Galerist Jörg Johnen im Interview

Gegen die Nestléisierung des Kunstbetriebs

Herr Johnen, herzlichen Glückwunsch zum 30. Berufsjubiläum. Würden Sie heute noch einmal Galerist werden?
Unbedingt. Auch wenn sich der Betrieb unglaublich verändert hat. Ich habe erst Architektur, dann Kunstgeschichte studiert und meinen Doktor gemacht. Museumsarbeit war mir zu langweilig. Nachdem ich als Journalist gearbeitet hatte, wurde ich in Köln Galerist. Als Galerist hatte ich mehr Freiheiten.

Was muss man mitbringen für diesen Beruf?
Das ist je nach Temperament verschieden. Bei mir war es damals viel Streitlust und die hundertprozentige Überzeugung für die Künstler, die ich in Düsseldorf kennenlernte: Katharina Fritsch, Martin Honert, Candida Höfer, Thomas Ruff, Thomas Schütte und andere. Den Anfang machte Dan Graham, der mich zu Jeff Wall gebracht hat, und Jeff Wall hat mich dann zu Rodney Graham geführt. Das wurde die Basis für die Arbeit mit Fotografie und der Becher-Klasse. Die Galerie Johnen + Schöttle sah sich damals in Opposition zum damaligen Malereitrend. Es wurde ja von Flensburg bis München nur noch wilde Malerei gekauft und ausgestellt. Da fühlten wir uns berufen, auch andere Entwürfe zu zeigen: Architektur, Städtebau, Minimalismus. Ich habe heute das Gefühl, dass ich gegen jeden Trend arbeite und dass Trends meine Arbeit vernebeln.

Aber Düsseldorfer Fotografie wurde doch auch ein Trend.
Die großen Porträts von Ruff waren der Startschuss für das internationale Interesse an der Becher-Klasse. Doch es dauerte lange, bis sich das auch ökonomisch wirklich durchgesetzt hatte. Andreas Gursky hat es relativ schnell geschafft, mit dem positiven Effekt, dass Fotografie als teures Sammelobjekt ernster genommen wurde.

Gursky haben Sie dann als Künstler der Galerie verloren.
Verloren ist der falsche Eindruck. Nach zwei Ausstellungen haben wir uns in aller Freundschaft getrennt.

Heute ist die Kunstszene weiter zersplittert. Ein fröhliches Nebeneinander statt Auseinandersetzung.
So sieht es auf den ersten Blick auch aus. Doch hinter dem bunten Durcheinander finden beinharte Macht- und Society-Spiele statt, die den intellektuellen Diskurs nahezu verdrängt haben.

Wo findet der Diskurs heute statt?
Ich habe neulich einen interessanten Text von Ulf Poschardt über das Sammeln von Oldtimern gelesen. Darin behauptet er, dass die zeitgenössische Kunst sich zu Tode gesiegt hat.  Spannende Diskurse sind, gemessen an der Größe der Produktion, eher selten. Und die Medien haben naturgemäß keinerlei Interesse an intellektuellen Debatten, sondern nur an den Macht- und Society-Spielen und verstärken diesen Trend. Die Kunst des 20. Jahrhunderts sah sich ja immer in Opposition zur Gesellschaft. Heute ist es eher ein Miteinander, leider zu oft auf Small-Talk- Niveau. In ganz wenigen gelungenen Fällen ist es ein kritisches Miteinander.

Einerseits sind die Szenen zersplittert, anderseits konzentriert sich viel Macht in wenigen Mega-Galerien.
Ich nenne es die Nestléisierung des Kunstbetriebs. Auch auf dem Kunstmarkt gibt es Großfirmen, welche die Produkte bestimmen, die weltweit konsumiert werden. Da fällt alles unter den Tisch, was sich nicht glatt in diese Konsumwelt einfügt. Hier liegt die große Chance der kleinen und mittelgroßen Galerien, Alternativen zu zeigen und aufzubauen.

