Fotoband

Was macht Kate Moss so besonders?

Auch nach 440 Seiten und rund 300 Fotografien gibt es immer noch keine Antwort auf die Frage: Was ist es, das Kate Moss so besonders macht? Warum ist ausgerechnet sie es ist, nach der Fotografen, Künstler, Designer, Endverbraucher seit mehr als 20 Jahren verrückt sind? Andere sind schöner, schlauer, sexier. Und doch ist keine wie sie.

Doch möglicherweise gibt es gar kein geheimnisvolles Elixier, das für ihre Sonderstellung unter all den Top- und Supermodels verantwortlich ist. Sondern nur eine Armada von für jeden einzelnen Betrachter persönlich zugeschnittenen Privat-Kates, von denen jede genau das hat, was den jeweiligen Adressaten erfreut oder anmacht.

Der jetzt bei Schirmer Mosel erscheinende Band „Kate Moss“ versammelt Fotografien aus allen Stadien ihrer Karriere (ausgenommen Privat- oder Paparazzi-Fotos). Nach einer nicht nachvollziehbaren Dramaturgie wurden Bilder von 1990 bis heute aneinander gereiht, dazu stellten mehrere Dutzend Fotografen ihre besten Aufnahmen von Moss bereit. Manchmal liegen zehn Jahre zwischen den zwei Bildern auf einer Doppelseite, und weder thematische noch chronologische Argumente können der Grund für die Anordnung sein, aber wozu auch: Das Thema ist Kate Moss, und die Zeit wäre ein viel zu langweiliges Raster, um jemanden wie sie begreiflich zu machen, die über jede normale Karrierelaufzeit hinaus aufregend bleibt.

So wie jede Kate-Moss-Schwärmerei viel über den Aficionado sagt, aber fast nichts über Kate Moss, so sagt auch jedes Kate-Moss-Foto in erster Linie sehr viel über den Fotografen oder die Fotografin aus. Mario Testino ist der gutgelaunte Typ, der einen unerlaubt backstage mitnimmt, wo er dann alle zum Lachen bringt. Für Hedi Slimane war sie die perfekte Projektionsfläche für sein duales System aus Härte und Zartheit. Und Mario Sorrenti, der sie mit feinster Schwarz-Weiß-Körnung wie eine Skulptur behandelte, hat mit seinen ikonischen Bildern für Calvin-Klein-Parfums das Gesicht und den Körper von Kate Moss vielleicht überhaupt erst erschaffen.

Es gibt auch weniger gelungene Bilder von ihr, so wie die des Teams Meret Alas und Marcus Piggott, die sie unter anderem überflüssiger Weise in Marilyn Monroe verwandeln wollten, wo sie doch schon Kate Moss, also das Gegenteil, ist. Es sind meist jene Inszenierungen, die sie mit Klischees in Verbindung bringen, die missraten. Bei anderen Frauen wie Agyness Deyn oder Lara Stone würde daraus wahrscheinlich etwas Witziges, Spannungsreiches. Bei Kate Moss denkt man nur: Schade, dass da jetzt so viel Blond, angeklebte Wimpern und Lippenstift drauf ist. Bei extrem aufgesexten Inszenierungen auch: Schade, dass sie einfallslose Lackstiefel anhat. Schade, dass sie ganz nackt ist, der Blick hätte doch schon gereicht.

Dabei ist es natürlich keineswegs so, dass das ideale Moss-Mädchen auf alle Ewigkeit das ist, das Corinne Day 1990 für "The Face" entdeckte – ein sommersprossiger Teenager, dünn wie Espenlaub, mit Häuptlingsfedern und beim Lachen gekräuselter Nase. Im Gegenteil, auch hyperartifizielle Versace-Shootings von Richard Avedon oder besondere Farb- und Formkompositionen wie die von Steven Klein sind großartig. In einem einleitenden Gespräch mit ihrer engen Freundin Jess Hallet erzählt sie, wie sie mit vierzehn nach der Schule zu den Shootings ins Crunch-Fotostudio kam, in Schuluniform und mit Vivienne-Westwood-Schuhen. Wie ihr der Promi-Frisuer James Brown die ersten Outfits für den Club Subterranea verpasste, wo sie auf Kylie Minogue, Boy George und John Galliano traf, der auch einer ihrer ersten Laufsteg-Auftraggeber wurde, weil sie neugierig, mutig und cool war.

Die viel beschworene Moss-Spezialität, grenzenlos wandelbar und doch immer unverkennbar zu sein, liegt aber vielleicht gar nicht an ihrem Aussehen, sondern an ihrer Einstellung: Ohne selbst visuell über besondere Vorbildung zu verfügen, hatte sie von Anfang ein ausgeprägtes Gespür dafür, was jemand mit Kamera von ihr will (und es ist anzunehmen, dass die Klügeren unter den Fotografen sie ziemlich schnell haben machen lassen). Es gebe, sagt sie im Interview, eine Übereinkunft zwischen dem Model, dem Fotografen und der Person, die man gemeinsam erschaffen will. Diese Übereinkunft muss unausgesprochen bleiben. Vielleicht ist dies das Geheimnis von Kate Moss.

"Kate Moss", Schirmer Mosel Verlag, deutsch/englisch, 448 Seiten, 78 Euro