Regisseur Weerasethakul über seinen Film "Cemetery of Splendour"

Schlafen, vielleicht auch träumen

2010 gewann der Künstler Apichatpong Weerasethakul mit "Uncle Boonmee" die Goldene Palme, jetzt kommt sein neuer Film in die Kinos. Ein Interview beim Filmfest in Cannes

Er ist ein Wanderer zwischen Filmwelt und Kunstszene: 2010 gewann Apichatpong Weerasethakul mit "Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben" die Goldene Palme in Cannes, zwei Jahre später nahm er mit der großen Statue "The Importance of Telepathy" an der Documenta 13 in Kassel teil. Nach diversen Videoinstallationen ist er jetzt mit seinem neuen Spielfilm zurück in Cannes. Wie schon bei "Oncle Boonmee", der als Teil des Multimediaprojekts "Primitive" in Zusammenarbeit mit dem Münchener Haus der Kunst entstand, steht auch "Cemetery of Splendour" mit anderen Kunstwerken des 44-jährigen Thailänders in Verbindung. Monopol hat in Cannes mit ihm gesprochen

Herr Weerasethakul, Ihr neuer Film handelt von einer Frau, die sich in einer Art Hospital im Dschungel um Soldaten mit einer mysteriösen Schlafkrankheit kümmert. Ist es ein politischer Film über die Militärdiktatur?
Es ist eine Reaktion auf die Situation in meinem Land, ich fühle mich sehr verwirrt von den Absurditäten, die dort passieren. Manchmal ist die Situation auf den Straßen so furchtbar, dass man der Realität entfliehen muss, durch Schlafen, durch Träume. In meinen Filmen und Videoarbeiten geht es oft ums Schlafen, mich fasziniert dieser Zustand.

Warum Soldaten?
Ich hatte in den Nachrichten von dieser Schlafkrankheit gehört, unter der viele Soldaten leiden. Und dann faszinieren mich einfach Männer in Uniform. Sie sind Sexobjekte für mich und ich interessiere mich für die Macht, die mit Uniformen verbunden ist. Wenn man in Thailand aufwächst, ist die Armee dauerpräsent. Wir haben mehr Generäle als die USA, dabei ist unser Land vielleicht so groß wie Texas. Diese militärische Kultur hat mich geprägt.

War von Beginn klar, dass Sie daraus einen Kinofilm machen wollten und keine Installation?
Die Geschichte habe ich klar als Spielfilm entwickelt. Aber es gibt andere Arbeiten, die aus Fragmenten des Films entstanden sind. Die Videoinstallation "Fireworks" etwa, die ich letztes Jahr in der Galerie Kurimanzutto in Mexikostadt ausgestellt habe. Darin zeige ich die Statuen der Tempel- und Skulpturenanlage Sala Keoku des Mystikers Bunleua Sulitat, die nachts durch ein Feuerwerk erleuchtet werden und zum Leben erwachen. Es geht um das Verhältnis von Licht und Erinnerung. Gemeinsam mit den Schauspielern aus dem Film gedenken sie der Unterdrückung und Zerstörung des Landes.

Apropos Licht: Was hat es mit den Neonröhren im Film auf sich, die als Therapie eingesetzt werden?
Ich habe in einem Artikel über Gehirnforschung von Wissenschaftlern am MIT gelesen, die mit farbigem Licht Gehirnzellen manipulieren und bestimmte Erinnerungen hervorrufen und simulieren können. Ich glaube, in der Zukunft kann man sich in die Erinnerung von Leuten einhacken.

Ist Kino auch eine Form von Flucht?
Absolut. Wir schlafen in vier Phasen und jeder dieser Loops dauert 90 Minuten, also die Dauer eines Films. Ich bin mir sicher, dass die Konvention der Filmlänge durch den Rhythmus unserer Träume entstand. Und wenn Sie sich auf Ihre Träume konzentrieren, stellen Sie fest, wie narrativ sie sind, sehr viel realistischer als uns Hollywood oder Salvador Dali vormachen wollen. Sie haben vielleicht eine andere Logik, aber sie erzählen eine Geschichte. Und das versuche ich auf meine Filme zu übertragen. Die Leute im Norden Thailands, wo ich lebe und der Film spielt, sind stark vom Animismus beeinflusst und glauben an Geister und Märchen.

Wie hat der Gewinn der Goldenen Palme vor fünf Jahren Ihr Leben verändert?
Es hat mir viele Türen geöffnet. Natürlich sind meine Filme keine Blockbuster, aber sie finden weltweit ihr kleines Publikum. In Peru gibt es zum Beispiel eine Gruppe, die mit einem Bus von Dorf zu Dorf fahren und Filme vorführen.

Stimmt es, dass Sie Ihre Goldene Palme verschenkt haben?
Ich habe dafür einfach keinen Platz. Ich gebe alle meine Preise an das Thai-Filmarchiv, dort sind sie in viel besseren Händen.

Welche Art von Filmen sehen Sie sich selbst an?
Ich liebe amerikanische B-Movies und Science Fiction. "Under the Skin" fand ich großartig. Bei "Avengers" bin ich eingeschlafen.

Wo haben Sie mehr Freiheiten: In der Filmbranche oder der Kunstszene?
Es sind zwei ganz unterschiedliche Prozesse. Kino hat viele Limitierungen, weil ein Film 90 Minuten oder zwei Stunden dauert und man die Zuschauer damit fesseln muss. Bei einer Installation gehen die Besucher herum und schauen sich vielleicht im Schnitt zwei Minuten lang etwas an. Es ist eine andere Art von Aufmerksamkeit. Und Zeit funktioniert anders. Beim Film ist sie fix, bei Installationen haben die Zuschauer selbst unter Kontrolle, können kommen und gehen. Das interessiert mich und damit spiele ich auch, um die Grenzen zu verwischen.

Was ist Ihr nächstes Kunstprojekt?
Ich recherchiere gerade über ein anderes Krankenhaus, diesmal in Kambodscha und die Alltagskrankheiten dort. Daraus soll eine Videoinstallation werden.