Ein Riesenproblem: Mittelgroße Galerien bauen Künstler auf, die dann zu Mega-Galerien gehen.
Fast alle meine Künstler werden inzwischen von international agierenden Großgalerien vertreten. Das stellt alle mittelgroßen Galerien vor erhebliche Herausforderungen. Dieses Zusammenspiel ist zwiespältig und gefährlich. Da muss man eben mit anderen Mitteln Punkte sammeln: mit Image, Standort, persönlichem Kontakt oder Verdiensten beim Aufbau der Karriere.

Ein Vorteil für Sie ist sicher, dass die großen Galerien bei Großausstellungen und Biennalen Produktions-, Transport- und Versicherungskosten übernehmen.
Ein leidiges Problem. Auf der einen Seite muss ich bei meiner Galeriestruktur jüngere Künstler fördern und das oft jahrelang ohne große Verkäufe. Auf der anderen Seite werden die Produktionen, Kataloge und Ausstellungen der erfolgreichen Künstler immer teurer. Das ist ein täglicher Balanceakt, doch das muss man sportlich sehen.

Sehen Sie die Mega-Galerien also nicht als Bedrohung?
Die Mega-Galerien sind Bedrohung und Hilfe in einem. Doch den Trend zu immer größeren Räumen und Produktionen sehe ich sehr kritisch. Da geht die Seele der Kunst leicht verloren.

Was war Ihre größte Niederlage in den 30 Jahren?
Dass die Zusammenarbeit mit den meisten der zwanzig Künstlerinnen, die ich vertreten habe, aus den verschiedensten Gründen beendet wurde.

Wieviel unternehmerisches Talent gehört zum Galeristen-Dasein?
Thomas Ruff hat mir einmal gesagt, er habe nie im Traum daran gedacht, dass er von Kunst leben könne. Das große Geld zu machen war früher gar keine Option. Die unternehmerische Herausforderung kam im Laufe der Jahre dazu und ist heute wichtiger denn je. Aber jeder Unternehmer muss mit seinem Erfolg auch wachsen, in jeder Branche.

Den Drang haben sie nicht?
Es gibt ja zu Zeit ganz allgemein eine Debatte über die Grenzen des Wachstums, wie viel wir wirklich benötigen. Viele meiner Künstler setzen sich mit diesen Fragen auseinander. Ich versuche eine Balance zu erreichen zwischen dem, was die Ökonomie verlangt und der Vermeidung von Macht- und Habgier.

Aber wie entzieht man sich diesem angeblichen Sachzwang des ewigen "Wachse oder stirb!" ohne Künstler und Kunden zu verlieren?
Ganz entziehen kann man sich dem wohl nur im Kloster. Viele Ökonomen streiten zur Zeit über dieses Thema. Wachstum halte ich für einen Teil des Lebens, es ist nur eine Frage der Ökonomie von Gut und Böse, von zu wenig und zu viel. Notfalls muss man eben auf einige Künstler oder Kunden verzichten.

Empfinden Sie die Messen als Zwang?
Das ist massiver Zwang. Ich glaube, dass das jeder Kollege bestätigen wird. Mancher macht 15 Messen im Jahr und ist bereit, diesen Preis zu bezahlen. Für mich wäre das undenkbar. Vor allem muss man dann auch wieder Machtstrukturen aufbauen, die einen aufzufressen drohen.

Welche Ziele haben Sie?
Meine Künstler haben noch ein ganz großes Potential, das noch Zeit zur vollen Entwicklung braucht. Intuitiv habe ich immer auf Künstler gesetzt, die sich dem Mainstream entziehen und ein widerspenstiges Moment mitbringen. Jeff Wall ist ein Superstar, aber die Sujets seiner Arbeiten sperren sich dagegen, die Werke als Deko zu benutzen. Oder schauen Sie auf die Marktsituation von Tino Sehgal! Mein Hauptantrieb ist, dass ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass alle meine Künstler völlig unterschätzt sind und dass die Gesellschaft von ihnen noch sehr viel lernen kann.

Aktuelle Ausstellungen in der Johnen Galerie,Berlin: Jubiläumsschau "Early Works",  Martin Creed, beide bis 17. April