordes im Schloss von Amboise nahe des Grabes von Leonardo da Vinci und arbeitet sich mit dem betont kunstbanausigen Polizisten Antoine Verlay (Nicolas Gob) durch die Indizien, die alle mit einem verschollenen Gemälde des Meisters zu tun haben.

In der Serie "Art of Crime", von der nun ganze drei Staffeln gleichzeitig in der ZDF-Mediathek verfügbar sind, führt die Geschichte großer Kunstwerke auf die Fährte von großen Verbrechern. Ein bisschen "Da-Vinci-Code" mit weniger Verschwörung und mehr Menschelndem. Die Dramaturgie ist ziemlich klassisches und definitiv nicht klischeefreies Krimi-Handwerk, und die Dynamik zwischen der kunstsinnigen Florence und dem grummeligen Antoine, der in die Abteilung Kunst-Kriminalität strafversetzt wurde, läuft etwas vorhersehbar auf Romantik hinaus - nein, nicht die Epoche. Aber für eine Unterhaltungsserie nimmt "Art of Crime" die Kunst ungewöhnlich ernst, und die Liebe zu ihr lässt Menschen extreme Dinge tun. Nebenbei kann man durch die ausführlichen Dialoge zu realen Werken auch noch ein paar Einführungskurse Kunstgeschichte nachholen.

"Art of Crime". ZDF-Mediathek, bis 30. Dezember

Der Polizist Antoine Verlay (Nicolas Gob) und die Kunsthistorikerin Florence Chassagne (Eléonore Bernheim) in der Serie "Art of Crime"
Foto: ZDF

Der Polizist Antoine Verlay (Nicolas Gob) und die Kunsthistorikerin Florence Chassagne (Eléonore Bernheim) in der Serie "Art of Crime"

 

Spioninnen auf der Spur

Bei weiblichen Agentinnen denkt man schnell an Mata Hari oder andere Frauen, die Männer verführen, um an ihre Geheimnisse zu kommen. Das erzählt die Journalistin Chloé Aeberhardt zu Beginn der Mini-Serie "Spioninnen". Um der Geschichte der Frauen in Geheimdiensten auf den Grund zu gehen, wurde sie selbst zur Ermittlerin und traf ehemalige Spioninnen aus aller Welt. Dass die Realität meist nicht so aussieht wie bei James Bond ist klar, aber eins eint alle Ermittlerinnen: Ob bei Stasi, KGB, CIA oder Mossad, sie alle haben sich unerschrocken in die Männerdomäne der Ermittlung gestürzt. Die im liebevollen Graphic-Novel-Stil gedrehte Serie macht mit ihren Mini-Folgen von sieben Minuten schnell süchtig und ist leider genauso schnell vorbei. Wer französisch spricht, kann sich aber Nachschub in dem Buch "Les Espionnes racontent" holen, auf dem die Serie basiert.

"Spioninnen", Arte-Mediathek, bis auf weiteres verfügbar

"Spioninnen" auf Arte
Foto: Arte

"Spioninnen" auf Arte

 

Im Garten eines Kraken

"Ich wollt ich wär', unter dem Meer. Im Garten eines Kraken will ich sein", sang schon Kermit der Frosch nach dem Lied "Octopus' Garden" der Beatles. Wer sich in diesen grauen Herbsttagen wirklich gerne unter dem Meer einkugeln würde, kann das mit einer Reihe Unterwasserfilmen tun, die das faszinierende Trendtier Oktopus begleiten, das auch in der Kunst gern als Metapher benutzt wird. In Jean Painlevés Stummfilm "Octopus" von 1928 sehen wir das Leben, Atmen, Essen und Sterben eines Tieres als einen "enigmatischen unheimlichen Tanz". Im Dokumentarfilm "Liebesleben eines Kraken" von Jean Painlevé und Geneviève Hamon können wir uns mit dem Werben der Tiere treiben lassen. Die einstudierten Bewegungen der Meeresbewohner werden von Pierre Henrys "Musique conrète" begleitet.

Der Filmemacher Craig Forster hat den Beatles-Song wohl wörtlich genommen und taucht im Film "Mein Lehrer der Krake" in den Garten des Oktopus, schließt Freundschaft und begleitet das Tier über ein Jahr lang. Für den Tierfilmer und Taucher Forster war die Zeit unter dem Meer eine Art Burn-Out-Therapie, herausgekommen ist ein berührender Film, der die Schönheit und Gefahr der Unterwasserwelt beleuchtet.

"Liebesleben eines Kraken" und "Der Oktopus" auf Mubi, “Mein Lehrer der Oktopus” auf Netflix, bis auf weiteres verfügbar