Agnes Martin in London

Streifen als Meditation

In der Londoner Tate Modern ist die erste große Retrospektive der großen Malerin Agnes Martin seit ihrem Tod zu sehen

Die Grundstruktur ihrer Arbeiten behielt Agnes Martin jahrzehntelang bei: Auf einem festgelegten quadratischen Bildformat zog die Malerin mit Blei- oder Buntstift Gitter aus vertikalen oder horizontalen Linien, ab 1974 waren sie nur noch waagerecht. "Meine Bilder", schrieb sie einmal, "haben weder Gegenstand noch Raum noch Linien oder etwas anderes – keine Formen. Sie sind Licht, Lichtheit, sie handeln vom Verschmelzen, von Formlosigkeit, vom Auflösen der Form."

1912 auf einer Farm in Kanada geboren, ging Martin 1931 in die USA. Als Studentin lernte sie in den 40ern den Zenbuddhismus kennen. In asiatischer Philosophie fand sie Inspiration für ihre Lebensführung und Ästhetik. Auf Martins frühen Bildern sind biomorphe Formen zu sehen, aber während ihrer Zeit in New York zwischen 1957 und 1967 fand sie, nicht zuletzt durch die Freundschaft zu Ellsworth Kelly, Ad Reinhardt und Mark Rothko, zur reduzierten Formensprache ihres Spätwerks. Kleine Abweichungen von der zuvor über lange Phasen gültigen Regel konnten bei Martin dramatisch wirken, etwa wenn die Künstlerin auf einzelnen Bildern ab den 90ern die Breite der waagerechten Bänder variierte. Erst in ihren letzten beiden Lebensjahrzehnten wurde die eher menschenscheue Malerin vom Kunstbetrieb angemessen gewürdigt. 2004 starb sie in New Mexico.

"There is no such a thing as contemporary art", sagte Martin einmal, deren Arbeiten der Reifezeit schwer fassbar zwischen Minimalismus und abstraktem Expressionismus flimmerten. Naturnahes Leben, der schwärmerische Grundton ihrer Bilder unterschied sie von den um zehn Jahre jüngeren, eher an architektonischen und geometrischen Ordnungen interessierten Minimalisten wie Sol LeWitt, Robert Morris oder Donald Judd.

In der Londoner Tate Modern ist die erste große Retrospektive Martins seit ihrem Tod zu sehen, im November wandert die Schau ins Düsseldorfer K20. Allein die kaum bekannten frühen Werke – gegenständliche Malerei und Bilder, in die sie Fundstücke einarbeitete – lohnen eine Begegnung. Aber natürlich muss man auch die luftigen Streifengemälde im Original betrachten.