Zeitgenössische Kunst in Afghanistan

Leid und Provokation

Kabul (dpa) - «Ich habe nur traurige Geschichten zu erzählen», sagt der afghanische Künstler Naseer Fedaee Turkmani. Seine Werke sind Teil einer Kabuler Ausstellung zum «Afghan Contemporary Art Prize», einem Wettbewerb für zeitgenössische Kunst. Er soll afghanische Künstler ermutigen, neue Wege zu gehen.

   Als Turkmani sieben Jahre alt war, floh seine Familie nach Pakistan. Das war 1997, ein Jahr nachdem die radikalislamischen Taliban die Macht in Kabul übernommen hatten. «Ich habe so viele traurige Dinge gesehen. Nun kann ich Glücklichsein nicht durch meine Kunst ausdrücken», erzählt er.

   Der 23-Jährige verbindet Fotografie und Mischtechnik. Die meisten seiner Werke zeigen Gesichter - Gesichter die das harte Leben in Afghanistan widerspiegeln. Ein Bild zeigt eine Frau in dunklem Rot. Sie wurde gequält und gefoltert. Er wolle so das Leid afghanischer Frauen aufzeigen, sagt Turkmani. Junge Mädchen würden etwa zwangsverheiratet oder weggegeben, um Schulden zu bezahlen.

   Wie Turkmani wollen die meisten der zehn ausgewählten Künstler provozieren und Probleme deutlich machen: In einem Bild wandern Skelette durch eine Stadt, ein anderes zeigt einen Taliban-Mullah mit einer Gitarre.

   Die noch bis 30. November laufende Ausstellung in der afghanischen Hauptstadt ist das Ergebnis eines zweiwöchigen Workshops der Finalisten für den Preis mit internationalen Künstlern. Mehr als hundert Nachwuchskünstler hatten sich beworben. Die Schau zeigt die Ergebnisse.

   «Krieg, Gewalt und politische Instabilität hatten einen dramatischen Effekt auf die Entwicklung der kulturellen Produktion in Afghanistan», sagt Francesca Recchia, die Leiterin des Wettbewerbs. Kunst habe auf der Prioritätenliste der Politiker weit unten gestanden. In den vergangenen Jahren sei die Kunstszene aber aufgeblüht, sagt die in Kabul lebende Italienerin.

"Ich mag es, aus unseren Problemen Kunst zu machen"

   Der Kunstpreis wurde 2008 vom «Turquoise Mountain Trust» ins Leben gerufen, einer in Großbritannien angesiedelten Stiftung, die Kunst und Kunsthandwerk fördert. «Mit dieser Ausstellung wollten wir einen anderen Aspekt zeigen», sagt Stiftungsvertreter Tommy Wide. «Es gibt unglaublich talentierte junge Menschen im Feld der zeitgenössischen Kunst in Afghanistan. Sie brauchen Unterstützung, um kreativ aufzublühen.»

   Die 18 Jahre alte Studentin Masooda Noori ist eine der zwei Hauptpreisträgerinnen des diesjährigen Wettbewerbs. «Es ist großartig. Ich habe moderne Kunst erst vor kurzem kennengelernt. Ich mag es, aus unseren Problemen Kunst zu machen.» Ihre Installation zum Thema «Wahlen» hat überzeugt: Hölzerne Bienenstöcke stellen Wahlurnen dar, ein Video von Menschen steht für die Bienen, wie sie erklärt.

   «Ich glaube nicht wirklich daran, dass die Wahlen gut für unser Land sind. Nach jeder Wahl höre ich, wie die Menschen sagen, ihr Leben sei nicht besser geworden sondern noch schlimmer.» Im nächsten Jahr sollen Präsidentenwahlen stattfinden: «Ich hoffe, dass es 2014 Veränderung geben wird. Aber ich glaube nicht daran», sagt die Künstlerin.

Zeitgenössische Kunst gilt als unislamisch

   Traditionelle Kunst ist in Afghanistan wieder im Aufwind. Moderne und zeitgenössische Kunst wird jedoch von vielen Menschen abgelehnt. Sie betrachten sie als unislamisch. «Man sollte zu solchen Dingen nicht ermutigen», meint etwa der konservative Geistliche Mir Farkukh Hossaini. «Es fördert westliche Ideen und Werte und korrumpiert die Jugend - weg vom Islam.»

   Doch egal ob traditionell oder zeitgenössisch, kaum ein Künstler kann von seiner Kunst allein überleben. Turkmani etwa macht Hochzeits- und Modefotos. Um ihre Sicherheit ist es auch nicht gut bestellt. Er sei wiederholt angegriffen worden, als er für seine Kunstprojekte fotografiert wurde, erzählt der Künstler. «Sie haben meine Kamera kaputtgemacht und mich verprügelt. Die Leute hier verstehen Kunst und Künstler nicht.»