Patrizia Sandretto Re Rebaudengo im Interview

"Die Sammlung ist meine spezielle Weltkarte"

Es gibt verschiedene Typen von Sammlern: impulsiv, rational ... Welcher sind Sie?
Leidenschaftlich und rational gleichzeitig. Ohne Liebe, Neugier und Intuition kann man nicht sammeln. Aber dann muss man auswählen, ein klares Konzept haben, ein Projekt.

Wie wählen Sie die Werke aus?
Oft ist die Begegnung mit den Künstlern wichtig, ich höre gern ihre Erklärungen an, beobachte sie, während sie sich um die Werke bewegen und mir ihre Überlegungen und Recherchen darlegen. Am liebsten folge ich den Künstlern von einem frühen Stadium an, anstatt zu kaufen, wenn sie bereits etabliert sind. Mich interessiert konzeptuelle Kunst, Kunst, die die Gegenwart reflektiert, sozial und politisch orientiert. Die Werke spiegeln Momente und Phasen meines Lebens, Begegnungen, Freundschaften, Orte. Die Sammlung ist meine spezielle Weltkarte.

Ein wichtiger Künstler Ihrer Sammlung ist Maurizio Cattelan: Was bedeutet er Ihnen?
Maurizio Cattelan ist ein Magier der Antipoden. Er hat eine neue Respektlosigkeit in die italienische Kunst gebracht. Er verschmilzt Tiefe und Ironie und verursacht einen Kurzschluss in unserem Realitätssinn. Das erste Werk, das ich von ihm gekauft habe, war "Bidibidobidiboo", das Eichhörnchen auf dem winzigen Tisch: Man muss sich ihm einfach nähern, sich herunterbücken, wieder Kind werden. Man ist wie Alice im Wunderland, fängt an, über groß und klein, wahr und falsch, Scherz und Drama nachzudenken.

Im Berliner Me Collectors Room zeigen Sie jetzt die Ausstellung „Stanze/Rooms“ mit Werken aus Ihrer Sammlung. Was erwartet die Besucher?
Die stanza, zu Deutsch der Raum, verstehen wir als Ort der Besinnung, abseits von der Welt. Wir haben dabei an den mentalen Raum gedacht, der den kreativen Prozess ermöglicht. Die Ausstellung ähnelt ein bisschen einem fantastischen und exzentrischen Haus, wie es sich eine Künstlerkommune einrichten würde. "Hotel Color" von Dominique Gonzalez-Foerster ist das Schlafzimmer, "The End – Venice" von Ragnar Kjartansson die Gemäldesammlung, "UHER.C" von Robert Kusmirowski der mysteriöse Kontrollraum voller Monitore und Apparate. Es gibt auch eine „Living Unit“ von Andrea Zittel, eine minimale, mobile Wohneinheit. Jeder Raum ist eine Station, Teil eines Ganzen wie in einem Lied oder einem Gedicht.

Parallel wird auch ein Teil Ihrer Sammlung von Modeschmuck gezeigt. Was reizt Sie daran?
Ich sammle Modeschmuck seit den 80er-Jahren, als mir eine Freundin eines Tages eine bunte Brosche an die Jacke steckte. Ihre Geschichte fasziniert mich: wertvolle Kreationen, die aus einfachen Materialien gemacht sind. Sie entstehen in schwierigen Zeiten und zeugen von der Erfindungskraft des Menschen und seiner Fähigkeit, auf Krieg und Krisen zu reagieren. Patriotische Schmuckstücke, Ballerinas, Tiere, Masken: Ich verfolge da nicht nur einen Faden, ziehe kein Material dem anderen vor. Statt des Einzelstückes mag ich die Serie lieber. Für viele Frauen, die vielleicht harte Momente erlebt haben wie die Weltwirtschaftskrise oder den Zweiten Weltkrieg, haben diese Objekte eine große Bedeutung gehabt – Frauen, die trotz aller Probleme Hoffnung in die Zukunft setzten und die Schönheiten des Lebens pflegten.

Ausstellung: "Stanze/Rooms, Works from the Sandretto Re Rebaudengo Collection", Me Collectors Room, Berlin, 2. Mai bis 21. September. Eröffnung: 1. Mai um 20 Uhr