„Nur hier“ in Bonn

Die Kunst gehört dem Staat

Die „Madonna “ trägt Trauer. Schwarz sind die Schleier, die sich um ihr Haupt legen. Es sind so viele, dass ihr Gesicht verschwunden ist hinter den ölig bis metallisch glänzenden Fahrradketten, die Stef Heidhues, Jahrgang 1975, zu einer eindrücklichen Hängeskulptur verdichtet hat. Sie fand 2011 den Weg in die Staatsdepots, als Teil jener über 1500 Arbeiten umfassenden Sammlung zeitgenössischer Kunst, die sich der Bund seit 1971 auf Anregung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt leistet.

Der Querschnitt der Ankäufe aus den Jahren 2007 bis 2011, der jetzt in der Bundeskunsthalle unter dem Titel „Nur hier“ präsentiert wird, trägt den Stempel klammer öffentlicher Kassen. Schmückten die Erwählten früher überwiegend Ministerien, Botschaften und Kanzlerbüros, gehen sie heute immer häufiger auf Reisen als Leihgaben an öffentliche Museen. In Bonn werfen um die 100 Werke von Markus Amm bis zu Haegue Yang Schlaglichter auf die jüngsten Kunsttrends. Repräsentativ will und kann man nicht sein. Es handelt sich um überwiegend periphere Arbeiten hoch gehandelter Jungmeister, in Vergessenheit geratene Fluxus-Akteure wie Mary Bauermeister, oder gleich kostengünstige Geheimtipps, die über den Kunstbetrieb hinaus kaum bekannt sind.

Silke Otto-Knapp etwa war im vergangenen Jahr in einer Gruppenschau im Kölnischen Kunstverein mit ihren an Fotonegative erinnernden Gemälden zu sehen. Ihr „Piano“, eine sich hinter einem Konzertflügel gespensterhaft auflösende Bühnengestalt, wurde bereits 2011 des Ankaufs für würdig befunden. Im gleichen Jahr gesellte sich die Skulptur „Rodeo Drive“ des US-Amerikaners Jimmie Durham dazu, ein grotesker Stierkopf, gebastelt aus Abflussrohren und zweckentfremdeten Holzstücken. Der politische Aktivist erfreute sich 2012 einer großen Retrospektive in Antwerpen und war auch Teilnehmer der letzten Documenta, was den Wert seiner Texas-Hommage erheblich steigen lassen dürfte.

Die größtenteils erstaunlich treffsicheren, wenn auch lückenhaften Entscheidungen – immerhin finden sich unter den älteren Jahrgängen Größen wie Gerhard Richter oder die meisten Absolventen der Becher-Schule – gehen auf das Konto einer alle fünf Jahre wechselnden Experten-Kommission. Für den ausstellungsrelevanten Zeitraum ging die Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet im Verein mit vier Kollegen auf den Kunstmessen Art Cologne, Art Forum Berlin und Art Basel auf Shoppingtour. Klotzen sieht allerdings anders aus. Gert und Uwe Tobias sind in der Schau mit kleinformatigen Papierarbeiten vertreten. Berühmt wurden sie bekanntlich dank riesiger Farbholzschnitte, die inzwischen bis zu mehrere Hunderttausend Euro veranschlagen können – unerreichbar für die Staatssammler angesichts eines durchschnittlichen Jahresetats von 500.000 Euro.                        

Der Zwang zur Früherkennung erweist sich als Vorteil, wenn in dem schwerpunktlosen Sammelsurium erfreulich viele junge und auch weniger gefällige Positionen auftauchen. Die unvermeidliche Reibung unter den Werken ist nicht immer ergiebig, stört aber auch nicht weiter. Das verdankt sich nicht zuletzt verblüffenden Beiträgen, wie der Retro-Installation von Peter Rösel. Die Hauptrolle übernehmen zwei altdeutsche Telefonbänke. Auf den Tischvorlagen liegen verstaubte Berlin-Fernsprechbücher. Die Jahrgänge sind nicht zufällig gewählt: 1941 erschien wegen kriegsbedingter Rohstoffknappheit das letzte Verzeichnis des Dritten Reichs. Die nächste Ausgabe vom Dezember 1945 läutete einen Systemwechsel ein. Den hat die Bonner Auswahlkommission bereits hinter sich.

Bleibt zu wünschen, dass auch die jüngste BRD-Delegation, diesmal unter dem Vorsitz von Stefan Berg (Kunstmuseum Bonn), gewohnt professionell den roten Faden vernachlässigen möge.

„Nur hier“, Bundeskunsthalle, Bonn, bis 14. April 2013